Foto: Serge Hoeltschi

Cornelia Funke im Interview: „Dass man ständig etwas Neues tut, ist für die meisten Marketing-Leute ein Albtraum“

Cornelia Funke ist eine der bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen der Welt – und hat jetzt einen eigenen Verlag gegründet. Im Interview mit uns erklärt sie diesen Schritt und erzählt, welche Buchläden sie verzaubern.

 

Von der Illustratorin zur Kinderbuchautorin

Als sie mit dem Schreiben anfing, war sie schon „steinalt“, wie sie selbst sagt – nämlich 35. Sie fing damit an, weil ihr die Geschichten, die sie als Illustratorin vorher bebildert hatte, oft nicht gefallen hatten – also beschloss sie, die Geschichten künftig einfach selbst zu schreiben.

Weltberühmt wurde sie endgültig 2003 mit „Tintenherz“, schon vorher hatte sie die Mädchenbandenbücher über die „Wilden Hühner“ und Bücher wie „Drachenreiter“ und „Herr der Diebe“ veröffentlicht. Sie hat bis heute mehr als 20 Millionen Bücher weltweit verkauft, 2005 wurde sie von „Time unter die 100
einflussreichsten Personen der Welt gewählt.

Vor einigen Wochen machte sie nicht mit einem neuen Buch auf sich aufmerksam – sondern mit der Nachricht, dass sie sich nach Differenzen mit ihrem amerikanischen Verlag dazu entschieden hat, einen eigenen Verlag zu gründen. Funke, die aus Dorsten in Nordrhein-Westfalen stammt, lebt heute in Los Angeles. Wir haben mit ihr über ihre Pläne mit dem neuen Verlag gesprochen.

War die Gründung eines eigenen Verlages eine Idee, die schon länger in Ihnen gärte? Oder war das eine relativ spontane Entscheidung, weil die Unstimmigkeiten mit Ihrem Verlag in den USA das Fass zum Überlaufen brachten?

„Die Idee gab es schon lange, aber dass wir Breathing Books nun so schnell gegründet haben, lag an den Meinungsverschiedenheiten, die ich mit meinem Verlag Little,Brown wegen des ,Goldenen Garns’ hatte.

Es heißt, es habe mit Ihrem Verlag Uneinigkeiten über Inhalte Ihrer Bücher gegeben, etwa über eine Geburtsszene am Anfang von „Das goldene Garn“, die der Verlag gerne weiter nach hinten verlegt hätte, und über das Ende. Wahrscheinlich war es nicht das erste Mal, dass sie mit einem Verlag um Inhalte gerungen haben – wie sind Sie bisher damit umgegangen? Hart verhandelt, bis Sie damit leben konnten, oder Ärger runtergeschluckt? Und was hat sich bei Ihnen verändert, dass Sie das jetzt nicht länger hinnehmen wollten?

„Ich habe noch nie eine solche Situation gehabt. Natürlich habe ich mit meiner deutschen Lektorin Diskussionen über Figuren, Handlung, Stil et cetrea geführt, aber das ist Teil des Lektoratsprozesses und sehr befruchtend. Das Problem mit englischsprachigen Verlagen ist, dass sie sehr selten Lizenzausgaben herausgeben und deshalb nicht daran gewohnt sind, dass das Lektorat bereits gemacht wurde. Sie gehen oft an verlegte Bücher heran, als wären sie noch im Manuskriptstadium – sehr im Unterschied zu meinen anderen Verlagen, die sehr regelmäßig mit Lizenzen arbeiten.

Sie sind offensichtlich offen für neue Technologien, haben zusammen mit der Produktionsfirma Mirada die Spiegelwelt-App entwickelt und arbeiten an neuen Multimedia-Projekten – war das am Anfang für Sie so, dass Sie sich damit erstmal anfreunden mussten, also nicht mehr nur fürs Papier, sondern an anderen Formaten zu arbeiten, oder waren Sie schon immer offen und neugierig für all das, was auch in der Verlagsbranche in Sachen Digitalisierung passiert?

„Mich interessieren digitale Formen vor allem als visuelle Künstlerin. Eine Verfilmung war neben der klassischen Illustration lange der einzige Weg, Bilder zu den eigenen Worten zu finden – und ich war fast nie glücklich mit den filmischen Umsetzungen. Die Arbeit mit Mirada hat mir zum ersten Mal die Chance gegeben, meine Bücher selbst visuell umzusetzen – ein ganz und gar wunderbares Gefühl!

Würden Sie uns kurz erklären, wie es zum Namen „Breathing Books“ für Ihren neuen Verlag kam?

