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Heidi Stopper: „Macht bedeutet, Gestaltungsfreiräume zu haben”

Heidi Stopper war Personalvorstand bei ProSiebenSat.1 – sie erklärt, was Frauen (und Männer) auf dem Weg nach oben in ihrem Unternehmen beachten müssen.

 

In den höheren Etagen weht der Wind kälter

Bevor sie Vorständin bei ProSiebenSat.1 in München wurde, arbeitete Heidi Stopper als Vice President Human Resources für EADS Astrium Satellites. Schon während ihrer Zeit bei ProSiebenSat.1 coachte sie Unternehmer, Führungskräfte und Personaler, nun widmet sie sich seit knapp einem Jahr komplett ihrer Selbstständigkeit als Coach und Unternehmensberaterin. Dabei trifft sie immer wieder Frauen, die Probleme mit der Politik ihres Unternehmens haben und Angst haben, mit den bestehenden Machtstrukturen nicht zurechtzukommen – im Interview mit uns will sie Mut machen, sich neuen Herausforderungen zu stellen – und dabei helfen, Stolperfallen zu vermeiden.

Wie überlebt man im täglichen Machtkampf?

Je höher man in einem Unternehmen kommt, desto politischer wird es. Das heißt: Es geht dann nicht mehr so stark um Leistung, es geht darum, Netzwerke bedienen zu können, sich in Machtstrukturen durchsetzen zu können. Das bereitet vielen Frauen und auch vielen Männern Probleme, aber gerade von Frauen habe ich in den letzten 20 Jahren immer wieder diesen Satz gehört, der auch vielen Headhuntern bekannt ist: ,Das tu ich mir nicht an!. Das Problem ist: Auch wenn viele Männer Firmenpolitik gar nicht mögen, leiden Frauen tendenziell stärker als Männer unter den zwischenmenschlichen Spannungen, die in den Machtstrukturen der höheren Ebenen entstehen können.“

Spielen diese Machtstrukturen auch bei der Frage von Beförderungen eine Rolle?

„Ja sehr. Das kennen Sie bestimmt: Oft wird nicht verstanden, wer befördert wurde. Von den unteren Ebenen aus sieht das oft wie Willkür und Klüngelei aus, wenn man sich anschaut, wer in einem Unternehmen befördert wird. Das sind oft nicht diejenigen, die die besten operativen Ergebnisse erzielen. Dass es nicht einfach um gute Ideen, gute Führung und eigene Leistung geht, sondern um Politik, das macht Frauen zu schaffen. Ein klassisches Beispiel, das mir oft berichtet wird: Eine Frau sagt etwas in einer Sitzung und es geht unter. Drei Minuten später bringt ein männlicher Kollege exakt denselben Vorschlag, und alle sagen: Mensch, tolle Idee!“

Worum geht es dann bei Beförderungen?

Beim Thema Beförderung können Sie am besten erkennen, ob in einem Unternehmen Wasser gepredigt und Wein getrunken wird. Leadership-Qualitäten spielen leider bei vielen Unternehmen ab der mittleren Management-Ebene keine so wichtige Rolle mehr. Es passiert also leider immer noch häufig, dass der befördert wird, der die besten Zahlen liefert, der die Strategien drauf hat, der in den Machtstrukturen zurechtzukommt – egal ob er Führungsqualitäten hat oder nicht.“

Was sollte man denn bedenken, womit muss man rechnen, wenn in einem Unternehmen der nächste Karriereschritt ansteht?

„Man sollte sich auf jeden Fall gut überlegen, was man gut kann und ob man das möchte: Strategisch arbeiten. Es wird weniger um die eigene operative Leistung gehen, sondern ob man damit umgehen kann, verschiedene Interessen zu verstehen und vor allem die eigenen durchzusetzen. Es geht immer darum, sich zu verkaufen, zu platzieren, sichtbar zu machen. Nicht im marktschreierischen Sinne, aber eben gekonnt – ein schmaler Grat. In eigentlich jedem Unternehmen ist es doch so: Allein aus unterschiedlichen Rollen ergeben sich ganz unterschiedliche, zum Teil auch gegenläufige Interessen von Bereichen. Es geht darum, wer die notwendigen Ressourcen, beste Karrieremöglichkeiten und Aufmerksamkeit bekommt, um seinen Weg und seine Ideen durchzusetzen. Das gilt in großen aber auch in kleinen Betrieben. Um bei diesen Kämpfen um Ressourcen erfolgreich zu sein, muss man die Machtstrukturen kennen, wissen, wie sie funktionieren, und sich in ihnen bewegen können. Man sollte mit Abstand auf Situationen schauen und sie nicht persönlich nehmen. Man muss Win-win-Situationen schaffen können. 

