Foto: WDR/Nola Bunke

Ralph Caspers: „Im Grunde habe ich von nichts eine Ahnung“

Leute mit Kindern kennen ihn womöglich aus der „Sendung mit der Maus“: Ralph Caspers erklärt im Fernsehen, wie die Welt so funktioniert. Im Interview spricht er über Experten im Fernsehen, ihre Rolle als Vermittler und welche Verantwortung sie tragen.

 

Die Relevanz von Fernsehen in Zeiten des Internets

Kaum ein Medienbericht kommt ohne Verweis auf „die Experten“ aus, keine politische Entscheidung ohne Gutachten. Wir sind umzingelt von Coaches und Lobbyisten, von Ernährungs- und Stilberatern, Wirtschaftsexperten, Quacksalbern und Trendforschern. Vor kurzem ist ein Sammelband erschienen, der die Frage stellt: Wer ist eigentlich Experte – und wer tut nur so? Welche Meinung ist noch unsere und welche von Experten gemacht? Für das Buch haben wir Ralph Caspers zum Interview getroffen, einer jener Experten, der im Fernsehen die Welt erklärt. Ralph ist Moderator bei „Wissen macht Ah!“, „Quarks und Co.“, der „Sendung mit der Maus und „Du bist kein Werwolf“. Sein Job ist es, Wissen zu vermitteln – vor allem Kindern und Jugendlichen. Woher er dabei seine Informationen bezieht und weshalb das Fernsehen auch heute noch, in Zeiten des Internets, ein relevantes Medium ist, hat er uns erzählt.

Unser Buch beschäftigt sich unter anderem mit der Frage: Was ist ein Experte?

„Das heißt, ich gehe als Experte durch?! Das finde ich ja lustig.“

Du bist ja jemand, der alles hinterfragt, der immer wissen will, wie etwas funktioniert. Kann das auch anstrengend sein?

„Für alle anderen ja, auf jeden Fall. Für mich nicht so.“

Wirst du manchmal auch als Besserwisser bezeichnet?

„Eigentlich bevorzuge ich die Bezeichnung Klugscheißer.“

Und ist das auch begründet, hast du wirklich auf alles eine Antwort?

„Und wenn nicht, dann denke ich mir eine aus.“

Wir wollen mit unserem Projekt herausfinden, was ein Experte ist. Würdest du dich selbst als Experte bezeichnen? Und wenn ja, wofür?

„Als Experte fürs Nichtwissen. Im Grunde habe ich von nichts eine Ahnung. Das hilft aber, wenn ich Sachen erklären oder Fragen beantworten muss, denn ich muss sie mir erst einmal selbst beantworten. Und da ist es gut, wenn man nicht so viel mitbringt.“

Wie bist du zu deiner jetzigen Position gekommen? Könntest du uns kurz deinen Lebensweg beschreiben?

„Mein Lebensweg ist geprägt von vielen Zufällen. Eigentlich ist nichts geplant, eigentlich habe ich gar keinen Plan. Ich habe immer die Leute beneidet, die einen Fünf-Jahres-Plan hatten oder die ganz genau wussten, was sie in Zukunft machen wollen. Das wusste ich nie. Das war aber ganz gut, weil ich dadurch immer viel ausprobiert habe. Vieles war dabei, das nicht so gut war, aber rückblickend betrachtet sieht es aus wie ein geradliniger Weg. Konkret zum Fernsehen bin ich gekommen, weil ich zufälligerweise auf einem Video war, das jemand bei Super RTL gesehen hat, und der meinte: ,Ach guck mal, der wäre doch ganz gut für eine Tiersendung, die wir machen wollen. Und weil das Projekt, bei dem ich zu der Zeit arbeitete, auslief, habe ich mir das einfach mal angeschaut. Und so bin ich dann von einem Projekt direkt ins nächste gerutscht. Das war immer Zufall.“

Eigentlich studiert hast du aber Film und Fernsehen.

„Genau. Studiert habe ich an der Kunsthochschule für Medien Köln. Meinen Abschluss habe ich im Bereich Film und Fernsehen gemacht.“

Woher hast du dein Wissen? Wie hältst du dich auf dem Laufenden?

