Foto: Screenshot des heute-journals vom 12.7.2017

Antifeminismus im Heute-Journal: Claus Kleber interviewt Maria Furtwängler

Fantastisch: Maria Furtwängler und die Uni Rostock veröffentlichen eine Studie, die an einem Geschlechterungleichgewicht in Film und Fernsehen keinen Zweifel mehr offen lässt. Wirklich keinen Zweifel? Ein Interview des heute-journals von Claus Kleber mit Maria Furtwängler beweist leider das Gegenteil.

 

Fakten zu Frauen im Fernsehen

Die Schauspielerin Maria Furtwängler hat in der vergangenen Woche gemeinsam mit der Universität Rostock und der MaLisa-Stiftung, die sie und ihre Tochter leiten, eine Studie zu der Repräsentanz von Mädchen und Frauen im Fernsehen veröffentlicht, über die wir auch bei EDITION F schon berichtet haben. Das wenig überraschende Ergebnis: Protagonistinnen sind stark unterrepräsentiert. Werden zum Beispiel Expertinnen und Experten für Sendungen befragt, sind nur 21 Prozent davon Frauen, 79 Prozent der Experten-Statements stammen von Männern. 

Sophie Charlotte Rieger,  Gründerin des feministischen Magazins „Filmlöwin“, hat das Heute-Journal-Interview von Claus Kleber mit Maria Furtwängler zur Studie, das für zahlreiche Reaktionen sorgte, noch einmal genau analysiert. 

War das Interview neutral?

Über das unheilvolle Gespräch ist schon einiges geschrieben worden, unter anderem sehr treffend von der geschätzten Kollegin Magarete Stokowski, die die Aussagen Klebers bereits kritisch unter die Lupe genommen und ihre Problematik zum Teil offen gelegt hat. Ich möchte an dieser Stelle aber noch einen Schritt weitergehen, einen noch genaueren Blick auf seine Wortwahl werfen und sie als Beispiel für einen aggressiv antifeministischen Diskurs heranziehen, der im deutschen Fernsehen für mein Empfinden keine Plattform verdient hat.

Screenshot des heute-journals vom 12.7.2017

„Haben sie eine Agenda damit?“

Claus Kleber kommt schnell zur Sache. Muss er auch, denn er hat ja nicht viel Zeit für dieses Gespräch:

„Sie schauen ja nicht nur Fernsehen und Filme“, spricht er zu Maria Furtwängler, „sie machen es auch. Sie kennen das Business. Wozu brauchten sie Zahlen aus dieser Analyse oder haben sie eine Agenda damit?“

Mein lieber Herr Kleber, denke ich sofort bei mir, wie soll eine Studie denn keine Agenda besitzen? Natürlich steht am Anfang dieser Datenerhebung eine These und auch ein Interesse und wie schade wäre es, all diesen Aufwand zum Selbstzweck zu treiben? Was ist denn der Sinn einer Studie anderer als jener, aus dem Erkenntnisgewinn auch eine Handlungsstrategie zu entwickeln?

Das Wort Agenda tritt hier als Vorwurf in Erscheinung, als wäre es per se etwas Schlechtes sich für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen. Dieser Vorwurf bringt Maria Furtwängler bedauerlicher Weise von der ersten Interviewminute an in die Defensive. Sie ist hier nicht im Fernsehen, um ihre Studie vorzustellen oder zu erklären, sondern um sie zu rechtfertigen und zwar gegen eine Ansammlung rhetorischer Fragen aus dem Lehrbuch für Troll-Maskulinisten. Wie kann sie hier anders reagieren, als ihre eigene Agenda zu leugnen, die sie zweifelsohne und dankenswerter Weise sehr wohl besitzt. Sie spricht von „diffusen Gefühlen“, denen sie Zahlen und Fakten gegenüber stellen wollte und macht sich in ihrer grundsätzlich bewundernswerten Diplomatie damit bedauerlich klein. Denn es geht hier nicht um diffuse Gefühle einer Einzelperson, sondern um schwerwiegende Erfahrungswerte einer ganzen Bevölkerungsgruppe.

Screenshot des heute-journals vom 12.7.2017

„Was sie wollen, ist eigentlich: das Publikum umerziehen“

„Kann es nicht sein, dass Hollywood zum Beispiel oder auch die großen deutschen Fernsehsender, die haben ein ganz feines Gefühl dafür, sehen das ja auch in ihren Einschaltquoten, was das Publikum sehen will. Und wenn das Publikum was anderes sehen wollte, dann würden die sich wahrscheinlich, Hollywood zu allererst, kräftig umstellen. Das heißt, was sie wollen, ist eigentlich: Das Publikum umerziehen.“

Damit geht Claus Kleber von der Fragerunde direkt in den Angriff über. Das haarsträubende Argument, Einschaltquoten seien bei der Messung von Publikumsvorlieben das non plus ultra, möchte ich hier mal großzügig zur Seite stellen. Das ist eine Diskussion für einen anderen Tag.

