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Ambivalenz – Was mache ich, wenn ich mich nicht entscheiden kann?

Die Unfähigkeit, sich zu entscheiden, kann belastend sein. Doch es gibt Wege aus der Ambivalenz. Unsere Autorin Stella Hombach zeigt euch Strategien, um klare Entscheidungen zu treffen und die innere Zerrissenheit zu überwinden.

Viele Menschen kennen diese Situation: Da ist am Abend die Party eines Kollegen, eine Freundin hat einen Film im Kino vorgeschlagen, aber das Bett sieht nach der langen Woche im Schichtdienst irgendwie auch verlockend aus… Bei all diesen Optionen fällt es schwer, sich zu entscheiden, Menschen fühlen sich innerlich zerrissen, wissen nicht, was sie tun sollen, beginnen mitunter sogar, an sich selbst zu zweifeln.

Dabei ist Entscheidungsunfreudigkeit in der Regel gar nicht schlimm. Es zeigt vielmehr, dass verschiedene Bedürfnisse und Interessen gleichzeitig bestehen können. Schwierig wird es, wenn die Ambivalenz die betroffenen Personen lähmt, wenn sie sich im Gedankenkarussell des Abwägens verlieren und den ganzen Tag mit der Entscheidungsfindung verbringen, um am Ende zu keinem Ergebnis zu kommen. Zu einem Problem wird die Entscheidungsschwierigkeit vor allem bei großen Themen, die lebensverändernd sind. Etwa, wenn es um die Frage geht, den Job zu kündigen oder eine Familie zu planen. Der sich daraus oft entwickelnde Stillstand ist schwer auszuhalten.

Im Folgenden findest du einige Übungen, die helfen können, zu einer Entscheidung zu kommen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Menschen – charakterlich, biografisch, kulturell – verschieden sind und jede Person ihre ganz eigenen Gründe hat, warum sie in der Ambivalenz feststeckt. Die folgenden Übungen sind also als Impulse zu sehen:

Nr. 1: Das Problem wahrnehmen

Der erste Schritt ist, dass die Person ihre Entscheidungsunfreudigkeit als Problem wahrnimmt. Denn wenn sie diese Eigenschaft an sich nicht stört und sie damit niemandem schadet, gibt es kein Problem. Merkt die Person hingegen, dass dieses wiederkehrende Muster sie belastet, ist der nächste Schritt, der Belastung nicht auszuweichen, sondern sie als Herausforderung wahr- und damit ernst zu nehmen.

Nr. 2: Wertschätze die Leistung des Nicht-Entscheidens

Das Aushalten von Ambivalenzen ist, wie bereits erwähnt, sehr anstrengend. Ambivalenz bezeichnet einen Zustand psychischer Zerrissenheit, in dem mindestens zwei sich widersprechende Wünsche gleichzeitig in einer Person existieren, begleitet von den zugehörigen Gefühlen und Gedanken. Eine solche innere Zerrissenheit erzeugt bei vielen Menschen einen enormen Druck. Wer diese Spannung regelmäßig, möglicherweise sogar täglich, erlebt, leistet eine beachtliche psychische Anstrengung – eine Leistung, die anerkannt werden sollte. In der praktischen Umsetzung könnte das bedeuten, sich selbst nicht zu kritisieren, wenn man sich erneut in dieser Situation wiederfindet, oder sich in solchen Momenten liebevoll um sich zu kümmern, beispielsweise durch ein entspannendes Bad oder indem man sich auf das Sofa legt und dem Körper eine Pause gönnt.

Nr. 3: Lasse die Gefühle zu

In der Regel haben Menschen, die sich schwer entscheiden können, dafür gute Gründe. Ein weitverbreitetes Phänomen ist Angst. Sei es die Furcht, etwas zu verpassen, die Sorge, beim Vorstellungsgespräch nicht akzeptiert zu werden, oder die Befürchtung, durch ein Auslandsjahr die Partnerschaft zu gefährden. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, die inneren Sorgen ernst zu nehmen und zu hinterfragen: Woher stammt die Angst vor dem Verpassen? Warum hege ich die Befürchtung, meine*n Partner*in zu verlieren? Wie kann diese Angst reduziert werden? Was benötige ich, um sie loszulassen? Manchmal erkennen Menschen möglicherweise auch, dass die empfundene Angst nicht angemessen ist und in einem Missverhältnis zur Situation steht. In diesem Fall könnte es sich um eine ,alte’ Angst handeln, die etwa aus der Kindheit stammt. Hier kann es sinnvoll sein, das Gefühl in den richtigen Kontext zu stellen und es als ,kindliche’ Angst wahrzunehmen, die nichts mit der aktuellen Realität zu tun hat. Gegebenenfalls kann dabei auch eine Therapie oder Beratung unterstützend wirken.

