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Was tun, wenn die eigenen Familienmitglieder die AfD und Erdogan gut finden?

Als unsere Redaktions-Kollegin Jasemin erfährt, dass ihr Bruder die AfD wählen möchte, war sie geschockt. Kurz danach sympathisiert ihr Vater auch immer mehr mit Erdogans Politik. Wie sie versucht, damit klarzukommen, schreibt sie hier.

Was macht man, wenn der Bruder ein AfD-Wähler und der Vater Erdogan-Anhänger ist?

Politik bietet oft interessanten Gesprächsstoff. Man kann sich miteinander austauschen, zusammen aufregen und die eigene Meinung aus anderen Blickwinkeln sehen. Auch ich rede gerne über politische Themen, weil  Politik auch unseren Alltag prägt und es für mich außerdem wichtig ist, informiert zu sein. Und ich rede darüber natürlich auch innerhalb der Familie oder mit Freunden. Nur, wie geht man damit um, wenn der eigene Bruder überzeugter AfD-Wähler ist und unser Vater – in der Türkei geboren und aufgewachsen – sich von Erdogans Parolen überzeugen lässt?

Da ich nicht mehr zu Hause wohne, passiert ein Aufeinandertreffen der verschiedenen politischen Ansichten meistens nur bei großen Familienzusammenkünften. Von anfangs lautstarken Auseinandersetzungen hat sich über das Thema ein totales Schweigen ausgebreitet. Selbst mein Bruder, der nichts lieber getan hat, als uns von seinen Ansichten zu überzeugen, sagt uns mittlerweile, dass wir bitte nicht mehr darüber reden sollten. Ich bin zwar verwundert, aber auch froh darüber. Auch wenn ich am Anfang versucht habe, mit Argumenten dagegen zusteuern, verdrehe ich jetzt eher die Augen, in der Hoffnung, dass das Thema nicht vertieft wird.

Kann Politik Familien auseinanderreißen?

Denn eine Diskussion ist zwecklos, wenn der Gesprächspartner schon im Vorfeld darauf aus ist, die anderen mit seinen Ansichten zu ‚bekehren‘ und jeder auf seiner Meinung bestehen bleiben möchte. Man merkt, dass mein Bruder sich voll und ganz damit auseinandergesetzt hat und seine Meinung und Argumente sehr gut durchdacht hat, um mögliche Einwände im Keim zu ersticken. Dabei dreht er seine Argumente hin und her, wie es für ihn gerade am besten passt, sodass die AfD aus einer doch eher weitentfernten Perspektive irgendwie doch im positiven Licht dastehen könnte. In meinen Augen sind diese Aussagen eher so mit lobenden Worten beschmückt und inhaltlich breit, dass sie auf diese Weise theoretisch jeden Menschen erreichen könnten. Seit wann ist zum Beispiel die Abschaffung der GEZ-Gebühr, die der ein oder andere vielleicht ungern zahlt, gleich ein Grund, um diese Partei zu unterstützen, der es vor allem um Ausgrenzung geht? Für mich richtet sich die AfD vor allem gegen die Schwächeren dieser Gesellschaft und versucht vorzutäuschen, für diese Menschen Politik zu machen. Das stimmt nicht. Lösungsvorschläge für eine gerechte Gesellschaft bietet sie nicht an – im Gegenteil. Aber das ist auch nur meine persönliche Meinung und mit diesem Text möchte ich hier auch keine Debatte über die AfD aufmachen. Ich frage mich nur, wie es eigentlich dazu kam, dass mein Bruder zu einem AfD-Wähler wurde? Konnten wir nicht die gleiche behütete Kindheit genießen und wurden wir nicht vom gleichen türkischen Vater, der als Sohn eines Gastarbeiters nach Deutschland kam und so unsere Mutter kennenlernte, aufgezogen?

Was genau stört dich, lieber Bruder?

Im Großen und Ganzen hatten wir dank unserer Eltern, die mit Mühe und Schweiß uns all das ermöglicht haben, immer ein gutes und sorgloses Leben. Und das haben wir auch immer noch. Wie kann es dann sein, dass sich in meinem Bruder eine so große Unzufriedenheit gebildet hat? Leben wir nicht beide in der gleichen Welt mit ähnlicher Umgebung? Geht es uns nicht gut? Dürfen wir uns überhaupt erlauben, über kleinste Dinge zu meckern, obwohl uns das Leben hier unendlich viele Möglichkeiten und Freiheiten schenkt?

