Foto: Hans Freitag Keks- und Waffelbäckerei

„Man entwickelt erst im Laufe der Zeit das Know-how und das Selbstbewusstsein, das als Chefin nötig ist“

Wie führt eine Chefin, die ganz persönlich Social Media nutzt? Das wollte Christiane Brandes-Visbeck von den Digital Media Women herausfinden und hat die Unternehmerin Anita Freitag-Meyer in Verden besucht. Ein Gespräch über Familienbetriebe, Führungskultur und den Umgang mit Krisen.

 

Eine Geschäftsfrau, die das Netz umarmt hat

Die Freundschaftsanfrage kam über Facebook. Anita Freitag-Meyer, Inhaberin einer Keks- und Waffelbäckerei, wollte sich mit mir vernetzen. Ich fand sie schon immer interessant, denn sie bloggt persönlich, obwohl sie ein Unternehmen führt. „Klick“, auf einmal waren wir Freunde. Was Anita in den nächsten Tagen postete, wärmte mir das Herz. Sie empfiehlt Bücher wie „Zuhause bei Audrey“, schwärmt von dem jüngst in Hamburg gegründeten Club der europäischen Unternehmerinnen e.V., bei dem sie als Beirätin aktiv ist, sie postet Fotos von Aktivitäten, die sie in ihrer Heimatstadt Verden unterstützt und ist immer wieder so stolz auf ihre Arbeit. Auf ihren Fotos lacht sie viel, wirkt offen und gleichzeitig sehr elegant. Alles, was sie auf Twitter und Facebook postet, wirkt so lebendig und echt –  ich fand das für eine Geschäftsfrau ungewöhnlich und beindruckend. Immerhin ist Anita Unternehmerin, seit 2010 Hauptgesellschafterin und 2015 Alleinerbin der väterlichen Süßwarenfabrik mit rund 360 Mitarbeitern. 60 Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaftet das Unternehmen. 

Auf ihrem Blog schreibt Anita über sich:

„Als älteste von drei Schwestern war stets klar, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters und Großvaters treten sollte. Wirklich gefragt, ob dies auch meinen Wünschen und Träumen entsprach, wurde ich nie. Erst als ich mich mit 18 Jahren zunächst etwas freigeschwommen hatte und Journalistin werden wollte und mich auch durch ein Volontariat beim Springer Verlag ausprobieren konnte, ist in mir allmählich der Entschluss gereift, doch in unser Familienunternehmen einzusteigen. Ich wollte entscheiden, ein Team führen, gestalten und Verantwortung übernehmen.

Meine große Freude wäre es, wenn es auch mir gelänge, unsere Kinder für mein Unternehmen zu begeistern – eines habe ich mir jedoch fest vorgenommen: alles kann, nichts muss. Niemand wird mit hohen Erwartungen in etwas gedrängt, das nicht zu ihm oder ihr passt. Nur aus Freiwilligkeit kann Leidenschaft für die Sache entstehen, denn nur wenn man seine Arbeit liebt, ist es keine Arbeit.“

Alles, was ich von Anita Freitag-Meyer lese, sagt mir, dass sie als Chefin ein tolles Vorbild sein müsste. Denn es passt genau zu „Digital Leadership“, dieser Art von zeitgemäßer, mutiger, konsequenter und bewusster Selbstführung, die wir die Digital Media Women, bei denen ich selbst aktiv bin, sich ins Leitbild geschrieben haben. Diese Frau möchte ich unbedingt treffen, vielleicht kann ich ja noch etwas lernen. Wir verabreden uns über dem Facebook-Messenger, obwohl sie eine Sekretärin hat. Klick und done.

An einem Freitag Anfang März geht’s auf nach Verden an der Aller. Das liegt mitten im niedersächsischen Nichts, so etwas wie ein Bermudadreieck zwischen Hamburg, Bremen und Hannover. Pferdeliebhaber kennen Verden als Reiterstadt. Insider wissen, dass Mars dort Schokoriegel produziert. Und es gibt eben die Keks- und Waffelbäckerei Hans Freitag, einen Familienbetrieb in dritter Generation. Endlich da. Ich fahre auf den Hof. Viele kleine und große Gebäude im ländlich-gewerblichen Stil. Die Keksbäckerei könnte auch eine Mischfuttermittelfabrik sein oder eine Molkerei. Allein die Schilder zum Kekse-außer-Hausverkauf zeigen mir, dass ich hier richtig bin.

