Foto: Christiane Hübscher

Immer in Bewegung: Das Büro der Zukunft schafft die Schreibtische ab

Im Silicon Valley müssen Startups den heiß umworbenen Tech-Mitarbeitern ein All-Inclusive-Arbeitsumfeld bieten. Arbeit und Vergnügen fließen ineinander. Wer einen Job bei Evernote in der San Francisco Bay anfängt, kriegt ganz viel Freiheit dazu und lernt dabei sogar noch richtig Kaffee zu kochen.

 

Fit trotz Büroarbeit

Sie laufen wirklich bei der Arbeit. Fünf Laufbänder stehen mitten im Großraumbüro und sie sind alle belegt, als ich ins Office am Highway 101 komme. Die Kollegen walken jeweils für eine halbe Stunde oder länger, Sportklamotten oder Turnschuhe tragen sie dabei nicht, die Frauen laufen sogar auf Absätzen. Der Computer ist direkt ins Laufband integriert, manche stöpseln auch ihr Laptop ein. Und so tippen und programmieren sie quasi laufend. Ich staune. Das ist natürlich besser, als sich stundenlang den Hintern am Schreibtisch plattzusitzen. Aber ich weiß zugleich, dass das für mich kein Arbeitsmodus wäre: Ich gehöre leider zu den Menschen, die auf dem Laufband wirklich schwitzen und irgendwann mit knallrotem Gesicht abgehen. Ich wäre eine Zumutung für all meine Kollegen.

Die Firma Evernote hat mich eingeladen, ihr Headquarter anzuschauen. Da sage ich als ewig neugierige Journalistin natürlich nicht nein. Ich hatte schon davon gehört: Hier wollen sie ein hundertjähriges Startup bauen und die Arbeitswelt revolutionieren. „Wir bieten unseren Mitarbeitern solche Benefits, weil wir glauben, dass sie dadurch gesünder und aktiver werden”, sagt mir Linda Kozlowski, frisch ernannte COO, „und dann sind die Leute für uns wiederum produktiver bei der Arbeit.“ 

„Wir vertrauen Euch“

Auch WANN man arbeitet, ist den Mitarbeitern hier selbst überlassen. Den klassischen 9-to-5-Job gibt es bei Evernote nicht, auch keine 40-Stunden-Woche. „Jeder ist anders, ich bin zum Beispiel ein Morgenmensch, ich arbeite am besten um sieben Uhr morgens.”, erzählt Linda, „Dafür will ich abends früh fertig sein, damit ich dann etwas Schönes kochen kann. Und deshalb sorge ich dafür, dass andere auch genau dann arbeiten können, wenn es für ihren Biorhythmus am besten passt. Wenn das acht Uhr abends ist, sollten wir das erlauben. Es muss natürlich ein Mindestmaß an Überschneidung geben, damit die Leute wirklich noch zusammenarbeiten können. Wer fertig ist, kann gehen. Egal, wie lange er hier war.” Ich frage mich, ob ich mit so viel Freiheit wirklich umgehen könnte. Braucht man da nicht ein gutes Maß an Selbstdisziplin? Die Statistik bei Evernote zeigt aber, dass die Leute eher mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten.

Im zweiten Stock steht ein Selbstbedienungs-Automat. „Take what you need” steht drauf, aber drin sind nicht Schokoriegel und Cola, sondern Tastaturen, Adapter, Apple-Geschenkkarten und vieles mehr. Jamie Hull, VP Mobile Products, erklärt mir: „Die Idee heißt: Nimm, was Du brauchst. Wir wollen nicht, dass du erst drei Unterschriften einholen musst, um die Sachen zu bekommen, die du für Deine Arbeit brauchst. Wenn du eine neue Tastatur brauchst, nimm sie dir. Niemand wird dir hier Fragen stellen, wenn Du eine Apple-Geschenkkarte aus dem Automaten ziehst. Du kannst dir damit unkompliziert eine App kaufen, um zu testen, was du gerade programmiert hast. Wir glauben nicht, dass Du die Geschenkkarte für dich persönlich nutzt. Wir vertrauen unseren Mitarbeitern.”