„Ich glaube, da stand mein Buch ‘Igraine Ohnefurcht’ Pate. Die Zauberbücher darin haben Arme und Beine, sprechen und…atmen und verkörpern sehr gut, wie ich Bücher wahrnehme: als atmende wundersame sehr lebendige Dinge. Aber mit Breathing Books wollen wir sie noch sichtbarer zum Atmen bringen, indem wir mit Bildern und Musik sichtbar und hörbar machen, was alles in Büchern steckt.

Sie sagten im Gespräch mit „Publishers Weekly“, am einfachsten wäre es gewesen, einfach zum Selfpublishing-Programm von Amazon zu gehen, dass Sie das aber nicht machen werden, weil die unabhängigen Buchhändler Sie erst zu dem gemacht haben, was Sie heute sind – können Sie kurz erklären, was genau Sie ihnen verdanken?

„In den USA gibt es eine sehr leidenschaftliche Gemeinschaft unabhängiger Buchhändler und Bibliothekare, die in ihren Buchläden die Kultur des Buches und des Lesens feiern. Wenn diese Buchhändler ein Buch lieben, bringen sie es in die Hände von Lesern – auch wenn sie dafür oft 15 Stunden am Tag arbeiten und kein Wochenende kennen. Ich liebe es, in diese Buchläden zu treten – sie erinnern mich an die Verzauberung, die ich als Kind beim Anblick gefüllter Regale empfand. Und ich will sie, wo immer ich kann, so unterstützen, wie sie es stets mit meinen Büchern getan haben. Natürlich gibt es diese leidenschaftlichen Bücherhüter auch in Deutschland und allen Ländern, in die ich bisher gereist bin. Und sobald ich sie finde – bin ich zuhause!

Sie wollen eine überarbeitet Version des ersten Buches der „Spiegelwelt-Reihe veröffentlichen, weil Sie mit dem Inhalt nicht mehr voll zufrieden seien, konnte man zuletzt lesen – denken Sie, so etwas wird in Zukunft Normalität? Fänden Sie das gut? Oder führt das nicht vielleicht dazu, dass nie etwas als fertig angesehen wird, immer rumgewerkelt wird, nie gut genug ist? Oder ist das eine altmodische Sicht?

„Das ist eine NEUMODISCHE Sicht! (lacht). Im neunzehnten Jahrhundert war es ganz normal, eine Geschichte noch einmal zu bearbeiten. ich habe gerade gelesen, dass Thomas Hardy das ausführlich bei ‘Far from the Madding Crowd’ getan hat. Die großen Romane des 19. Jahrhunderts wurden ja erst einmal in Kapiteln und Dutzender kleiner Heftchen herausgegeben – Häppchen für Häppchen – und dann erst als Buch. Das war bei Dickens so und bei Victor Hugo und natürlich wurde für die Endfassung dann nochmal poliert. Also…..ich gehe zu alten Zeiten zurück. Sehr passend für die Spiegelwelt, die ja im 19. Jahrhundert spielt.

Sie haben große Verlage wie Little, Brown mit einem Ozeandampfer verglichen, der nicht überall hinkommt. Sie selbst wollen lieber eine Art Segelboot sein, das auch an verstecktere, schwerer erreichbare Orte kommt – an welche Orte denken Sie da?

„Mal sehen! Das ist ja das wunderbare an Entdeckungsreisen: dass man die einsamen Buchten, die man ansteuert, noch nicht gesehen hat! (lacht). Ich hoffe, dass mich die Entdeckungen sowohl als Illustratorin als auch als Geschichtenerzählerin sehr inspirieren werden. Aber ich bin sicher, dass das passiert. Denn ich trete die Reise mit Mathew Cullen (Produzent bei Mirada, Anm. d. Red.) und damit mit einem sehr guten Steuermann an.

Es war außerdem zu lesen, dass Sie sich darauf freuen, nun endlich eine Geschichtenerzählerin für alle Altersgruppen sein zu können – warum konnten Sie das bisher nicht, und haben Sie diesbezüglich schon Pläne?

„Viele Verlage wünschen sich einen Autor, der ein sehr eindeutiges Profil hat – entweder man schreibt nur Bilderbücher oder nur Young-Adult-Literatur (was immer das ist!) Aber dass man ständig etwas neues und anderes tut, ist für die meisten Marketing-Leute ein Albtraum. Mit meinem deutschen Verlag hatte ich das Problem nie, und es gibt einige andere, die das für wunderbar halten, aber gerade im englischsprachigen Bereich bereiten diese vielen Schubladen oft Kopfschmerzen.


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