Nr. 4: Spiele die unterschiedlichen Möglichkeiten nacheinander durch 

Einigen Personen kann es helfen, sich den Optionen, die sie haben, einmal konkret zu stellen und sie kurz durchzuspielen: Wie fühlt es sich an, auf der Party zu sein? Was für Gefühle kommen bei der Vorstellung hoch, den Freitagabend im Bett zu verbringen? Wie fühlt es sich an, der Chefin zu verkünden, ein Sabbatical machen zu wollen beziehungsweise wie wäre es, ein weiteres Jahr wie bisher zu arbeiten? Stelle dir die einzelnen Situationen konkret vor – wer mag, kann bei dieser Übung auch gerne mal die Körperhaltung einnehmen, die die Vorstellung in ihm*ihr auslöst. Hierdurch lassen sich Gefühle häufig verstärken, was wiederum zu mehr Klarheit führen und damit im Entscheidungsprozess helfen kann. 

Nr. 5: Schaffe Distanz

Mitunter hilft auch ein Perspektivwechsel: Was würdest du deiner Freundin oder deinem Kind in dieser Situation raten? Wie würde deine Mutter oder eine Kollegin auf die Situation
blicken? Solche Überlegungen ermöglichen in der Regel, Distanz zu schaffen und die Gedanken klarer werden zu lassen. Manchmal bringen sie auch völlig neue Möglichkeiten und Handlungsoptionen auf den Tisch, an die du bisher noch gar nicht gedacht hast. Das Schreiben einer Pro- und Contra-Liste kann ebenfalls nützlich sein, um auf Distanz zu gehen und dem Gefühlschaos zu entkommen: Was spricht für die Entscheidung und was dagegen? Welche Vor- und Nachteile gibt es? Wenn die Entscheidung nicht sofort ansteht, kannst du dir für diese Liste ruhig ein paar Tage Zeit nehmen und auch mal Freund*innen oder Partner*innen fragen, was sie zu den verschiedenen Optionen meinen.

Nr. 6: Durchbreche deine Gewohnheiten

Für Menschen, die mit den üblichen Strategien nicht weiterkommen und immer wieder in ihre alten Gewohnheiten zurückfallen, kann es hilfreich sein, etwas Kreatives auszuprobieren. Wie wäre es zum Beispiel, sich vorzunehmen, bei den nächsten Entscheidungen zwei bis drei Wochen lang immer die Option zu wählen, die am meisten Neues verspricht – oder umgekehrt: die, die einen am wenigsten herausfordert? Eine andere etwas unkonventionelle Idee ist es, ein großes Glas mit „ja”- und „nein“-Zetteln zu füllen. Wenn eine Entscheidung ansteht, ab zum Glas, und der Zufall entscheidet. Nach ein paar Wochen kannst du dann schauen, wie sich das Experiment angefühlt hat: War es hilfreich? Hat es dir neue Erkenntnisse gebracht? Hat es dich entlastet und vielleicht sogar neue Möglichkeiten eröffnet? Wenn ja, weitermachen. Wenn nein, einfach sein lassen. Wichtig: Bei großen Entscheidungen wie einem Jobwechsel sind derartige Methoden natürlich nicht angebracht.

Nr. 7: Sei sanft zu dir selbst

Es kann sein, dass eine Entscheidungsfindung schwierig bleibt. Mach dich deswegen nicht fertig! Sich im Für und Wider einer Entscheidung zu verlieren, ist für die meisten von uns, wie gesagt, ungemein anstrengend. Häufig ärgert man sich dann über sich selbst und gibt sich die Schuld dafür, erneut in der Situation zu sein, sich nicht entscheiden zu können. Versuche deshalb, liebevoll mit dir umzugehen, dir vielleicht sogar etwas Gutes zu gönnen. Das ist nicht immer einfach, aber vielleicht gelingt es dir, in solchen Momenten dein*e eigene*r Kompliz*in oder Vertraute*r zu sein.

Die Autorin

Als systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin (DGSF) unterstützt Stella Hombach
Menschen dabei, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen, Probleme als Chancen zu begreifen und sich persönlich weiterzuentwickeln. 

Seit über zehn Jahren arbeitet sie als freie Autorin mit Spezialisierung auf den Bereich Gesundheit und Sexualität. Stella Hombach lebt in Berlin. Mehr Infos findet ihr hier.

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