Die Chefin sitzt im Nebengebäude, zu ihrem Büro im zweiten Stock führt eine steile Treppe, die die hilfsbereite Frau vom Empfang meidet. Wir nutzen den Fahrstuhl daneben. Oben angekommen, hat sich das Ambiente spürbar verändert. Ein großzügiger, heller Flur führt zum Chefbüro, wo mich eine gutgelaunte Anita Freitag-Meyer empfängt. Sie kümmert sich um den Besucherkaffee und führt mich in ihr Reich. Als ich die Räume sehe, bin ich überrascht. Im Grunde sind die Büros, in denen Vater und Tochter dreizehn Jahre lang Seite an Seite gearbeitet haben, ein riesiges Zimmer mit einer Trennwand. Ihre ehemalige Bürohälfte wird von einer dezent gestylten Sitzecke in asiatischer Loungeoptik bestimmt. Im Zentrum der vormals väterlichen Seite befindet ein langer Konferenztisch. Und neben dem beindruckenden Chefschreibtisch, an dem sie jetzt sitzt, steht in großen Lettern an der Wand zu lesen: KEKSE.

Wir beginnen mit dem Interview. 

Anita, als Chefin bist du sehr sichtbar. Dein Bild ziert deine Kekslinie „Anita’s Own“, du begrüßt die Besucher auf eurer Firmenwebsite und bist persönlich auf fast allen Social-Media-Kanälen aktiv. Wie passt das zur Inhaberin eines bodenständigen Familienbetriebs aus Niedersachsen?

„Als ich mit dem Keksblog angefangen habe, sagten hier alle ,Oh Gott, oh Gott!‘. Zu der Zeit zeigte man keine Produktions-Fotos der Konkurrenz, Auch die Idee, dass Verbraucher die Produkte mit gestalten, war sehr neu. Durch die Online-Kommunikation wurden wir nach außen hin greifbar. 

Als Chefin sichtbar zu sein, steht für Transparenz. Mir macht Social Media Spaß. Ich lerne tolle Menschen kennen und komme mit Leuten in Kontakt, die mir sonst nie begegnet wären. Ich bin keine Visionärin, habe keine Ideologie oder Social-Media-Philosophie. Ich gehe rein intuitiv vor. Und es ist mir auch egal, ob ich damit verdiene. Eine Beraterin sagte kürzlich, ich sollte meine persönliche Sichtbarkeit strategischer einsetzen. Doch wenn ich das täte, würde wahrscheinlich der Spaß verloren gehen.“

Wo ziehst du die Grenze zwischen Unternehmerin und Privatperson?

„Natürlich achte ich auch darauf, dass meine Privatsphäre eingehalten wird. Ist poste nichts über meine Familie. Früher habe ich auch privat sehr erfolgreich unter dem Namen „Mademoiselle Vendredie“ (Fräulein Freitag) gebloggt. Ich hatte 4000 Likes auf meiner Facebook-Fanseite! Es gab Vermarktungsanfragen. Viele in Verden haben es gelesen, und manch einer hat sich gefragt, wie viel meiner Zeit wohl für das private Bloggen drauf gehen mag. Das kam in der Firma nicht so gut an. Also habe ich das Blog eingestellt. Ich lebe im Hier und Jetzt. Ich hab’s gemacht. Ich habe mich ausgetobt. Jetzt weiß ich, dass ich es kann.“ (lacht)

Wenn Du über deine Produkte sprichst, bist du mit Herz und Seele dabei.