Und das ist wahrscheinlich nicht jedem wirklich bewusst.

Das unterschätzen viele. Sie denken, die Kriterien und die Verhaltensweise sind auf den höheren Ebenen die gleichen wie früher, auf der alten, niedrigeren Position. Es geht aber nicht mehr so sehr um die eigene Leistung, sondern darum, wie gut ich ein Team in die Lage versetzen kann, eine exzellente Leistung abzuliefern und den Rückenfrei zu halten. Das bedeutet, dass der Horizont breiter werden muss, man muss sich ständig fragen: Welche Spieler gibt es im Unternehmen, welche Interessen haben die anderen, wer teilt meine Interessen und wer hat komplett konträre Interessen?“ 

Ein Beispiel?

Klassisches Beispiel wäre das Thema Budget. Jeder will für sich, sein Team, seine Abteilung natürlich ein möglichst großes herausschlagen, da entstehen Kämpfe, die man austragen muss, es geht viel um taktisches Vorgehen, das muss man lernen. Darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man eine Position ab dem mittleren Management antritt. Viele denken darüber vorher gar nicht nach und sind dann geschockt. Und so erklären sich auch viele irrsinnig wirkende Beförderungen: Jemand, der gezeigt hat, dass er taktieren kann, sich in Netzwerken tummeln kann, alle Stakeholder im Unternehmen bedienen kann, dass er andere überzeugen und Allianzen schmieden kann, der wird auch befördert, wenn er operativ nicht unbedingt der Beste war.“

Das klingt ja fast ein bisschen entmutigend, nicht jeder traut sich die Veränderungen zu, die so eine höhere Position bringt. 

Es gibt Leute, die vom Start ihrer Karriere an sehr politisch sind, geborene Netzwerker, die braucht man für manche Positionen im Unternehmen, aber natürlich nicht für alle. Das wäreja auch äußerst kontraproduktiv, wenn alle nur noch im Machtgerangel gefangen wären oder noch schlimmer: Stellen Sie sich einmal vor, dass nur noch diejenigen in Toppositionen kommen, denen es ausschließlich um Macht geht. Man kann in neue Herausforderungen hineinwachsen und sollte sich nicht abschrecken lassen. Es gibt auch von Unternehmen zu Unternehmen große Unterschiede, wie politisch man für bestimmte Positionen sein muss. Da kann man sich auch sein Umfeld nach seinen Neigungen aussuchen, was ich ohnehin dringend empfehle. Nicht in jedem Umfeld kann man gute Leistung bringen. Hier hat jeder andere Bedürfnisse. Ich sage immer gerne: Kochendes Wasser macht Eier hart und Kartoffeln weich…eine bestimmte Portion Bereitschaft zum Machtkampf muss man aber mitbringen oder entwickeln, wenn man gestalten möchte.

Was wäre Ihrer Ansicht nach wichtig, wenn es um die Politik im Unternehmen geht?

Ich wünsche mir, dass die Auswahl in Unternehmen für bestimmte Positionen wesentlich verbessert wird, dass darauf geachtet wird, wer auf welche Position gut passt, dass dabei mehr Transparenz im Spiel ist. Viele Leute werden heute regelrecht ins Unglück geschickt, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt und sie auf sehr politischen Positionen allein gelassen werden. Da entsteht viel Frustration und Leid, auch andere Coaches berichten mir von wirklich immensen Leidensmomenten. Man sieht selbst bei Leuten in Toppositionen, dass ihnen nicht der operative Druck, sondern die Machtkämpfe an die Nieren gehen, zum Beispiel zuletzt bei VW: Selbst ein gestandener Top-Manager wie Martin Winterkorn sagte, der Machtkampf mit Piëch sei für ihn ,sehr belastend, und das ist noch eine sehr diplomatische Beschreibung.“

Was sollte man also beachten, was raten Sie Fauen?

Ich berate viele Frauen ab dem mittleren Management bis hoch auf Vorstandsebene, und die Fragen, die sie sich stellen, sind: Wie setze ich mich durch? Wie komme ich in den Machtgefügen zurecht? Wie schaffe ich es, mich nicht zu emotional zu verstricken und Dinge nicht so persönlich zu nehmen? Und da möchte ich wirklich appellieren, keine Angst vor dem Thema Macht zu haben. Macht bedeutet, Gestaltungsfreiräume zu haben. Macht kann und muss positiv genutzt werden. Man sollte die neue Position mit Freude angehen, mit Macht hat man die Möglichkeit, neue Dinge anzupacken, aber man sollte nie den Aufwand unterschätzen, der in diese Machtstrukturen fließen muss. Ich empfehle jedem, sich Unterstützung zu holen, denn viele Verhaltensmuster, die in der früheren Position stimmig waren, können nun schädlich sein.“

Inwiefern schädlich?

