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Die #MeToo-Debatte ist nicht das Ende, sondern der Anfang sexueller Freiheit

Immer wieder werden Stimmen laut, die befürchten, die #MeToo-Debatte führe in eine prüde und lustfeindliche Gesellschaft. Dabei ist gerade das Gegenteil der Fall.

 

#Metoo: der Stand der Debatte 

Gesellschaftliche Debatten sind ein elementarer Bestandteil unseres Zusammenlebens. Sie bringen uns in Bewegung, wenn auch manchmal nur einen Schritt vor und zwei wieder zurück. So auch in der Debatte um das Hashtag #MeToo, das in den sozialen Netzwerken in den vergangenen Monaten die Dimension von sexueller Belästigung und sexuellen Übergriffen so deutlich gemacht hat, dass sie niemand länger ignorieren konnte. Und wie immer, wenn es um Themen geht, die uns alle berühren, kochen die Emotionen heißer hoch als frisch Frittiertes.

Mit Sicherheit gibt es Menschen, die sich durch die Debatte in einer generellen Ablehnung des männlichen Geschlechts bestätigt fühlen – eine Haltung, die genauso wenig unterstützenswert ist, wie Misogynie (Hass auf Frauen). Aber wir sollten über diese Randerscheinungen der Diskussion nicht ihren eigentlichen Wert verwässern. 

Kritik à la Catherine Deneuve 

#MeToo ist keine Kampagne gegen „den Mann“. Sie ist ein Reinigungstuch für die blinde Brillà der Gesellschaft, die Sexismus und sexualisierte Gewalt jahrelang nicht sehen wollte. Trotzdem ruft sie jetzt UnkenruferInnen auf den Plan, die befürchten, diese Diskussionen läute schnurstracks das Ende aller sexueller Spannung zwischen Frau und Mann ein.

Die französische Schauspielerin Catherine Deneuve warnte zusammen mit anderen prominenten Französinnen jüngst in einem offenen Brief in der Zeitung „LeMonde“ davor, dass die #MeToo-Debatte eine „puritanische Säuberungswelle“ zur Folge haben könnte und attestierte der aktuellen Frauenrechtsbewegung „Züge des Hasses auf die Männer und die Sexualität.“ Von einem „Klima der Einschüchterung“ schreibt sie und von dem Risiko, die Debatte erschaffe eine „totalitäre Gesellschaft”, in der Denunziation und öffentliche Anschuldigungen das Miteinander prägten. Dieser Puritanismus, so Deneuve, schade der sexuellen Freiheit.

Auch Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins, spricht im Interview mit der 3sat Sendung Kulturzeit davon, dass „sich Frauen als Opfer darstellen in Situationen, in denen sie eigentlich Handlungsoptionen hätten.“ An dieser Stelle möchte ich gerne einen Stop einlegen. 

Kann es nicht sowohl-als-auch sein?

Überall wird Differenzierung gefordert – warum nicht auch hier? Wo steht, dass die Frauen, die sich als Teil der #Metoo-Debatte verstehen, nicht widersprochen haben? Wer sagt, dass sie die grapschende Hand nicht weggeschoben haben? Wieso scheinen viele TeilnehmerInnen der Diskussion hier ein Entweder-oder zu sehen und kein Sowohl-als-auch? 

In vielen Schilderungen, auch in prominenten Fällen, wurde sehr eindrücklich wiedergegeben, dass die sexuellen Annäherungen abgewehrt worden sind. Wo das nicht geschehen ist, werden in vielen Fällen Angst und Scham als Grund angegeben. Ein Problem, das einem starken Machtgefälle wohl immanent ist. Aber auch dort, wo übergriffiges Verhalten deutlich angesprochen und abgewehrt worden ist, darf hinterher ein Hashtag wie #MeToo genutzt werden. 

Das eine schließt doch das andere gar nicht aus

Frau Faßpöhler kritisiert aber, dass Frauen sich durch die #MeToo-Debatte selbst „victimisierten“ und nach der „Öffentlichkeit als RichterIn” riefen. In meinen Augen ist das ein Missverständnis: Die Öffentlichkeit soll nicht die Rolle einer RichterIn einnehmen – aber durchaus die einer Zeugin. Denn nur, wenn wir als Gesellschaft zunehmend sensibler mit dem Thema umgehen, kann sich auch die Kultur verändern, die den Machtmissbrauch und das Selbstverständnis von Männern, die die Grenzen von Frauen nicht achten und überschreiten, viel zu lange ignoriert und toleriert hat.