„Ich liebe meinen Laden. Für mich ist das eine wichtige Facette von Unternehmertum. Ich sehe mich hier als Vorbild. Diese Verbundenheit möchte ich an meine Kinder weitergeben, die beide Interesse daran haben, die Firma weiterzuführen. Als Alleininhaberin möchte ihnen und ganz besonders allen jungen Frauen sagen: „Chefin zu sein, ist gut. Traut euch!“ Ich habe drei männliche Prokuristen an Bord, einen für den Betrieb, einen für den Vertrieb und einen als Kaufmännischer Leiter. Den einen habe ich von meinem Vater übernommen, die anderen habe ich befördert. Damals hatte ich mir noch keine Gedanken über Frauen in Führung gemacht. Bei uns arbeiten viele Frauen im Betrieb. Starke, mitarbeitende Frauen sind hier auf dem Lande ganz normal. Meine Mutter ist stark, meine Großmutter hat im Unternehmen eine große Rolle gespielt. Als Älteste von drei Töchtern war klar, dass ich die Nachfolgerin meines Vaters werde. Mein Vater hat nie ein Problem mit Frauen in der Führung gehabt, wir haben immer auf Augenhöhe zusammengearbeitet.“

Wie stehst du dann zur Frauenquote?

„Aus der Sicht einer Chefin bin ich nicht für die Quote. Da lasse ich mir ungern reinreden. Aber inzwischen höre ich und lese ich viel darüber, wie schwer es in manchen Unternehmen für Frauen ist, ganz oben anzukommen. Heute würde ich meine Führungskräfte wohl nach anderen Kriterien einstellen.“

Was ist deine Aufgabe als Chefin?

„Das habe ich mich in den letzten Jahren auch gefragt. Heute bin ich 46 Jahre alt, die Unsicherheit ist weg, ich habe Krisen überlebt und Ängste überwunden. Heute weiß ich: Meine Aufgabe ist zu führen, Chefin zu sein. Diese Erkenntnis hat einen echten Aha-Effekt bei mir hervorgerufen: Führen ist eine Aufgabe. Die Leute hier sagen ja auch: ,Ich gehe zur Chefin.‘“

Ist Führen auch Talent?

„Chefsein muss man erst einmal lernen bevor man Chef werden kann. Unseren Betrieb gibt es in der dritten Generation. Mein Vater wusste das, hat mich deshalb Schritt für Schritt an die Aufgabe der Alleininhaberin herangeführt. Nach meiner Ausbildung überschrieb er mir zehn Prozent der Firma und machte mich zur Geschäftsführerin. Und er hatte recht: Man entwickelt erst im Laufe der Zeit das Know-how, das Standing und das Selbstbewusstsein, das für so eine Aufgabe nötig ist.“

Gibst du das Wissen in dieser Art auch an deine Kinder weiter?

„Meine Kinder sind beide starke Persönlichkeiten. Meine Aufgabe ist es nun, sie in die Unternehmensnachfolge zu begleiten. Ich bin gespannt, wie sie sich entwickeln werden. Sollte es nicht klappen, dann suche ich mir starke Partner, die die Firma in meinem Sinne weiterführen werden.“

Wie führst du deine Mitarbeiter?

„Bei uns zählt das Wort. Vieles passiert auf Zuruf. Wir haben keine große Meetingkultur und keine starren Hierarchien. Meine Mitarbeiter haben viel Entscheidungsspielraum. Jedes Team kann sich selbst organisieren. Da habe ich eine große Toleranz. Ich gebe gern ab und vertraue darauf, dass meine Leute gute Entscheidungen treffen werden. Wer Verantwortung bekommt, arbeitet besser und ist mit mehr Freude dabei. Das wird von meinen Mitarbeitern geschätzt.

In der Organisation betrachte ich mich als die Treiberin für Kulturwandel und Innovation. Ich bin diejenige, die für das Neue sorgen muss. Ich bin wie ein Leuchtturm, der von der Belegschaft eine hundertprozentige Rückendeckung erfährt, weil wir als ein modernes Traditionsunternehmen angesehen werden. Doch da es niemanden gibt, der mir sagt, was ich zu tun habe, entwickle ich mich einfach selbst weiter. Den Input hole ich mit über Bücher und Seminare.”

„Wer Verantwortung bekommt, arbeitet besser und ist mit mehr Freude dabei. Das wird von meinen Mitarbeitern geschätzt.“

Was inspiriert dich?