Wenn man merkt: Oh, es funktioniert nicht, fängt man womöglich an, operativ härter zu arbeiten, mehr zu tun – das ist die Krux. Viel wichtiger wäre: Zurücklehnen und sich fragen: Wer im Unternehmen hat Einfluss auf meine eigene Business-Situation? Wer will mich unterstützen, wer hat andere Interessen als ich? Man muss lernen, in anderen Perspektiven zu denken, sich Unterstützer zu suchen, die gemeinsame Interessen verfolgen, Allianzen schmieden, man muss nicht jeden Kampf alleine ausfechten. Es gibt immer Leute im Unternehmen, die konträre Interessen haben, da ist es wichtig, Konflikte nicht persönlich zu nehmen, sondern zu verstehen, warum der andere andere Interessen hat, und ihn in dieser Rolle zu sehen. Dann bleibt der Kopf klar, es wird nicht so emotional und man nimmt sich Streit nicht so zu Herzen. Wichtig ist auch unbedingt, um sich nicht aufzureiben: Nicht jeder Kampf muss geführt werden, sondern nur der, den man auch gewinnen kann.

Was ist das Wichtigste?

Erst mal gilt es, die unterschiedlichen Interessensstrukturen nachzuvollziehen und zu verstehen. Versuchen Sie, die Sichtweise aller anderen Stakeholder einzunehmen, in ihren Schuhen zu laufen. Man muss auch taktische und kommunikative Strategien entwickeln, um das richtige Momentum zu erwischen. Ganz wichtig ist auch ein Mentor, jemand, der einen unterstützt – jemand im Unternehmen, der einem wohlgesonnen ist, den man im geschützten Rahmen um Unterstützung bitten kann, oder außerhalb, der einen rausholt aus der emotionalen Gefangenheit. Taktik und Kommunikation ist das wichtigste am Ende des Tages: Wie gehe ich in Kämpfe rein, wie trete ich auf? Das kann man üben. Lassen Sie sich nicht entmutigen.

Sicher denken jetzt aber einige, genau wie Sie am Anfang sagten: „Das tu ich mir nicht an?

Klar, es ist anstrengend, ich hatte während meiner Karriere auch aufreibende und harte Momente. Aber es lohnt sich. Man kann auf einer höheren Position viel zum Besseren bewegen, der eigene Einfluss wird größer, auch für die persönliche Weiterentwicklung ist das toll. Ich selbst habe so viel über mich selbst gelernt in den unterschiedlichen Führungspositionen, es gab so viele Spaßmomente und unglaubliche Befriedigung. Ich konnte vieles zum Besseren entwickeln und anstoßen, habe große Erfolgserlebnisse gehabt. Ich ermutige also jede und jeden, diese Schritte zu gehen, und daran zu denken, dass man nicht alles können muss. Männer können das etwas besser als Frauen: Sich Leute zu suchen, an die sie das auslagern können, was sie selbst nicht so gut können. Frauen meinen zu oft, alles selbst schaffen zu müssen. Also gehen Sie sehenden Auges und bewusst in spannende und verantwortungsvolle Positionen rein – sollte es wirklich gar nicht funktionieren, kann man immer noch etwas anderes machen. Heute ist kein Job mehr für die Ewigkeit.“

Weht in den höheren Etagen überall dieser Wind?

Nein, jedes Untenehmen ist anders, manche sind schon ab der mittleren Ebene sehr politisch, bei anderen wird auch ganz oben noch sehr operativ gearbeitet. Aber auf den Top-Ebenen wird es immer politisch zugehen, es gibt immer viele Leute, die etwas vom Kuchen abhaben wollen, es wird immer darum gehen, wie man sich durchsetzen kann. Dabei lernt man viel, für alle Lebenslagen. Bei der Olympiade geht auch nicht jeder mit einer Medaille nach Hause, aber jeder ist von seinemTrainer optimal vorbereitet hingefahren – diese Sportanalogie sollte auch für Business-Situationen gelten. Die Anforderungen heute sind enorm hoch, so etwas wie früher die 100-Tage-Schonfrist gibt es nicht mehr, man muss sofort punkten können. Das A und O ist also: Gute Vorbereitung, wissen, worauf ich mich einlasse – und Unterstützung, sei es innerhalb oder außerhalb des Unternehmens. Nur wenn wir Frauen den Mut haben, große Aufgaben zu übernehmen, können wir verhindern, dass der Wind zu kalt wird da oben!

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