Foto: Hermes Rivera I Unsplash

Wenn Freiheit zu Unsicherheit wird – die andere Seite der Selbständigkeit

Ein Beitrag über die Höhen und Tiefen der Selbständigkeit, das Gefühlschaos als Gründerin oder Gründer und die vielen Unsicherheiten, die die „Freiheit” mit sich bringt.

 

Die Ängste der anderen vor der Selbstständigkeit

„Du bist aber mutig!“, „Ich könnte das ja nicht.“, „Du weißt schon wieviel Krankenversicherung man dann zahlen muss?“, „Läuft es gut?“ Statements oder Fragen dieser Art hört man häufig, wenn man sich selbständig macht oder Gründerin bzw. Gründer ist. Ich nenne es gerne die „Ängste der anderen“ die dann wie Wellen auf einen zurollen. 

Als ich letztes Jahr entschieden habe, mich selbständig zu machen, musste ich aufpassen, dass diese vielen Ängste und Meinungen der anderen mich nicht von meinem Weg abbringen würden. Das kann ganz schnell passieren, denn es ist überhaupt nicht leicht, sich von den Meinungen der anderen frei zu machen. Ich habe innerlich viel mit den Äußerungen anderer und meinen inneren Bildern und Gedanken gekämpft: Mache ich das richtige? Traue ich mich wirklich? Bin ich zu naiv? Vielleicht haben sie recht, und ich schaffe das alleine nicht?

Mitten im Wirrwarr aus Ängsten und Unsicherheiten

Ich habe lange gebraucht, bis ich mich getraut habe. Mit dem Gedanken und vielen Ideen im Kopf ging ich schon eine ganze Weile „schwanger“, tat es aber erstmal als „Hirngespinst“ oder „Träumerei“ ab, erinnerte mich an die komfortable Situation der Anstellung und verwarf den Gedanken an eine Selbständigkeit schnell wieder. 

Wenn diese Idee aber nicht nur im Kopf sitzt, sondern auch im Herzen und man damit eine Vision umsetzen kann, dann meldet sich eine innere Stimme immer und immer wieder – bis man ihr zuhört. Manchmal hilft auch ein Schups von außen. Ich habe diesen von meinen damaligen Kolleginnen bekommen. Die haben schon gespürt, dass eine große Idee in meinem Herzen wächst. Und irgendwann führte kein Weg mehr dran vorbei. 

Selbständigkeit = Mut gepaart mit Zweifel

Wenn man gründet, dann ist da so eine schöne, besondere Energie, die einen antreibt, die einen jeden Tag aufstehen und dranbleiben lässt. Es ist eine Vision, die man verwirklichen will, eine Veränderung, die man erreichen möchte, eine Herausforderung, die einen lockt, ein Produkt, von dem man komplett überzeugt ist. Dafür gibt man alles. 

Doch es gibt eben nicht nur diese Höhenflüge. Es gibt viele kleine Affen, die einem auf der Schulter sitzen und z.B. die Statements oder Fragen der anderen mantramäßig wiederholen oder einem ins Ohr flüstern, man wäre nicht gut genug. Dann kommen Zweifel, Sorgen und Ängste auf, man ist sich plötzlich gar nicht mehr sicher, ob das wirklich der richtige Weg ist.

Dazu kommen Zeiten in der Anfangsphase der Selbständigkeit oder auch der ersten Jahre einer Startup-Gründung, in denen man zurückstecken muss: zeitlich, privat, finanziell. Gründen ist rundum eine Investition. Und der Zauber der Vision trägt einen eben nicht alleine, so wie wir leider auch nicht von Luft und Liebe allein leben können.

Nach außen hui, nach innen pfui

 Das sind dann Phasen, in denen es einem nicht gut geht. Innerlich fühlt man sich klein und ausgelaugt. Und der Affe schreit: „Angst, Angst, Angst.“ Man hat Zweifel, dass man die nötigen Zahlen nicht schafft, die man sich als Ziel gesetzt hat und bekommt Angst, zu scheitern. 

Erschwerend kommt hinzu, dass man sich und das eigene Business nach außen strahlend verkaufen muss, weil man weiter wachsen will, eine nächste Finanzierungsrunde überstehen oder eine neue Investorin oder einen Kunden gewinnen möchte. Eigentlich ist einem danach, sich zu vergraben und niemanden zu sehen. Man hat keinen Bock morgens ins Büro zu gehen oder sich an den Rechner zu setzen. Besonders schwierig ist es, wenn man Mitarbeiter hat, denen gegenüber man sich den kompletten Frust nicht anmerken lassen darf.

Aushalten statt Dauer-Aktionismus

Aushalten heißt das Zauberwort für Selbständige und Gründer. Natürlich wird man auch aktiv und macht z.B. mehr Marketing-Arbeit, geht mehr auf Netzwerkveranstaltungen und ist aktiver auf seinen Social-Media-Kanälen. Doch das sollte nicht alles sein. Immer nur machen, machen, machen kann die Angst noch mehr schüren. Dann entstehen Teufelskreise. Man schafft es nicht mehr zur Ruhe zu kommen, denn wenn man Ruhe hat, dann werden die inneren Stimmen und Zweifel laut. Die Strategie „aktiv bleiben“ ist tatsächlich weit verbreitet unter Gründerinnen und Gründern. 

Als Coach empfehle ich allerdings das totale Gegenteil. Nachdem man erledigt hat, was man in diesem Moment tun kann, sollte man eine Pause machen und sich im Loslassen üben. Wir können nie alles kontrollieren und planen. Selbständigkeit lebt von Flexibilität. Wenn uns diese abhanden kommt, dann verkehrt sich die Freiheit dieses Arbeitsmodells in bedrohliche Haltlosigkeit.

Loslassen üben & Stärke von innen entwickeln

„Wie schaffe ich es, mich weniger fertig zu machen?“, „Wie baue ich Vertrauen in mich und die Sache auf?“, „Wie werde ich stabiler und resilienter?“ – drei Beispielfragen, die mir als Coach häufig gestellt werden. Und die Antwort: innere Stabilität und Stärke aufzubauen. Je stabiler und entspannter wir mit uns selbst und unserer aktuellen Situation sind, desto leichter können wir die Dinge nehmen und eine gesunde Distanz dazu aufbauen. Desto weniger können uns unsere inneren Dialoge übermannen und Kraft rauben. Ich empfehle an dieser Stelle gerne, zu üben mit sich alleine zu sein und die Ruhe auszuhalten. 

Dann hören wir, was in uns vor geht und können erkennen, was uns so eine Angst macht. Das kann erstmal schwer aushaltbar und erschreckend sein, da wir feststellen werden, dass wir es selbst sind, die uns Stabilität und innere Stärke nehmen. Wenn wir nach und nach unseren Strategien auf die Schliche kommen, erkennen, wann wir wie mit uns selbst reden und uns bewusst darüber werden, was welche Gefühle in uns auslöst und welche Handlungen folgen, dann entwickeln wir sogenannte „Selbstführungsmechanismen”, lassen uns weniger von außen leiten, sondern sind sicherer darin auf uns selbst zu hören. 

Kleiner Tipp: Fangt doch mal an ein Journal zu führen oder schreibt euch auf dem Smartphone Notizen auf. Je mehr wir auf uns selbst hören und vertrauen, desto mehr Stabilität und Stärke werden wir spüren, denn die kann nur von innen und nie von außen kommen!


Dieser Beitrag ist zuerst auf Kathalin’s Webseite erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht. 

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