„Vieles ist Telefonieren, mit Leuten, mit Experten reden, also mit Professoren an Unis oder Hochschulen, mit Menschen, die sich eben – hoffentlich – mit dem Thema auskennen, für das ich gerade recherchiere. Und ansonsten ist es Neugier und einfach ein Die-Augen-offen-Halten, was so alles passiert. Zeitunglesen und natürlich total viel im Internet surfen. Es gibt ja so unglaublich viele Nachrichtenseiten, auf denen alles Mögliche steht. Und irgendwann kriegt man mit, was verlässliche Quellen und was eher Quellen sind, die nicht 100 Prozent stimmen. Letztere sind aber auf jeden Fall auch immer interessant zu lesen.“

Wie überprüfst du deine Quellen? Wann ist ein Experte glaubwürdig und wann nicht?

„Es ist immer gut, mehrere Quellen zu haben. Wenn zwei Recherchepartner das Gleiche sagen, erhöht das die Glaubwürdigkeit ungemein. Überhaupt sind Gespräche oft viel effektiver als das Durchforsten von Internetseiten, denn im Gespräch kann ich alle Fragen loswerden, die im Lauf der Recherchen auftauchen.“

Du hast gesagt, dass du Experte fürs Nichtwissen bist. Ist es für deine Sendungen überhaupt so wichtig, alles selbst zu wissen und zu verstehen, oder ist der Moderationsaspekt bedeutender?

„Ich finde, bei meiner Arbeit ist es das Wichtigste, dass sie unterhaltsam ist. Keiner guckt sich Fernsehen an, nur um etwas zu lernen. Mir zumindest gefallen die Sendungen am besten, die Spaß machen. Wenn etwas langweilig ist, kann man auch viel dabei lernen, aber das interessiert mich dann nicht. In erster Linie ist die Unterhaltung das Wichtige.“

Kann das im Extremfall nicht bedeuten, dass unangenehme Punkte und komplizierte Positionen unangemessen vereinfacht werden, weil das Format es nicht anders erlaubt? Gibt es einen Konflikt zwischen Unterhaltung, Verständlichkeit und den Inhalten?

„Was heißt ,unangemessen vereinfacht? Vereinfachung bedeutet ja nicht, dass etwas falsch erklärt wird. Man darf natürlich von einer Fernsehsendung nicht die Tiefe und Komplexität einer wissenschaftlichen Arbeit erwarten.“

Wie gehst du mit kontroversen Themen um? Hast du schon Sendungen gemacht, bei denen du dich im Vorfeld gefragt hast, welche Reaktionen kommen? Und gab es das dann auch? Kritik, Proteste oder sogar so eine Art Shitstorm?

„Eigentlich gehe ich mit kontroversen Themen genauso um wie mit
allen anderen Themen. Das Tolle bei meiner Arbeit ist ja auch, dass ich nicht
alleine bin. Hinter jeder Sendung stecken viele Menschen, die alle ihren Teil
dazu beitragen, dass das, was ich vor der Kamera sage, Hand und Fuß hat.“

Du unterstützt als Botschafter das Wahlprojekt Kinder- und
Jugendwahl U18. Wie wichtig ist dir die Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen?

„Ehrlich gesagt bekomme ich die gar nicht richtig mit, weil wir im Studio in der Regel keine Zuschauer haben. Außerdem mache ich die meisten Sendungen eigentlich für mich. Ich versuche nicht, mir zu überlegen, was eine ominöse Zielgruppe vielleicht am liebsten sehen würde, sondern die Sendung so zu machen, wie es mir gefällt, sodass ich auch Spaß daran habe, wenn ich sie im
Fernsehen sehe.“

Also würdest du sagen, du hast eigentlich keine Zielgruppe?

„Ja, das würde ich behaupten. Ich habe keine Zielgruppe. Offiziell gibt es natürlich Zielgruppen, aber wenn ich Sachen mache, dann mache ich die
in erster Linie für mich.“

Trotzdem sehen dir natürlich größtenteils Kinder zu. Siehst du dich in gewisser Weise auch als Vorbild? Oder denkst du, du hast eine gewisse Verantwortlichkeit, die mit deiner Arbeit einhergeht?