„Das heißt, was sie wollen, ist eigentlich: Das Publikum umerziehen.“ – Dieser Satz ist aus so vielen Gründen ebenso fatal wie auch hoch peinlich. Ich möchte hier einmal vorgreifen, denn zu einem späteren Zeitpunkt wird Herr Kleber sich dieser Wortwahl noch ein weiteres Mal bedienen. Es geht inzwischen um das Geschlecht von Sprecher_innen und Kleber meint, es gäbe ja auch viele Frauen*, die sich Dokumentationen lieber von einer Männer*stimme erklären ließen. „Wahrscheinlich ist das ja anerzogen und Sie wollen jetzt umerziehen. Ist das so?“, ist seine daran anschließende rhetorische Frage.

Wie Stokowski in ihrer Spiegel-Online-Kolumne schon verdeutlichte, bedient sich Kleber mit dem Wort „Umerziehung“ eines Begriffs aus der politisch rechten Ecke. Das alleine ist bereits – gelinde gesagt – unter aller Kanone, aber glücklicher Weise auch entlarvend für seine Person. Allerdings passiert noch etwas anderes, sehr gravierendes: ein Framing. Framing ist ein Begriff aus Kommunikationswissenschaft und beschreibt einen unbewussten Vorgang unseres Verstandes, der Begriffe in einen Bedeutungs- und eben auch Wertungskatalog einordnet. Framing ist das was passiert, wenn wir bei „dick“ immer automatisch an „hässlich“ denken, oder bei „behindert“ Mitleid empfinden oder vielleicht auch bei „Flüchtling“ Angst. Das Problem am Framing ist, dass es nicht „negativ“ funktioniert. Also selbst, wenn ich sage: „Geflüchtete sind gar nicht böse“, bleibt im Gehirn dennoch die Verkettung der Worte „Geflüchtete“ und „böse“ hängen. Deshalb sind diese Beispiele eigentlich schrecklich kontraproduktiv: Statt sie zu dekonstruieren, fördern sie unsere unheilvollen Verknüpfungen, weshalb ich mich auf diese wenigen Sätze zu Erklärungszwecken beschränken möchte. Für das Interview zwischen Maria Furtwängler und Claus Kleber bedeutet das übrigens, dass, egal was erstere zu dem Vorwurf der Umerziehung entgegnet, die kognitive Verknüpfung des Begriffes mit ihrer Person, ihrer Studie und ihres Anliegens hiermit besiegelt ist. Für eine ziemlich lange Zeit, werden die Zuschauer_innen dieser Sendung bei der Furtwängler-Studie – bewusst oder unbewusst – an Umerziehung denken. Danke, Herr Kleber.

Das Wort Umerziehung hat in diesem Kontext und mit dem Tonfall, mit dem es ausgesprochen wird, eine beträchtliche aggressive und vor allem negative Konnotation. Es geht hier nicht um Bildung, um Sensibilisierung für ein Thema, um Aufklärung, also nicht um ein Angebot, das den Adressat_innen das Recht auf freie Entscheidung überlässt. Umerziehen impliziert eine Form von Zwang, einen Angriff – ergo eine Bedrohung.

Screenshot des heute-journals vom 12.7.2017

„Das scheint mehr und mehr ein weibliches Geschäft zu werden“

Das aber ist nicht die einzige Ebene, auf der Frau Furtwängler und ihre Mitstreiter_innen die Menschheit oder doch zumindest Deutschland bedrohen. Zu den Begriffen „Agenda“ und „Umerziehen“ fügt Claus Kleber nämlich noch einen dritten hinzu: Dominanz. Und es gibt freilich nichts Furchterregenderes als dominante Frauen*.

„Reden wir mal über die Nachrichten. Auch das haben sie ja untersucht. Und da stelle ich als Vater von zwei Töchtern mit großer Freude fest, dass die Frauen das inzwischen fast dominieren. (…) Sowohl Reporterinnen als auch Korrespondentinnen als auch Leitungsfunktion… haben die Frauen ganz wichtige Stellen erobert. Dominieren fast das Bild. (…) Und das scheint mehr und mehr ein weibliches Geschäft zu werden.“

Kurz zusammengefasst die Ergebnisse der Furtwängler-Studie: Im Segment „Information“ machen Frauen* 36 Prozent der Journalistinnen, 47 Prozent der Moderatorinnen, 28 Prozent der Sprecherinnen und 21 Prozent der Expertinnen aus. Wie das mit dem Eindruck zusammengeht, Frauen* würden diesen Bereich „dominieren“, möge mir Herr Kleber mal erklären. Dass er zwei Töchter hat, interessiert mich übrigens nicht die Bohne. Diese sehr klassische Strategie, sich allein durch Vaterschaft als Alliierter des feministischen Unternehmens zu tarnen und damit den eigenen antifeministischen Äußerungen mehr Gewicht zu verleihen, ist haarsträubend und unsinnig. Nur weil ein Mann* Töchter hat, ist er noch lange kein Feminist. Wenn das so wäre, wäre diese Welt eine bessere. Und Herr Kleber würde nicht so dämliche Fragen stellen. Aber auch das soll hier eine Randbemerkung bleiben.