Natürlich gibt es auch Menschen, denen es hier nicht so gut geht und es sollte auch erlaubt sein, sich beschweren zu dürfen und Unzufriedenheiten anzusprechen – denn auch in Deutschland ist nicht alles perfekt. Dennoch: Wir sollten das nicht auf Kosten anderer tun, die definitiv nicht der Grund für manche schwierige Umstände hier sind. Also lieber Bruder, was genau an deinem Leben stört dich? Du hast mir schon viele Argumente um die Ohren gehauen, aber nachvollziehen konnte ich keine davon. Ich liebe dich immens und genau deswegen finde ich es auch so schwer, deine politische Haltung zu akzeptieren. Danke trotzdem, dass du uns nicht mehr das Wahlprogramm der AfD über Whatsapp schickst.

Gleiche Abstammung = gleiche Weltanschauung?

Am Anfang fiel es mir schwer, mit dieser ‚Situation‘ zu Hause umzugehen – besonders in Bezug auf meinem Bruder. Denn seine politische Haltung, die hier in Deutschland plötzlich so viele teilen, geht mir schon näher, als die Ansichten meines Vaters. Irgendwie ist man von der momentanen politischen Situation in der Türkei doch eher nur indirekt betroffen, zwar sehe und lese ich Medienberichte, aber es scheint mir ferner. Dennoch macht es mich traurig, dass so nahestehende Personen Wertvorstellungen vertreten, die gegenüber andere kulturellen Gruppen so feindlich sein können. Es ist ein Mix aus Wut, Trauer und Fassungslosigkeit – ein innerer Kampf, den ich gerade alleine austrage und dabei scheitere.

Besser wäre es wahrscheinlich, das direkte Gespräch zu suchen. Da es aber mit meinem überzeugten Bruder und mit meinem Vater, der andere Meinungen zu Hause weniger duldet als die seine, schwierig ist, findet die Aussprache gerade eher zwischen mir und meiner Mutter statt. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie aktiv mein Bruder momentan noch in Sachen AfD ist. Und die Frage, wie es sein kann, als Kind eines Türken eine Partei wie die AfD gut zu finden, stelle ich mir auch nicht mehr.

Familie, mein stetiger Wegbegleiter

Ich habe viele Artikel gelesen, die ähnliche Situationen beschreiben, in denen Familienmitglieder oder Bekannte plötzlich zu Pegida-Umzügen gehen oder mit der AfD sympathisieren. Mein Eindruck von den Diskussionen ist jedoch, dass jeder auf seine Meinung beharrt, man sich nicht annähert und die Suche nach dem gemeinsamen Nenner vergebens ist. Ich bin zwar immer noch ratlos, welcher der beste Weg ist, um so eine Situation friedvoll zu klären, aber ich weiß auch, dass ich die Meinung meiner Familie gerade genauso wenig umstimmen kann, wie sie meine.

Trotzdem sind wir eine Familie.  Dazu zählt für mich, dass schon mal andere Ansichten herrschen – ob sich nun die Geschmäcker bei Helene Fischer (bei der mein Vater übrigens gerne sein Tanzbein schwingt) oder bei der AfD und Erdogan unterscheiden. Uns verbindet ja mehr, als nur politische Ansichten. Es ist schließlich meine Familie, auf die ich immer zählen kann – in guten, wie auch in schlechten Zeiten. Und dieses besondere Bündnis, was man seit der Geburt mit der Familie teilt, sollte auch Meinungsverschiedenheiten aushalten können. Am Ende des Tages sitzen wir immer noch am gleichen Tisch und schauen in dieselben vertrauten Gesichter, die einem auf seinen Lebensweg mit am längsten begleitet haben.

Vielleicht ist dieser Beitrag auch eher eine Hommage an meine Familie, die sagt, dass ich euch trotzdem liebe, auch wenn wir uns auf mancher politischer Sicht nicht einig werden. Zum Glück gibt es da auch noch andere Themen, über die wir lachen, weinen und auch mal streiten können. Dieses Schweigen, dass uns alle bei diesem Thema verbindet, hat mir gezeigt, dass uns unsere Familie mehr bedeutet, als ein Erdogan oder eine AfD. Vielleicht bald, in einem ruhigen Moment, können wir auch mal wieder über politische Ansichten reden. Und vielleicht finden wir da auch eine gemeinsame Lösung, die uns allen entgegenkommt, um uns auch auf politischer Ebene wieder anzunähern. Aber bis dahin ist es für mich auch okay gemeinsam zu schweigen. Denn ihr seid meine Familie und bleibt es auch.

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