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Künstliche Ideale: die Lüge vom perfekten Körper

Jeder kennt sie: die Ernüchterung, nachdem man das Modemagazin weggelegt oder sich durch Instagram gescrollt hat. Dort werden Ideale verkauft, die nicht erreichbar sind. Und uns doch beeinflussen.

Idealbilder aus dem Computer

Von „Thigh Gaps“ über „Hip Dips“, im Internet kursieren die skurrilsten Beauty Trends. Dabei werden die unterschiedlichsten Körperregionen ins Visier genommen und attackiert. Schon junge Mädchen versuchen, ihr angebliches „Muffin Top“ mit weiter Kleidung zu kaschieren. Warum sie das überhaupt sollen, erklären vermeintliche Fitness-Koryphäen auf Instagram. Der natürlich gegebene Körper ist einfach nie glatt, straff und fit genug.

Die klassichen Medien suggerieren ebenfalls , dass der „perfekte Körper“ existiert. Eine ganze Industrie baut darauf auf, dass Schönheit ein Ziel aber niemals ein natürlicher Zustand ist. Wohlbefinden und Körperwahrnehmung leiden unter dem Druck, diesem Ideal zu entsprechen. 

Wie entsteht diese künstliche Perfektion und wo wird sie verbreitet? Vom Modemagazin bis Instagram, wir haben uns in der modernen Medienlandschaft umgesehen.

Du bist nicht gut genug!

Beauty-Tipps und Fitnesstrends finden Mann und Frau mittlerweile in jedem Magazin. Die Cover versprechen dabei vieles, außer der Wahrheit über natürliches Aussehen. Alle basieren sie auf dem gleichen Motto: Du bist nicht gut genug. Anschließend werden dem Leser Produkte präsentiert, mit denen man die angeblichen Makel schnellstens los wird.

Ein wesentliches Detail wird dabei ausgeblendet: diese vermeintliche 
Perfektion wird nur mit Hilfe von Bildbearbeitung möglich. Und 
einige Frauenmagazine bestehen zu sage und schreibe 85 Prozent aus 
Werbung.

Modegigant H&M gab zu, nicht nur per Photoshop nachzubearbeiten, sondern für einige Anzeigen vollständig computergenerierte Körper zu nutzen.

Normale Körpereigenschaften wie ein unebenes Hautbild oder altersbedingte Falten werden zu Fehlern oder Krankheiten erklärt. Und diese Technik hat nur ein Ziel: Verkaufen. Wer braucht schon eine Anti-Aging-Creme, wenn Altern als etwas Natürliches angesehen wird? Muss man dann noch anti sein? Zu faltig, zu dick, zu dünn. Hauptsache, etwas stimmt mit uns nicht.

Dieses Prinzip kennt weder Alter noch Geschlecht. So berichtet Franz Lichtenegger, Autor des Lifestyle Magazins Vice, von seinen persönlichen Erfahrungen. Lichtenegger meint, dass mediales Body-Shaming in unserer 
Gesellschaft keinen Platz mehr haben darf. Vor allem aber macht er 
darauf aufmerksam, dass dieses Phänomen kein Frauenproblem ist und 
Männer genauso unter Druck stehen, immer attraktiv sein zu 
müssen. Mit den Auswirkungen beschäftigt sich mittlerweile auch die 
Wissenschaft.

Körperkult mit Folgen

Was wir auf den Covern der Magazine sehen, sind keine echten Menschen. Es sind digital erzeugte Ideale. Das ist deshalb so gefährlich, da diese Bilder trotzdem Macht ausüben. Nicht jede Männerbrust ist glatt und trainiert. Dellen im Po sind kein Anzeichen für Unsportlichkeit und Falten kein ein Indiz für schlechte Ernährung. Prinzipiell wissen wir das auch, und doch schleichen sich diese Bilder in unser Denken ein. Ein Forscherteam aus den USA beschäftigte sich eingehend mit dieser Art von Manipulation. „Retuschierte Fotos sind überall und haben eine idealisierte und unrealistische Repräsentation körperlicher Schönheit geschaffen“, schreiben Eric Kee und Hany Farid vom Dartmouth College.

Den Wissenschaftlern zufolge hat das verheerende Folgen. Viele Menschen betrachten sich nur noch ungern im Spiegel, darunter auch viele Jugendliche und sogar Kinder. Eine bundesweite Studien von 10.000 Kindern ergab, dass sich jedes vierte Kind im Alter von 9 – 14 Jahren zu dick fühlt. Dieses Ergebnis ist mehr als erschreckend, besonders da Kinder zu diesem Zeitpunkt gerade erst anfangen, sich in ihrem Körper und der Medienwelt zurecht zu finden. 

Jedes vierte deutsche Kind zwischen 9 und 14 Jahren fühlt sich zu dick.

Vorbilder spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung eines gesunden Körpergefühls. Diese Rollen sollten Eltern oder Freunde übernehmen, werden aber zunehmend von Instagram und co. abgelöst. Und dort geht es häufig nicht realistischer zu als in den Hochglanzmagazinen.

