Selbstständig sein bedeutet für viele selbst und ständig zu arbeiten. Sie übernehmen jede Tätigkeit, die gerade anfällt und wo Not am Mann (oder der Frau) ist. Anstatt sich auf die unternehmerischen Aufgaben zu konzentrieren, werden sie zur billigsten Arbeitskraft im Unternehmen und gelangen ganz rasch an das Ende ihrer Ressourcen.
Als Unternehmer arbeitet man selbst und ständig
Vor fast
einem Jahr saß ich mit einem anderen Unternehmer bei einem Business-Lunch. Wir
erzählten uns die letzten Neuigkeiten und an welchen Projekten wir gerade
arbeiteten. Und plötzlich – ich kann mich gar nicht mehr an den Auslöser
erinnern – wurde eine Lawine bei ihm losgetreten. Er beklagte sich über zu viel
Stress. Dass er nicht mehr richtig schlafen könne. Dass er fast Tag und jede Nacht
arbeite und an einem Burnout vorbei schramme. So würde er das nicht mehr lange
aushalten.
Dieser
Unternehmer ist im produzierende Gewerbe tätig und hat fünf Mitarbeiter. Er
konnte sich nicht über zu wenig Aufträge beklagen. Allerdings blieb unterm
Strich einfach zu wenig Geld über. Er arbeitete immer mehr und mehr und
trotzdem stieg sein Kontostand nicht an.
Alle meine
spontanen Vorschläge – mehr Mitarbeiter, Arbeit delegieren, weniger Aufträge
annehmen – wurden mit einem heftigen „Das geht alles nicht“ vom Tisch gewischt.
Zusätzliche Mitarbeiter: kein Geld. Arbeit an vorhandene Mitarbeiter
delegieren: keine Zeit. Keine zusätzlichen Aufträge: keine Chance, das würde
den Konkurs bedeuten.
Und dann
kam ein Satz, der mich wirklich aufhorchen ließ: Wenn er die ganze
überschüssige Arbeit erledige, dann koste es ja das dem Unternehmen nichts.
Wie jetzt?
Was heißt das kostet dem Unternehmen nichts?
Realität in der Selbstständigkeit: Mädchen für alles
Naja,
meinte er. Er hat ja kein fixes Gehalt, zahlt sich keine Überstunden aus, er
näme sich nur das aus dem Unternehmen, was gerade überbleibt. Das ist mal
mehr, mal weniger. Derzeit halt gerade weniger. Dafür arbeitete und arbeitete er
und war zum Mädchen für alles geworden. War irgendwo Not am Mann, sprang er
ein.
Ich musste
ziemlich verdutzt dreingeschaut haben. Denn er fragte mich, was ich denn habe?
Was ich
habe?
Und mit
dieser Frage trat er im Gegenzug bei mir eine Lawine los. Ich rechnete ihm vor,
wie hoch sein Stundensatz ist. Der belief sich in manchen Monaten auf nicht
einmal zehn Euro.
Ja, das
kannst du doch so nicht rechnen.
Und wieso
bitte, kann ich das so nicht rechnen?
Ein
Trugschluss – und wahrlich ist er da nicht alleine. Er geht davon aus,
dass der Unternehmer (oder die Unternehmerin) dazu da ist, alle Tätigkeiten zu
erledigen, die gerade anfallen. Auch wenn dann der Stundensatz unter dem einer
Aushilfskraft fällt.
Aber – wir
sind Unternehmer! Wir leisten unseren Beitrag zur Wirtschaft. Wir schaffen
Arbeitsplätze. Wir zahlen Steuern. Und vor allem: wir müssen die Aufgaben eines Unternehmers übernehmen.
Wie ist das
mit einem Stundensatz von zehn Euro zu rechtfertigen?
Gar nicht!
In meiner Branche geht das nicht!
Jetzt
antwortest du vielleicht auch, wie dieser Unternehmer, dass du in deiner
Branche keine höheren Preise verlangen kannst.
Bist du dir
wirklich sicher?
Ich kenne
Schmuckdesigner, die für eine Kette 10.000 Euro verlangen. Und dieser hohe Preis
ist nicht alleine durch ein wertvolleres Material zu erklären. Es gibt
Fotografen, die 5.000 Euro verlangen, damit du dich für eine Stunde vor ihre
Linse stellen darfst. Es gibt Vortragende, die keine Rede unter 3.000 Euro
schwingen – und das für 30 Minuten.
Also ist
das Argument „in meiner Branche geht das nicht“ nicht gültig.
Nur wie
machen die anderen das? Sind sie tatsächlich besser? Können die mehr? Wissen
die etwas, was andere nicht wissen?
Kennst du deinen Wert?