Warum auch Frau Faßpöhler auf die verabsolutierende Ausfahrt Richtung Prüderie-Vorwurf abbiegt, ist mir nicht klar. „Wenn man keine Belästigung will, dann müssen wir in einer Kultur leben, in der es auch keine Verführung mehr geben darf.“, sagt sie. Und in der Kulturzeit-Sendung, in der sie zu hören ist, raunt die Stimme der Moderatorin in einem Einspieler: „Was ist mit den Frauen, die sagen: „Ja, ich zeige mit Absicht meine weiblichen Reize? (…) Ich bin sexuell aktiv und das mit Freude?“ Ja, was ist mit diesen Frauen? Ehrlich gesagt: nichts. Frauen können weiterhin mit Freude sexuell aktiv sein, #MeToo ändert daran nichts. 

#MeToo will nicht verbieten, was auf Freiwilligkeit beruht

Hier werden in meinen Augen zwei Argumente vermischt, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Eine Frau kann tragen, was sie will, sie kann schlafen, mit wem sie will und sie kann flirten, mit wem sie will – wenn sie es denn will. Und eben darum geht es. Um den Unterschied zwischen ungebetenen und erwünschten Interaktionen. Darum, dass wir ein Klima schaffen, in dem Mädchen und Frauen sich nicht mehr schämen müssen, in dem ein Fehlverhalten deutlich benannt wird und in dem wir Solidarität üben, statt wegzuschauen. Die #MeToo-Debatte hat in meinen Augen für eine Bewegung in diese Richtung einen unschätzbaren gesellschaftlichen Wert. Und wird von Aussagen wie denen von Catherine Deneuve konterkariert, wie Julia Korbik in ihrem Beitrag im libertine Magazin wie folgt analysiert:

„In einer Passage des Textes heißt es, nicht jeder Mann sei ein ,Angreifer’, nur weil er mal ,ein Knie berührt’ oder versucht habe, einen ,Kuss zu stehlen’, nur weil er bei einem Abendessen über ,intime’ Dinge gesprochen oder ,Nachrichten mit sexueller Konnotation’ an eine Frau geschickt habe, die sich nicht zu ihm hingezogen fühlte. Dieses männliche Verhalten, so vermittelt der Text, ist normal und akzeptiert, rien de grave, nichts Schlimmes.” 

Für mich ist diese Brief-Passage ebenfalls nur Symbol dafür, wie sehr uns unsere Sozialisation der vergangenen Jahrhunderte in den gesellschaftlichen Knochen steckt – offenbar kann man selbst belästigendes Verhalten liebgewinnen und als Galanterie verniedlichen.

#MeToo – Chance für eine Erotik 2.0?

Das heimische Schlafzimmer, oder von mir aus auch Wald und Feld, bieten doch sicher genug Möglichkeiten, Machtfantasien auszuleben – immer dann, wenn beide (oder alle) Beteiligten sich darüber einig sind, dass sie diese Interaktion wollen.

Ich glaube, wenn Männer Frauen auf der Straße nicht mehr pfeifend und johlend hinterher steigen würden, keine Knie mehr uneingeladen gestreichelt und keine sexuell konnotierten Nachrichten verschickt werden würden, solange nicht klar ist, ob das Gegenüber damit einverstanden ist, bliebe trotzdem nicht nur „ein bißchen“ Erotik übrig. Sie würde, im Gegenteil, gerade erst beginnen. Verführung ist doch nicht notwendiger Weise eine Einbahnstraße, auf der Männer sich raubtierartig über die Frauenwelt hermachen. 

Für wen Erotik einzig darin besteht, ein Gegenüber zu überrumpeln, das im Vorfeld keinerlei Signale der Zustimmung gesendet hat, hat die patriarchale Denkstruktur offenbar mehr verinnerlicht, als er oder sie glauben mag. Dieses Verständnis von sexueller Freiheit können wir gerne zu Grabe tragen.