Eine Community im Fitnessrausch

Wer entscheidet eigentlich darüber, ob eine Körperzone zur Problemzone wird? Fitnessexperte Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln hat sich kritisch mit dem Phänomen der Sport- und Ernährungstrends auf Instagram auseinandergesetzt. Diese reichen von restriktiven Diäten über fragwürdige Trainingstipps bis zu vermeintlichen Schnappschüssen, denen nicht selten stundenlange Posings vorangehen. Erst kürzlich verriet ein ehemaliges Model, dass sie bis zu 100 Fotos schieße, bevor sie nur eines davon bei Instagram veröffentlichen könne.

Einige Fitness Accounts haben eine Anhängerschaft von mehreren Millionen und verbreiten oft zweifelhafte Inhalte. Die teilweise noch sehr jungen Follower motivieren sich trotzdem zu immer härterem Training. Sie scheinen danach zu streben, dem Körper ihres Vorbilds ein Stückchen näher zu kommen. Experten begründen die Gefahr darin, dass den Usern ein Körperbild verkauft werde, das sich eigentlich nur mit täglichem, mehrstündigem Training erzielen lässt. Die meisten Menschen seien dazu aber weder genetisch noch psychisch überhaupt in der Lage. „Viele Frauen rutschen so unter dem Deckmantel des Sports in die Magersucht“, erklärt Froböse in einem Interview mit der ZEIT. Vor allem viele der oft gezeigten Vorher-Nachher Bilder seien Photoshop-Fakes. Gesunder Muskelaufbau und Fettabbau braucht seine Zeit. 

„Viele Frauen rutschen so unter dem Deckmantel des Sports in die Magersucht.“

Mittlerweile gibt es aber auch Portale von und für Menschen, die sportbewusst sind und gleichzeitig die Vielfalt des menschlichen Körpers zelebrieren. So setzt sich Louisa Dellert vom Fitness Channel Fit Trio kritisch mit der „Kleidergröße Photoshop“ auseinander. Sie erklärt, wie einfach Schöheitsideale am Computer erschaffen werden und das eine babyglatte Haut nur Babys vorbehalten ist – und das ist auch gut so! 

Höchste Zeit also, dass wir wieder Verantwortung für unser eigenes Wohlbefinden übernehmen und dieses auch an die nächste Generation 
weitergeben.

Mit Akzeptanz zu mehr Wohlbefinden

Ein entspannter Umgang mit uns selbst führt zu größerer Akzeptanz für unsere Individualität und die anderer Menschen. Einige große Marken scheinen verstanden zu haben, dass nicht der Wunsch nach „Perfektion“ zu einem positiven Körpergefühl führt, sondern Authentizität und Selbstbestimmung. So setzen einige Pflegemarken auf mehr Vielfalt in der Darstellung ihrer Protagonisten für Werbespots und Plakate. Die tätowierten Anwältin, der tierliebe Biker – hier werden auch unsere eigenen Vorurteile auf die Probe gestellt.

Achtsamkeit – also Übungen, in denen man lernt, den Moment wahrzunehmen, ohne ihn zu bewerten – ist eine gute Methode um sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu werden, ohne sie zu verurteilen. Achtsamkeitstraining übt außerdem Empathie und die Fähigkeit, emotionale Bindungen einzugehen. Und diese sind frei von Äußerlichkeiten.

Der renommierte Ernährungswissenschaftler David Katz wurde kürzlich zu diesem Thema befragt und gab eine einfache Antwort: „Es geht nicht um ästhetische Fragen, was schön ist und was hässlich. Es geht um Gesundheit. Man sollte nicht so viel darüber nachdenken, wie man aussieht – man sollte sich eher fragen, wie man sich fühlt. Sich vital fühlen ist etwas Wunderbares.“ Die eigene Gesundheit wertzuschätzen, trägt mehr zum Wohlbefinden bei als jede Diät.

„Man sollte nicht so viel darüber nachdenken, wie man aussieht – man sollte sich eher fragen, wie man sich fühlt.“

Letztendlich sollten wir lernen, für uns selbst zu sorgen. Dazu gehört auch eine gesunde Distanz zu den Medien und den dort suggerierten Normen. Du möchtest lieber eine Serie schauen, statt die Joggingschuhe zu schnüren? Völlig ok! Du möchtest lieber eine heiße Schokolade mit Sahne als Kräutertee? Völlig ok! Du stehst gerne um 6 Uhr früh auf und machst Krafttraining, statt länger im Bett zu gammeln? Völlig ok! 

Wichtig ist, nicht perfekt sein zu wollen und sich nicht dafür zu schämen, wer man ist. Trends kommen und gehen. Dein Körper hingegen gehört zu dir und wird dich ein Leben lang begleiten. Das ist eine lange Zeit. Etabliere und pflege also eure Freundschaft, es lohnt sich.

Dieser Text ist zuerst im Magazin von 7Mind erschienen.

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