Eine Welt ohne E-Mails?

Evernote ist die cloud-basierte Notizbuch-App, die nach eigenen Angaben weltweit mehr als 100 Millionen Menschen nutzen. Auch Unternehmen können intern mit der Software kommunizieren. Evernotes Zukunftstraum ist eine Welt ohne E-Mails. „Die Elektro-Post ist ein altmodisches Ablagesystem“, sagt Linda Kozlowski, „Leider wird es noch ein paar Jahre dauern, bis die Menschen umstellen auf modernere Kommunikationsformen. Ich jedenfalls schreibe nur noch ganz wenige Mails. Ich setze lieber auf persönlichen Kontakt. Wir machen zum Beispiel wieder mehr Meetings,” sagt sie und verschwindet in einem gläsernen Besprechungsraum. Später sehe ich sie noch einmal an einem Laufband stoppen und mit einem Kollegen diskutieren (während dieser natürlich weiterläuft). 

Weniger E-Mails fände ich auch gut, Filter in Büro-Software gegen ungewollte Informationsflut eine tolle Idee. Aber dafür mehr Meetings? Nein, danke. Die haben wir alle schon.

Schreib’s an die Wand

Was ich so auch noch nicht gesehen habe: Die Wände in diesem Büro sind ein einziges großes Whiteboard. Jeder kann hier seine Ideen einfach an die nächste Wand kritzeln. Andere dazuholen. Die schreiben auch was. Alle stehen, alles ist spontan. Manchmal wischt man das Gekritzel am Ende einfach weg. Und manchmal entsteht dabei etwas Neues. 

Für Jamie Hull, Führungskraft mit Anfang 30, ist das hier schon der dritte Job in einem Startup. „Hier im Silicon Valley probieren wir neue Sachen aus, denn unsere Arbeitswelt verändert sich rasend”, sagt sie. „Mein Vater hat noch 23 Jahre lang den selben Job gemacht, meine Kinder werden wahrscheinlich serviceleistende Freiberufler sein und für fünf, sechs Firmen gleichzeitig arbeiten müssen. Sie sollten gute Networker sein und mit der Informationsüberfluss umgehen können.“

Kaffee kochen als Networking-Tool

Und dann muss Jamie runter in die hauseigene Coffee-Bar, wo gleich ihre Schicht beginnt. Denn jeder der 400 Mitarbeiter kann freiwillig einen Barista-Kurs machen. „Und wenn du dann gelernt hast, wie die Kaffeemaschine funktioniert, kannst du hier Schichten hinterm Tresen machen – einmal die Woche oder einmal im Monat, ganz wie du willst. Das gibt dir die Chance, Kollegen aus anderen Abteilungen kennenzulernen”, schwärmt Jamie. Das kann ich mir irgendwie gut vorstellen: Vernetzung ganz nebenbei und sehr persönlich. Dann macht sie, die Chefin von Evernote mobile, mir noch schnell einen Cappuccino. 

Das perfekte Büro?

Draußen blinzele ich ein bisschen ungläubig in die kalifornische Sonne. Was war das jetzt? Der perfekte Startup-Traum? Wie realistisch ist das, dass wir alle arbeiten, wann, wie und so lange wir wollen? Wie viel Kontrolle, wie viel Druck muss sein im Job? Und soll das Büro zugleich mein Fitnessstudio sein? Vielleicht will ich mich doch lieber weiter nach Feierabend erst so richtig auspowern. Ohne dabei ein berufliches Projekt vor mir auf dem Bildschirm zu haben. Sicher ist nur: Unsere Büros, unsere Kommunikation werden sich verändern.

Und ihr? Arbeitet ihr noch oder lauft ihr schon? 

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