Wir brauchen ein neues Rollenverständnis 

Für mich ist die Debatte um #MeToo deshalb auch eine um Empathie. Ich traue Männern wie Frauen zu, dass sie ein Miteinander erschaffen können, in dem eben auch lieber einmal zu viel gefragt wird, was in Ordnung ist und was nicht, als einmal zu wenig. Gemeinsam entdecken, statt das bekannte Muster zu wiederholen – darin liegt doch die Herausforderung. Ein neues Zeitalter der Enthaltsamkeit halte ich weder für wahrscheinlich, noch halte ich es für notwendig. Die lange gelebten und erlernten Rollen zu durchbrechen ist ein andauernder Prozess, der vor unseren Betten nicht Halt macht.

Wir brauchen in der Sexualität einen Raum, jenseits von wirtschaftlicher oder sozialer Abhängigkeit. In diesem kann – optional für alle, die daran Gefallen finden – ein Machtgefälle gelebt werden, das sich aus wechselseitiger Lust speist und für das alle Beteiligten ihr Einverständnis gegeben haben. Stumm vorausgesetzt werden kann es aber eben nie. „Safe, sane, consensual” („sicherheitsbewusst, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich”) ist ein Konzept aus dem BDSM, das sich gerne auf den gesamten Bereich gelebter Sexualität ausbreiten darf. Und alle Situationen, in denen Macht ungleich verteilt ist, bedürfen in dieser Hinsicht unserer ganz besonderen Sensibilität. Das ist keine „übertriebene Vorsicht”, sondern sollte eigentlich selbstverständlich sein.

#Metoo ist kein Ende, sondern ein Anfang 

#MeToo ist also nicht das Ende der kurzen Röcke und jedes tiefen Blickes – es ist lediglich das Ende einer Kultur, in der Menschen ungefragt in fremde Sexualität einbezogen werden. Verwunderlich – oder auch wieder nicht – dass sich so vehement gegen diese Basis eines gegenseitigen Einverständnisses zur Wehr gesetzt wird.

Die #MeToo-Debatte ist noch längst nicht versiegt und das ist gut so. Denn die erwachte Diskussionskultur um diese wichtige Frage unseres Zusammenlebens sollte lebendiger Bestandteil des Dialogs zwischen den Geschlechtern werden. Auch und gerade dann, wenn sie kontroverse Meinungen zu Tage fördert, wie im Beispiel Deneuve. Benjamin Maack schreibt dazu so treffend auf Spiegel online:

„Trotzdem sollten uns dieser Brief und die Reaktionen darauf nicht ermüden. Denn hinter den Gipfeln der ersten Aufregung, den wütenden Diskussionen und den Kämpfen um Deutungshoheit kommt die Veränderung. (…)  #MeToo ist noch lange nicht vorbei. Und es zeigt: Wie wichtig ein Thema ist, wird nicht mehr von wenigen diktiert, die meinen zu wissen, wann alles gesagt ist. Das wird mit jedem Tweet, jedem Post, jedem Blog-Eintrag, jedem Like von Millionen entschieden.”

Ausblick zum Weiterdenken

Was die Debatte streift, in diesem Beitrag aber zu weit führt, ist die Frage nach dem gesellschaftlichen Bild weiblichen Begehrens. Denn in diesem Punkt stimme ich der Position von Frau Flaßpöhler zu: Die sexuelle Selbstbestimmung der Frau ist unterentwickelt. Das weibliche Begehren ist in der gesellschaftlichen Vorstellung „eigentümlich leer“. Die Frau hat eigentlich gar kein eigenes Begehren und „kommt nicht in die eigene Potenz.“, so Flaßpöhler. Dass die Frau im Verlauf der Geschichte und in ihrer Sozialisierung im Patriarchat ihre Sexualität lange Zeit überhaupt nicht frei wählen, entdecken und ausleben konnte, sondern sie immer nur reaktiv mit dem, aus psychoanalytischer Sicht, allmächtigen Phallus interagiert, sehe ich ähnlich und lese ich so auch aus vielen Zeilen von Simone de Beauvoirs Klassiker „Das andere Geschlecht“. Dieser Aspekt allerdings ist für mich eine ganz andere Debatte. Eine wichtige, zweifelsohne, der ich mich in der Zukunft gerne verstärkt widmen möchte. 


Dieser Artikel erschien bereits auf Keas Blog www.kea-schreibt.de. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.


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