Niah Finniks hat einen sehr lesenswerten Debütroman aus der Sicht einer Autistin geschrieben. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.
Allein in meiner eigenen Gedankenwelt
Manchmal fragt man sich, ob es in der Literatur überhaupt noch etwas wirklich Neues geben kann. Und kurz bevor man sich damit schon abfinden will, begegnen einem Autoren wie Niah Finnik. Die hat mit ihrem gerade erschienenen Debütroman nämlich genau das geschafft: Sie hat einen Debütroman geschrieben, der eine neue Welt eröffnet: die der 27-jährigen Autistin Juli. Die 1988 geborene Autorin, die eigentlich Produktdesignerin ist, nimmt uns mit in Julis Kopf – und zeigt damit eine ganz besondere Sicht auf die Dinge. Niah Finnik ist selbst Asperger-Autistin und weiß deshalb sehr genau, wovon sie spricht. Der Roman handelt aber auch von Themen, die wir alle kennen: Angst, Freundschaft und Ehrlichkeit . Über all das haben wir mit ihr gesprochen.
Deine Protagonistin Juli ist anders als die anderen: Sie ist Autistin. Dein Roman lässt uns in ihre Welt eintauchen. Was zeichnet diese aus?
„Eine schwierige Frage, ich glaube für Juli sind das ganz andere Dinge als für die Menschen um sie herum. Sie ist eine Beobachterin, jemand der sehr passiv durch die Welt streift und gleichzeitig hellwach ist. Wissen und jegliche Form von Information sind für sie die einzigen sicheren Räume. Sie schaut sich die Dinge und Strukturen um sich herum sehr genau an, alles weckt ihre Neugierde und wird für gedankliche Reisen benutzt. Eine vollgestopfte und dennoch stille Welt, da sie kaum Schnittpunkte findet, ihre Gedanken mit anderen zu teilen.”
Und wieso überfordert sie die Außenwelt so oft?
„In Julis Welt gibt es keinen Alltag. Jede sich verändernde Variabel sorgt für einen völlig neuen Tag. Darum bemüht sie sich alle Dinge immer zur selben Zeit und in exakt derselben Reihenfolge zu tun. Gerät da etwas durcheinander, versinkt sie in tausenden von Reizen, verheddert sich in ihren Gedanken und bleibt im Tag stecken. Alles was Juli hört und sieht, löst in ihrem Kopf Bilder und Musterketten aus, unter denen sie den Tag auch schon mal verpasst. Dann sind da natürlich noch andere Menschen, die ganz anders interagieren und kommunizieren als sie selbst. Sie beschäftigt sich nicht mit den Dingen, die zwischen den Zeilen hängen, die jedoch einen Großteil der uns umgebenden Kommunikation ausmachen.”
Im Laufe des Romans überwindet Juli, innerhalb von ein paar Tagen, einige ihrer größten Ängste. Wie schafft sie das?
„Indem sie ihre Angst nicht überwindet. Überwinden heißt ja, etwas zu besiegen oder etwas abzuschaffen. Während sie versucht ihre Angst loszuwerden, sie gewissermaßen irgendwo auf einem Parkplatz auszusetzen, um dann schnell wieder ins Auto zu springen und loszubrettern, scheitert sie. Immer wieder. Daraufhin ändert sie die Richtung und dreht sich um. Sie nähert sich ihrer Angst und fängt an sie zu beobachten. So als wäre sie ein merkwürdiges Tier, von dem sie verfolgt, gejagt und immer wieder unvermittelt angefallen wird. Was darauf folgt ist kein romantisches Bild, in dem sie diese Kreatur zähmt. Doch sie fangen langsam an miteinander zu leben. Angst ist ja an sich nichts Negatives, sie fühlt sich nur so fürchterlich seltsam an und macht einen so klein. Aber im Grunde genommen ist sie ja ein sehr guter Kompass. Zum Beispiel für die Dinge, die wir gerne tun würden und lassen oder auch für das, was wir immer noch tun, obwohl wir es längst abstreifen wollten. Angst schleicht ja immer auf unseren individuellen Grenzen entlang, als wäre da auf dem Boden wirklich eine dicke gelbe Linie, die sich bei dem einen ein paar Meter weit entfernt kreisförmig um ihn herumzieht und der nächste kann einige Kilometer gehen, bevor er auf den gelben Balken trifft.”