„Ich lese viel. Blogs, Edition F, Saal Zwei und rund 30 Zeitschriftentitel im Monat. Privat bin ich viel auf Instagram und habe dort über 2.300 Follower … Ich brauche keine Muße außer meinen Spaziergängen mit den Hunden. Da checke immer alles durch.”


Hast du als eine Frau, die gern alles im Blick hat, Angst vor der Zukunft?

(energisch) „Nein, davor habe ich keine Angst. Unsere technische Produktion und die Verpackungstechnologie werden digital gesteuert und sind auf dem neuesten Stand. Jeden Tag liefern zig Lastzüge Rohstoffe an, damit wir produzieren können. Gegessen wird immer. Und der Mensch tut sich gern etwas Gutes. Die Volatilität der Rohstoffmärkte sind wir gewöhnt und dass Ausschreibungen bis auf die vierte Stelle nach dem Komma berechnet werden, ist unser Tagesgeschäft. Natürlich macht die zunehmende Unverbindlichkeit von Kundenkontakten keinen Spaß. Früher hat mein Vater seine Kunden noch zum Abendessen zu uns nach Hause eingeladen, das meine Mutter persönlich zubereitet hat. Unsere Geschäftskontakte waren auch menschlich eine absolute Bereicherung. Heute dürfen wir ja noch nicht einmal einen Kugelschreiber verschenken. Aber wir sind hier in der Region perfekt eingebunden. Immer wenn einer etwas braucht, rufe ich ,Hier!‘ Klar brauchen wir vor allem den Handel als Mittler. Aber das geht allen in unserer Branche so. Ich weiß nicht, ob sich unsere Industrie durch die fortschreitende Digitalisierung stark verändern wird.“

Wie krisenresistent seid ihr?

„Vor ein paar Jahren hatten wir metallische Körper im Mehl. Da mussten wir bestimmte Chargen zurückrufen. Das war eine echte Krise. Aber statt eines Shitstorms im Web haben wir einen Candystrom erlebt. Unsere Follower haben uns unterstützt. Sogar Foodwatch hat uns gelobt für unsere perfekte Krisenkommunikation. Ich vertraue darauf, dass wir auch weiterhin gemeinsam mit unseren Mitarbeitern, Händlern, Kunden und Fans die Zukunft meistern werden.“

Wofür steht in eurer Branche Innovation?

„Bei uns ist auf jeden Fall Innovation als Marketingtool gefordert. Die Einkäufer auf den Messen wollen immer etwas Neues sehen. Auf der letzten Süßwarenmesse hatte Katjes als erstes Unternehmen einen 3D-Drucker für Süßwaren vorgestellt. Wir entwickeln ständig neue Produkte wie eine ganz neue vegane Keks-Serie. In unserer Branche floppen 80 bis 90 Prozent der neuen Produktideen. Das ist wohl auch eine Art der Fehlerkultur. Mit dem Risiko des Misserfolgs umgehen zu können und nicht aufzugeben, gehört in unserem Geschäft dazu.“

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, die ,Likies‘ zu produzieren, die Kekse in Daumen-hoch-Optik?

„Das hat sich unsere Belegschaft ausgedacht. Sie wollten mir zum 44. Geburtstag etwas schenken, was mir gefallen könnte. Da haben sie die Kekse gebacken und mir mit einem Gruppenfoto von sich geschenkt. So nach dem Motto: ,Wir finden Sie klasse. Weiter so.‘ Ich habe dann eine Nacht wach gelegen und überlegt, ob ich mich trauen kann, sie in Serie zu bringen. Ich bin das Risiko eingegangen. Die Verpackung hat sich unsere Designerin ausgedacht. Wir haben dann abgewartet, ob Facebook reagiert. Kurz vor Weihnachten haben sie 30 Packungen der Likies bestellt. Da scherzte hier jemand: ,Die sind bestimmt für ihre dreißig Anwaltskanzleien, die jetzt die Rechtslage prüfen.‘ Bis April 2015 kam nichts. Doch dann hat Facebook uns gebeten, eine kleine Änderung auf der Verpackung vorzunehmen. Das wars.“


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