Nein, die
wissen auch nicht mehr. Sie haben es sich nur abgewöhnt auf den „marktüblichen“
Preis zu schielen. Stattdessen definieren sie ihren eigenen Wert. Den Wert für
ihre Arbeitsstunde und den Wert ihres Produktes. Sie sehen sich als
Unternehmer(in) und nicht als billige Arbeitskraft. Und sie wissen, wenn sie
die richtigen Aufgaben – unternehmerische Aufgaben – verrichten, sie in der
Stunde hunderte, ja vielleicht sogar tausende Euros verdienen können.
Sie kämen
gar nicht auf die Idee, Zehn-Euro-Tätigkeiten zu verrichten. Nicht weil sie
sich zu gut dafür sind. Nein, ganz und gar nicht. Wahrscheinlich haben sie in
ihren Anfängen auch alle Tätigkeiten selbst erledigt. Aber irgendwann haben sie
sich für das Unternehmer-Dasein entschieden. Und zwar für das wirkliche. Und
das bedeutet, dass sie in der Zeit, wo sie eine unwichtige E-Mail beantworten
könnten, lieber einen Kunden an Land ziehen. Und lassen die E-Mail jemanden anderen
schreiben.
Wie ist das
bei dir? Machst du auch alle Tätigkeiten, die so in deinem Unternehmen
anfallen? Weil du meinst, du kannst es dir nicht leisten, Arbeiten abzugebe?
Du kannst
es dir nicht leisten, weil:
1. Du ganz am Anfang stehst und (noch)
nicht genug verdienst. Vielleicht macht es am Anfang eines Business noch Sinn, viel auszuprobieren und
zu lernen. Aber voraussichtlich wirst du sehr bald drauf kommen, dass du
einfach nicht alles machen kannst und auch nicht machen möchtest.
2. Du steckst schon mittendrin im Chaos
und hast den Zeitpunkt verabsäumt, rechtzeitig gegen zu steuern. Neue
Mitarbeiter kannst du nicht anstellen, dafür reicht aktuell das Geld nicht. Die
vorhandenen Mitarbeiter sind schon so ausgelastet, dass sie keine zusätzlichen
Aufgaben vertragen. Jemanden neuen einschulen, dafür reicht die Zeit nicht, da
machst du es lieber selbst.
Ein Ausweg aus dem Dilemma
Bist du in Kategorie eins, hast genügend Reserven und bist noch
am lernen, dann stehen dir noch alle Türen offen. Um gar nicht erst in
Kategorie zwei zu landen, schlage ich dir folgendes vor:
1. Überlege dir, welche Aufgaben du
richtig gut erledigst, dir unheimlich viel Spaß bereiten, dir leicht von der
Hand gehen UND dich und dein Unternehmen vorwärtsbringen.
2. Welche Tätigkeiten machst du zwar
jetzt, machen dir aber nicht wirklich Spaß und sind KEINE unternehmerischen
Aufgaben?
Diese Arbeiten sind ganz sicher bei anderen besser aufgehoben. Such
dir bereits am Anfang Personen und Unternehmen, denen du Probeaufträge
übergeben kannst. Bist du mit der Leistung zufrieden, dann beschäftige sie
sukzessive immer öfter und öfter.
Bist du bereits in Kategorie zwei gelandet, dann wird es
schon etwas schwieriger. Und zeitaufwendiger. Denn dann bist du bereits an den
Grenzen deiner Ressourcen (Geld, Zeit, Energie, Wissen) angelangt oder sogar
schon darüber hinaus gestiegen.
Hier ist es meist notwendig einen harten Schnitt zu
machen und eine größere Veränderung einzuleiten.
Wichtig: rechtzeitig Strukturen verändern
Leider übersehen viele Selbständige den Zeitpunkt, an dem
sie sich in die Abwärts-Spirale begeben. Das ist auch ganz unabhängig von
Branche oder Anzahl der Mitarbeiter. Zu erkennen, welche Aufgaben du als
Unternehmerin übernehmen solltest und welche du gerne delegieren kannst, ist
ein ganz wesentlicher Schritt, um nicht in der Tretmühle zu landen. Das
gilt auch für Solopreneure. Auch diese können nicht alles alleine
machen. Entweder weil ihnen das Wissen fehlt oder die Zeit. Lenken sie da nicht
rechtzeitig ein und bringen ihr Unternehmen nicht auf Kurs, sind Geld und Energie
auch sehr bald Mangelware.
Was ist nun aus unserem Unternehmer geworden? Er hat die
Reißleine gezogen und eine Kursänderung vollzogen. Gemeinsam haben wir die
nächsten Monate daran gearbeitet, sein Business wieder auf solide Beine zu
stellen. Es waren harte Monate, keine Frage. Auch heute arbeitet er noch sehr
viel. Aber zu mindestens sind die Wochenenden jetzt tabu und Urlaub wird auch wieder
regelmäßig gemacht.
Selbständig bedeutet eben nicht selbst und ständig!
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