Wie wichtig sind Philipp und Sophie für Julis Entwicklung?
„Die meisten Menschen, denen ich am Tag begegne, spielen keine besonders große Rolle. Und dann sind da welche, die mich von Anfang an interessieren. Dazu müssen sie noch nicht einmal etwas Bestimmtes gesagt haben. Solche Begegnungen sind, finde ich, das Schönste was es geben kann. So geht es Juli mit Philipp und Sophie. Die beiden bringen sie dazu, sich von ihren Routinen zu entfernen, allein ihre ständige Anwesenheit ist etwas völlig Fremdartiges für Juli, die einen Großteil ihrer Zeit alleine innerhalb ihrer eigenen Gedanken verbringt. Philipp und Sophie fordern sie heraus, sodass sie neue Richtungen einschlägt. Solange bis sie auf ein Hindernis trifft und sich wieder alles von Neuem verändert. Das ist wie Physik. Irgendetwas, ich stelle mir da sowas wie einen riesigen Felsbrocken vor, kommt in Bewegung und er rollt solange auf dem Asphalt bis er auf etwas Anderes trifft, das wiederum etwas Neues mit ihm macht. Er könnte schneller werden, fallen, gegen eine Statue knallen, die dann wiederum umkippt und eine Kerbe in einen Baumstamm reißt. Vielleicht ist da auch gar keine Statue, sondern eine Wasserfontäne, die den Felsbrocken meterhoch in den Himmel schießt, sodass er in den Wolken verschwindet. So ist es auch mit Menschen. Theoretisch könnte alles passieren, wenn ich auf jemanden zugehe.”
Ist „Fuchsteufelsstill” auch ein Roman über Freundschaft?
„Darüber muss ich kurz nachdenken … ja, auf jeden Fall. Bei Philipp geht es womöglich darüber hinaus, aber wer weiß das schon so genau. Und obwohl Sophie manchmal unheimlich nerven kann, hört Juli ihr zu – wenn es sein muss die ganze Nacht. Sie sind ehrlich zueinander, selbst oder vor allem dann, wenn es weh tut. Zwischen den Dreien gibt es keine Höflichkeit, was natürlich auch an den Umständen liegt, unter denen sie sich kennenlernen. Alle drei befinden sich in einer der unbequemsten Situationen in ihrem Leben. Das, was sie zu kennen glaubten, ist ihnen fremd geworden und dann treffen sie in einer psychiatrischen Klinik aufeinander. Ein Ort an dem es, trotz der vorhandenen Tagesstrukturen, keine allgemeingültige Normalität mehr gibt. Wie ein weißes Blatt Papier. Da gibt es weder Raster noch Linien, die von Anfang an klarstellen, wie sie sich verhalten sollen und wer sie zu sein haben. Alles ist erlaubt, was erleichternd und gleichzeitig auch fürchterlich beängstigend sein kann.”
In der Widmung zu deinem Buch schreibst du: „Für Sarah – die mir die Welt übersetzt.” – Ist dein Roman auch ein Versuch, deine Welt zu übersetzen?
„Das war überhaupt nicht mein erster Gedanke, nein. Fuchsteufelsstill ist kein Sachbuch und es ist auch keine Geschichte über Autismus. Dieser Aspekt ist einfach nur zufällig dabei. Eine Übersetzung ist ja etwas, bei dem ich von der einen Sprache in die andere umwandle, dazu muss ich beide Sprachen außerordentlich gut kennen und das tue ich nicht. Was mich zu dem Zeitpunkt am meisten interessierte war das Thema Angst. Ich glaube, das ist eins der stärksten Gefühle, die man empfinden kann und unter denen man die absurdesten Dinge fabriziert. Vor allem, wenn man versucht ihr aus dem Weg zu gehen. So fürchterlich spannend. Also habe ich sehr viele Menschen um mich herum, gefragt, wie sich Angst für sie anfühlt und wovor sie sich fürchten. Nicht so kleine Ängstlichkeiten, sondern das was sie nachts wachhält. Ich wollte wissen, was genau Angst ist, wie sie funktioniert und was man alles mit ihr anstellen kann.”
Niah Finnik: „Fuchsteufelsstill”, Ullstein Verlag, April 2017, 304 Seiten, 14,99 Euro.
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