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Nach der Wahl: Ich bin #87Prozent – aber was bedeutet das?

Auf Twitter trendet seit gestern der Hashtag #87Prozent. Mit ihm gehen Tweets online, die auf Hoffnung setzen, kritisch mit der Situation umgehen und Wünsche dazu formulieren, wie es nach dem Wahlergebnis und dem Einzug der AfD in den Bundestag weitergehen kann.

 

„Ich bin #87Prozent“

Nach den ersten Hochrechnungen am gestrigen Wahlsonntag wurde Realität, wovor sich viele schon vor der Wahl gefürchtet haben: Die AfD zieht, mit nun voraussichtlich 12,6 Prozent, in den Bundestag ein und wir stehen politisch einer neuen Zeit bevor. Wie sie sich damit fühlen, machen viele Menschen seit gestern Abend auf Twitter unter dem Hashtag #87Prozent klar. Zu lesen ist von Hoffnung, weil es „nur“ knapp 13 Prozent für die AfD sind, von Enttäuschung, dass es überhaupt soweit kommen konnte und von Ideen dazu, was schief gelaufen sei– ganz vorne mit dabei in den Mikro-Analysen: die fehlende soziale Gerechtigkeit und der Umgang mit der Flüchtlingssituation.

Was bedeutet es aber konkret, dass 87 Prozent sich nicht für ein Kreuz bei der AfD entschieden haben? Erstmal genau das, 87 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sie nicht gewählt – auch wenn das nicht gleichbedeutend ist mit 87 Prozent der Deutschen. Wie viele Menschen mit der AfD und ihrer Politik sympathisieren, sie aber (noch) nicht gewählt haben, können wir mit dieser Zahl nicht erfassen. Ja, die Mehrheit kann sich offensichtlich nicht mit ihnen identifizieren – das ist ein grundsätzlich gutes Zeichen, aber ausschließlich positiv sollte das auch nicht gewertet werden. Immerhin haben satte 12,6 Prozent die Partei zur drittstärksten Kraft gemacht und sich von anderen Parteien abgewandt. Es geht jetzt noch mehr denn je zuvor darum, sich wirklich damit auseinanderzusetzen, was so viele Wählerinnen und Wähler zu einer in Teilen rassistischen Partei mit ihren aggressiven Parolen samt rückwärtsgewandter Politik treibt. Wie können die SPD, die Grünen, die Linke, die FDP und auch CDU/CSU wieder jene erreichen, die ihnen enttäuscht oder wütend den Rücken gekehrt haben – oder auch jene Nichtwähler, die die AfD in Millionenhöhe mobilisieren konnte? Wo klafft die Lücke, die es so dringend zu schließen gilt?


Hinzu kommt ein Umgang mit der AfD und ihren Wählern, der darüber hinausgeht, sie schlicht als Nazis abzuhandeln. Bei allem Unverständnis ist es wichtig, sich die Partei inhaltlich vorzuknöpfen, denn auch wenn die AfDler noch feiern – sie werden nun liefern müssen. Und ob sie das können, ist eher fragwürdig. Das wissen sie auch selbst, so sagte Gauland gestern bei Anne Will auf ihre Frage nach einem Rentenkonzept: „Liebe Frau Will, das ist im Moment nicht unsere Aufgabe.“ Und dem daraufhin lachenden Publikum entgegnete er gereizt, dass man das doch bitte unterlassen sollte. Ja, wir sollten das Lachen unterlassen, denn lustig ist die Angelegenheit sicherlich nicht.

Es muss sich aber auch niemand kleiner machen, als er ist. Die AfD hat einen Sieg errungen und jetzt ist es an der Politik, aber auch an jedem einzelnen von uns, der nicht will, dass sich das in vier Jahren wiederholt, sich dem engagiert entgegen zu setzen, Haltung zu zeigen und die Debatte um die Gestaltung unserer Zukunft am laufen zu halten. Dafür sind wir alle gefragt und jeder kann sich engagieren. Vor allem aber kann es nicht so weitergehen wie zuvor, wir brauchen jetzt wirkliche Veränderung, eine Bewegung gegen den Rechtsruck in der Politik. Wir brauchen neue Idee, neue Gesichter und klarere Profile – aber auch den Mut, nun nicht aufgrund vor Angst vorm Machtverlust gleich mit nach rechts zu rücken. Dass die SPD nun in die Opposition gehen will, ist dafür ein wichtiger Anfang. Aber eben auch nur das.

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