Eindeutig in der Unterzahl werden Frauen* bereits als dominierende Gruppe empfunden, die sich scheinbar gleich einen ganzen Berufszweig einverleiben möchte: „Und das scheint mehr und mehr ein weibliches Geschäft zu werden.“ An dieser Stelle besteht wohl kein Zweifel mehr daran, dass Herr Kleber die Hosen voll hat, dass seine Rhetorik der feministischen Bedrohung in den eigenen Ängsten wurzelt, die er als renommierter Nachrichtenmensch hier ungestraft und sehr subtil direkt auf sein Publikum überträgt.

Screenshot des heute-journals vom 12.7.2017

„Wollen sie jetzt Benjamin Blümchen gendermainstreamen?“

Claus Klebers Angst ist dieselbe Form gefühlter Bedrohung, die Internet-Trolle dazu verleitet, meine feministischen Blockbusterkritiken respektlos zu verreißen. Es ist dieselbe gefühlte Bedrohung, die manchen Männern* dabei im Weg steht, sich an feministischen Diskursen zu beteiligen, weil sie die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit als Angriff jener Dinge empfinden, die ihnen doch verdammt noch mal zustehen. Das ist zum Teil natürlich wahr, denn Gleichberechtigung zieht die Aufgabe von Privilegien auf Seiten der Privilegierten nach sich. Das ist eine Grundregel für derlei gesellschaftliche Prozesse, die in diesem Fall nun mal vornehmlich weiße, heterosexuelle Männer* betrifft. Aber – ohne dieses Fass jetzt vollends aufmachen zu wollen – auch denen erfährt in einer gleichberechtigten Welt mehr Gerechtigkeit.

Aber zurück zu Claus Kleber und dem, was er bis zu diesem Punkt vermittelt hat: Maria Furtwängler hat nicht einfach nur eine Studie angestoßen, sie hat eine Agenda, einen Plan, eine Strategie und deren Inhalt ist: Umerziehung. Dabei haben Frauen* schon mindestens einen Bereich des Fernsehens erobert, besetzt, sich unterworfen. Ich muss zugeben, so zusammengefasst macht das selbst mir Angst!

Am Ende echauffiert sich Claus Kleber noch darüber, dass die Furtwängler-Studie auch das Geschlecht von Fantasiewesen erhoben hat (Ergebnis: 9 von 10 sind männlich*). „Wollen sie jetzt Benjamin Blümchen gendermainstreamen?“, fragt er und das klingt selbst in meinen Ohren plötzlich lächerlich, obwohl es das gar nicht ist. Vermutlich um seine eigene Angst zu bekämpfen zieht Claus Kleber hiermit die Studie „Audiovisuelle Diversität“ der Universität Rostock endgültig ins Lächerliche und bedient sich dabei ebenfalls einer klassischen antifeministischen Strategie, nämlich die, das absurdeste Beispiel von allen zu nennen. Dabei ist das einzig Absurde an diesem ganzen Interview eindeutig Claus Kleber selbst.

In meinen Augen gibt es nämlich keinen besseren Beweis für den drängenden Handlungsbedarf als den Verlauf dieses Gesprächs, die polemische Rhetorik, die antifeministischen Scheinargumente und die Respektlosigkeit des Interviewers. Wenn wir im Jahr 2017 immer noch solche Interviews führen, um im öffentlich rechtlichen Fernsehen über eklatante gesellschaftliche Missstände zu sprechen, dann ist es allerhöchste Eisenbahn etwas zu verändern. Und ja, das ist eine Agenda. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht kein Vorhaben ist, für das eins sich rechtfertigen muss. Gerechtigkeit ist keine Umerziehungsagenda. Sie ist eine moralische Verpflichtung!

Dieser Kommentar von Sophie Charlotte Rieger ist zuerst bei der Filmlöwin erschienen. Wir freuen uns sehr, das feministische Filmmagazin als Partnerin zu haben.

Mehr bei der Filmlöwin: „Audiovisuelle Diversität – Ist Maria Furtwängler die deutsche Geena Davis? 

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