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Alltagsrassismus: „Nein, nur weil ich asiatisch aussehe bin ich nicht gut in Mathe!“

Unsere Community-Autorin Thea befasst sich in ihrer Textreihe „Asiatisch. Angepasst. Angekommen?“ mit der Südost- und Ostasiatischen-Community in Deutschland. Wie und in welcher Form erleben die Mitglieder dieser Community Alltagsrassismus?

Bescheiden, unauffällig und immer gut in der Schule …

Als Model-Minority in den USA oftmals als „Vorzeige-Immigranten“ hervorgehoben, haben Südost- und Ostasiaten auch in Deutschland unter Vorurteilen zu kämpfen. Für Fremde und auch Freunde wirken die Aussagen nicht immer wie Vorurteile oder gar Beleidigungen. Gut in Mathe sein, ruhig und zurückhaltend, sanft und angepasst – es sind keine negativen Eigenschaften, die mit Asiatinnen und Asiaten assoziiert werden, oder?

Wie nehmen Mitglieder der Südost- und Ostasiatischen-Community in Deutschland Reaktionen aufgrund ihre Abstammung wahr? Ich selbst fühle mich oftmals zweigeteilt. Entweder, ich bin angepasst, fast assimiliert, und surfe unauffällig unter dem Radar, oder ich falle aus der Reihe, bin unbequem und selbst für Bekannte mit ostasiatischen Wurzeln ein Fremdling. Ein Mittelweg? Fehlanzeige. Individualität? Ja, aber nur im Rahmen der vorgegebenen Möglichkeiten. Aus diesem Kokon musste ich raus; so entstanden meine Interviews.

Meine Reihe, die mit dem Thema „Alltagsrassismus“ startet, basiert auf Gesprächen, die ich mit tollen, starken Frauen führen durfte. Sie stammen größtenteils aus dem Westen Deutschlands: Berlin, Bremen, Hamburg und Nordrhein Westfalen. Ich bedanke mich hier ganz herzlich für das entgegengebrachte Vertrauen! Die Antworten sind zum Teil auf eigenen Wunsch anonymisiert.

Was ist für dich Alltagsrassismus?

Alltagsrassismus fängt bei scheinbar harmlosen Äußerungen an und geht weiter bis zu tätlichen Übergriffen. Laut Anne steht dabei immer das asiatische Aussehen im Vordergrund: „Du hast ein interessantes Aussehen, woher kommst du denn?“ Oftmals werden die Fragen nur auf Englisch vorgebracht oder von einem chinesischen „Ni Hao“ oder japanischen „Konnichi wa“ begleitet – ein normales „Hallo“ bleibt uns dagegen oft verweigert. Interessanterweise sind es fast immer Männer, egal ob Deutsche oder mit Migrationshintergrund, die sich dieser klischeebehafteten Begrüßung bedienen. Auf die Dauer ist das nicht charmant, sondern ermüdet und isoliert.

Dass Mikroaggressionen im Alltag von Nicht-PoC als Lappalie abgetan werden, passiert oft. Unsere Erlebnisse werden als Neugier oder Interesse an der Person abgetan, in der Masse sind sie aber nichts weiter als eine Belästigung. Denn Fragesteller wollen immer häufiger den gesamten Familienstammbaum wissen: „Was machen die Eltern? Woher kommen sie? Woher kommst du?“ Und sie lassen nicht locker. Im schlimmsten Fall gipfelt der Alltagsrassismus in körperlicher Gewalt; Ash K. berichtet von Schubsern in der U-Bahn oder von Tritten gegen das Schienbein.

Mikroaggressionen sind also alles andere als harmlos. Mitunter eskalieren sie sogar in Form von Handgreiflichkeiten. Die Straßenseite zu wechseln oder in Millisekunden sein Gegenüber einschätzen zu müssen: „Bin ich in Gefahr? Sage ich jetzt was? Laufe ich weg?“ Diese Überlegungen sind leider für viele von uns bittere Realität.

Du bist kein Ausländer. Und doch nicht Deutsch.

Manchmal schwankt man als Person zwischen der Rolle als Verteidiger oder als Botschafter für ganz Asien. Neben dem gesellschaftlichen Zwang, sich permanent rechtfertigen zu müssen, warum und das man Deutsch ist, wird man ungefragt und öfter als es einem lieb ist, in die Funktion einer Sprecherin für den Kontinent Asien gedrängt. Die liebe, „Vorzeige-Asiatin“, die selbstverständlich nicht gemeint ist, wenn Nicht-PoC über „Ausländer“ sprechen. Denn Asiatinnen sind in der Regel ruhig, mucken nicht auf und mischen sich nicht ein – so der Konsens (der nicht stimmt).

Was hat das zu bedeuten? Bei Themen, die die Diversität betreffen, werden Südost- und Ostasiaten sehr oft ausgeklammert und werden nahezu unsichtbar. Denn angeblich sind wir bereits angepasste Deutsche – die nur immer wieder nach ihrer Herkunft gefragt werden.

Dein Aussehen ist deine Währung

Es ist ganz gleich, ob man die Sprache der Eltern, die als Einwanderer nach Deutschland kamen, überhaupt nicht beherrscht und Deutsch als eigene Muttersprache ansieht. Basics wie Begrüßungen im Supermarkt, Verabschiedungen im Laden oder andere Interaktionen werden vom Gegenüber stoisch verweigert und gestalten den Alltag gelegentlich zu einem Spießrutenlauf. Servicewüste Deutschland? Menschen zweiter Klasse? Das Gefühl, in der eigenen Heimat nicht willkommen zu sein, setzt sich Tag für Tag fort.

„Othering“, nennt Sina dieses Verhalten.  Die Andersmachung im Alltag, die sich auf verschiedenen Ebenen durchsetzt und ausbreitet. Seien es nett gemeinte Komplimente, schiefe Blicke, Ignoranz oder verbale und physische Gewalt – unser Dasein wird fremdbestimmt. Die Hautfarbe und die Religionszugehörigkeit entscheiden in Deutschland über die Rezeption, die man erhält. Rassistische Polizeikontrollen sind ein extremes Beispiel dafür.

Fremdbestimmt im Alltag?

Du sprichst aber gut Deutsch! Woher kommst du? Woher kommst du wirklich? Woher kommen deine Eltern? Was machen deine Eltern?

Diese Fragen sind eine Konstante bei allen Befragten und begegnen uns jeden Tag. Sei es in der Bahn, im Restaurant, im Kino, beim Bäcker oder beim Einwohnermeldeamt – es gibt kein Entkommen. Es signalisiert uns, dass wir niemals dazugehören werden. Wir sind anders, sind kein Teil des großen Ganzen und bleiben auf ewig Zuschauerinnen. Der Vorschlag, dieses Verhalten zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen, kommt dem Hissen einer weißen Flagge gleich.

Identität ist selbstverständlich nicht einfach, es ist ein komplexes Gebäude voller Falltüren – und verändert sich konstant. Dass die oben genannten Fragen bei fast allen Befragten durchgehend vorkamen, zeigt aber, dass es in Deutschland am Bewusstsein und an der Sensibilität für Diversität noch fehlt.  Auch wenn es für alle Beteiligten nervt, langweilt und schmerzt – wir müssen darüber reden. Nicht, weil Alltagsrassismus kein Alltag mehr werden soll, sondern, weil Alltagsrassimus längst Alltag geworden ist.

Alltagsrassismus ist nicht immer eine Faust im Gesicht, sondern oft ein subtiles Lächeln, hinter dem sich Abgründe verbergen.

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