„Ja. Ich würde zum Beispiel keine Werbung für irgendwelche Produkte machen. Und ich gehe auch nicht bei Rot über die Ampel. Ich bin ganz gelassen und kann auch um drei Uhr nachts bei Rot stehen bleiben. Es gibt nämlich nichts Blöderes, als wenn irgendwelche Eltern sagen: ,Ich hab da aber den Ralph Caspers gesehen, der bei Rot über die Ampel gegangen ist, das ist aber kein gutes Vorbild. Ich hab’s nicht eilig.“

Und wie steht es mit deiner Vorbildfunktion auf dem Bildschirm? Die Sendung ,Du bist kein Werwolf hat auch einen psychologischen Faktor, da Jugendliche bei ihren Problemen in der Pubertät beraten werden. Machst du dir dabei auch Gedanken um deinen Einfluss auf die Zuschauer?

„Ich versuche, mir eher keine Gedanken zu machen. Natürlich bin ich auch bei ,Du bist kein Werwolf nicht alleine. Da arbeiten auch viele Menschen mit, die dafür sorgen, dass wir keinen Mist erzählen. Aber ich versuche einfach bei den
Sachen, die ich mache, dass ich mich damit wohlfühlen kann. Wenn ich zum
Beispiel erzähle, wie man ungewollte Erektionen am elegantesten versteckt,
versuche ich es so zu machen, dass ich gut damit leben kann. Das ist natürlich
ein interessantes Thema, das viele Jungs beschäftigt, und wenn man so etwas
macht, muss man es so machen, dass man voll und ganz dahinterstehen kann. Und das probiere ich. Ich bin mir nicht sicher, inwiefern das eine Vorbildfunktion ist, aber das ist das, worüber ich mir Gedanken mache: Ob ich mich wohlfühle und ob ich etwas damit anfangen kann; ob ich dahinterstehen kann oder ob es mir am Ende peinlich wäre, wenn ich mich dafür rechtfertigen müsste.“

Auch wenn du dich vielleicht selbst nicht als solchen siehst, hast du ja viel mit Experten zu tun. Denkst du, dass generell
Verantwortlichkeit mit dem Expertenstatus einhergeht?

„Experte ist ja fast schon ein Schimpfwort. Hinz und Kunz ist ja Experte. Und natürlich trägt der Experte Verantwortung, weil die Leute sich auf ihn verlassen. Das ist genau wie bei einem Gutachter, da verlässt man sich auch darauf, dass er dafür sorgt, dass er immer auf dem neuesten Stand der Forschung ist und kein veraltetes Wissen mit sich herumträgt. Und man verlässt sich auch darauf, dass die Dinge, die ein Experte vermittelt, frei von Meinungen oder Einfärbungen sind und dass niemand Einfluss darauf genommen hat, um seine Agenda durchzudrücken. Und wenn dann herauskommt, dass irgendjemand gekauft wurde, verliert derjenige ganz schnell seine Glaubwürdigkeit. Und das ist auch richtig so.“

Glaubst du, dass der Experte auch eine gesellschaftskritische Funktion haben kann?

„Ja. Das kommt auf den Bereich der Expertise an, mit dem sie sich beschäftigen. Ich glaube zum Beispiel, dass jemand, der sich mit Gentechnik beschäftigt oder mit Einwanderungspolitik, gesellschaftskritisch sein kann – das sind ja Sachen, die die Gesellschaft betreffen, also auf jeden Fall.“

Was ja wiederum damit zusammenspielen würde, was du vorhin gesagt hast, dass du keine Werbung machen würdest.

„Ja, also das mit der Werbung hat ja noch ganz andere Aspekte. Wenn ich zum Beispiel für irgendeine Schulranzenfirma Werbung machen würde und dann hätten wir auf einmal bei uns in der Sendung einen Beitrag über Schulranzen, was ja nichts direkt mit der Werbung zu tun haben müsste. Aber es gibt dann immer Leute, die eins und eins zusammenzählen und denken: ,Ah kein
Wunder, der macht dafür ja auch Werbung. Dadurch wird man angreifbar – das
darf einfach nicht sein, das muss alles hieb- und stichfest sein. Man darf
nicht das Gefühl aufkommen lassen, dass irgendetwas gekauft wäre. Gerade im
Kinderfernsehen ist das extrem wichtig, mehr noch als bei Angeboten für
Erwachsene.“

Apropos Kinderfernsehen: Welche Rolle, würdest du sagen, spielt das Fernsehen heute bei der Wissensvermittlung? Hat sie sich zum Beispiel durch die Internet-Nutzung verändert? Ist Fernsehen heute überhaupt noch relevant?

„Ich glaube schon, dass Fernsehen noch relevant ist. Allein was die Zahlen angeht, denke ich, dass man mit Fernsehprogramm mehr Leute erreichen
kann als zum Beispiel mit einem YouTube-Kanal. Aber das Fernsehen muss sich
trotzdem darum kümmern, dass es relevant bleibt, und es muss dem Rechnung
tragen, dass die meisten Leute sich nicht mehr vorschreiben lassen wollen, was
sie zu welcher Uhrzeit im Fernsehen zu gucken haben. Sondern sie gucken dann, wenn es ihnen passt. Deshalb ist es wichtig, dass auch das Fernsehen flexibler wird und man darauf achtet, dass man alle Kanäle bespielt und bespielen kann.“

Und das würdest du auch speziell fürs Kinderfernsehen sagen?

„Ja, auf jeden Fall.“

Stellen dir vor, das, was du machst, würde nicht durch ein Medium, also das Fernsehen, vermittelt werden. Würde deine Rolle dann noch funktionieren?

„Nein, würde sie nicht. Denn alles, was ich mache, mache ich ja entweder für das Fernsehen oder wegen des Fernsehens. Und wenn es kein Fernsehen gäbe, dann wäre ich gar nicht in der Situation, in der ich jetzt bin. Dann würde man mit mir gar nichts anfangen können, glaube ich. Dann würde gar keiner wissen, wer denn Ralph Caspers ist. Das ist ja nur so, weil die Sendungen so regelmäßig laufen und man sich an mein Gesicht gewöhnt hat. Wer das schon mal gesehen hat, denkt: ,Ah, da kann ich eventuell noch was lernen und das ist auch
unterhaltsam.’“

Zum Thema Kindersendung: Warum braucht man denn überhaupt so eine Erklärsendung? Wieso sollten Kinder ihre Informationen aus dem Fernsehen beziehen? Deshalb gehen sie doch zur Schule.

„Eigentlich bekommt man sein ganzes Leben lang Infos, nicht nur in der Schule. Es kommt also darauf an, wie man Lernen definiert. Ich finde, man lebt und lernt. Und wenn man nicht mehr lebt, dann lernt man nicht mehr. Aber ansonsten ist jede neue Erfahrung etwas, das einen weiterbringt. In der Schule sind es eher Methoden und Fakten, die einem beigebracht werden, und zu Hause oder mit Freunden lernt man ganz andere Sachen. Und im Fernsehen sind es wieder ganz andere Sachen, die die Dinge, die man in der Schule oder mit Freunden lernt, noch unterstützen. Das ist ja nur ein Aspekt von vielen. Aber nur das Fernsehen alleine wäre ziemlich eintönig.“

Du machst auch Folgen von Quarks und Co. Wo, würdest du sagen, liegt der Unterschied zu deinen anderen Sendungen und was macht dir mehr Spaß?

„Quarks ist erst mal auf jeden Fall ein Erwachsenenprogramm, es läuft viel später, es geht länger und es ist monothematisch. Und da steckt eine Wissenschaftsredaktion dahinter, das heißt, alle Leute, die für Quarks arbeiten, abgesehen von mir, haben einen naturwissenschaftlichen Hintergrund und sind für sich schon tatsächlich Experten auf dem Gebiet, das sie jeweils bearbeiten. Die Themen sind dort teilweise auch komplexer, als wir sie bei ,Wissen macht Ah! oder bei der ,Sendung mit der Maus realisieren könnten, auch einfach aus
Zeitgründen.“

Aber du könntest nicht sagen, dass dir eins besser gefällt als das andere?

„Es kommt immer auf die Tagesform an. Mal gefällt mir bei ,Quarks und Co. etwas besser, mal bei ,Wissen macht Ah! .Aber ich könnte jetzt auch nicht sagen, ob ich meinen Hund lieber habe oder meine Katze – beide haben ihre ganz besonderen und liebenswerten Eigenheiten.“


erschienen zuerst in: Ruben Pfizenmaier u.a. (Hrsg): Auf dem Markt der Experten. Zwischen Überforderung und Vielfalt, illustriert von Malte Grabsch, Frankfurt am Main: Edition Büchergilde, März 2016, 18,95 Euro.


Mehr bei EDITION F

Janna Nandzik, die Frau, die das Fernsehen verändern will. Weiterlesen

Mal was Neues: Dieses Comedy-Format im deutschen Fernsehen wird von zwei Frauen gemacht. Weiterlesen

Lustige News für die jungen Leser – Meinen die mich? Weiterlesen

Anzeige