Foto: Nancy Heusel

„Auf das Gefühl, dass deine Möpse plötzlich weg sind, kann dich niemand vorbereiten“

Ulrike Römig ist Trägerin eines mutierten BRCA1-Gens. Nach ihrer Brustkrebs-Erkrankung wird sie sich auch die Eierstöcke entfernen lassen, um ihr Krankheitsrisiko zu senken.

„Nach der Brust-OP sah ich aus wie ein Alien“

Mit 34 Jahren erhielt Ulrike Röming die Diagnose Brustkrebs. Es folgten Chemotherapie, prophylaktische Mastektomie und Wiederaufbau der Brüste. In ihrem Blog „Mopstollwut“ – so nennt sie ihren Krebs – erzählt Röming, was die Krankheit mit ihr macht. Nun überlegt sie, das Blog zu löschen. Warum und wie es ihr nach der Therapie geht, erzählt sie uns im Interview.

Der Tumor in deiner Brust ist entfernt, die Rekonstruktion überstanden. Alles gut, könnte man meinen. Trotzdem schreibst du auf „Mopstollwut“, dass die Zeit nach der Therapie mit die schlimmste für dich war. Warum?

„Nach Mastektomie und Wiederaufbau habe ich das erste Mal realisiert, dass ich wirklich krank war. Vorher war ich die ganze Zeit damit beschäftigt, etwas gegen den Brustkrebs zu tun. Mein Ziel war es, gesund zu werden, den Krebs zu besiegen. Mein Motto: Durchhalten, nicht zurückschauen, nicht zu viel nachdenken. Nach der Operation, bei der mir nicht nur die Brüste abgenommen, sondern auch zwei Expander eingesetzt wurden, wachte ich auf, war noch völlig benebelt von der Narkose und fing erst mal an zu heulen.“

Warum?

„Das Ganze dauerte gut sechs Stunden – ich war also körperlich völlig fertig. Als ich dann halb nackt auf der Liege lag, wurde mir schlagartig bewusst, was mir die Krankheit genommen hat.“

Was hat dir der Brustkrebs genommen?

„Das Vertrauen in meinen Körper – und ganz konkret meine Brüste. Ich dachte, ich gehe da rein, gebe meine Brüste beim Pförtner ab, bekomme zwei neue und gut ist. Natürlich ist das naiv, aber mit dieser Naivität habe ich den Krebs gemeistert. Anfangs fühlten sich die Implantate an, als hätte man mir zwei Müslischüsseln umgeschnallt, zwei harte Fremdkörper, die ständig scheuern. Meine Haut war grün und blau, die Nippel tot und ich hatte unheimliche Schmerzen.“

Hat dich deine Ärztin nicht darauf vorbereitet?

„Doch. Ich habe auch viel gelesen. Vor allem Fachliteratur über die verschiedenen Methoden. Das Wissen gab mir Sicherheit, so funktioniere ich. Auf das Gefühl, dass deine Möpse plötzlich weg sind, kann dich jedoch niemand vorbereiten. Zurück zu Hause saß ich dann nackig und allein vor dem Spiegel und fühlte mich grässlich.“

Warum?

„Ich sah aus wie ein Alien. Ich hatte keine Haare mehr auf dem Kopf, Augenbrauen und Wimpern waren weg und durch das Narkosemittel, vielleicht auch durch die Antibiotika, die ich während der Operation bekam, hatte ich im Gesicht überall Pickel. Gutes Aussehen, Attraktivität waren für mich nie wichtig. Doch wenn man sich scheiße fühlt und zudem noch scheiße aussieht, ist das heftig. Ich musste mir sogar neue Schlüpper kaufen.“

Du meinst neue BHs?

„Nein, Unterhosen. Die Chemotherapie hat meinen Zyklus vollkommen durcheinandergebracht. Außerdem musste ich mit dem Rauchen aufhören. Das Ergebnis: Am Ende der Therapie brachte ich gut zehn Kilo mehr auf die Waage. In den Wochen nach dem Wiederaufbau war ich tatsächlich ziemlich depressiv.“

Wie kamst du da wieder raus?

„Ich ließ die Traurigkeit zu. Als die Augenbrauen und Wimpern dann wiederkamen, wurde es langsam besser. Meine Augenbrauen sind zwar nicht mehr so voll wie früher, an einer Stelle ist sogar ein kleines Loch, aber ich weiß, das sehe nur ich.“

Die Brustrekonstruktion war im Mai 2015, zwei Monate später hast du wieder angefangen zu arbeiten. War das nicht ziemlich schnell?

„Das war meine Therapie. Ich wollte zurück ins Leben. Anfangs ging ich auch nur zehn Stunden die Woche hin. Das haben wir dann jedoch relativ fix gesteigert. Im Dezember arbeite ich bereits wieder meine 31 Stunden. Aber natürlich hat die Krankheit Spuren hinterlassen.“

Welche denn?

„Ich arbeite im ambulant betreuten Wohnen und kümmere mich um psychisch Gesundende. Ich war schon immer ein sehr empathischer Mensch. Die Probleme meiner Klienten kann ich heute noch besser nachvollziehen. Umso mehr möchte ich ihnen den Mut mit auf den Weg geben, ihr Leben weiter zu genießen. Frei nach dem Motto: hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen. Verkriechen bringt nichts – auch wenn ich den Wunsch verstehe. Wenn ich mir anschaue, was mir noch bevorsteht, würde ich das selbst manchmal gerne machen.“

Du meinst die Entfernung der Eierstöcke.

„Genau. Ich bin Trägerin eines mutierten BRCA1-Gens. Das Risiko, dass ich später zusätzlich zum Brustkrebs noch Eierstockkrebs bekomme, liegt damit bei gut 40 Prozent – die Eierstöcke sollten deshalb spätestens in vier Jahren raus. So lange habe ich Zeit, mir zu überlegen, ob ich Kinder haben will – und wenn ja, den passenden Partner zu finden.“

Wie gehst du mit diesem Druck um?

„Mit dem Kinderwunsch recht entspannt. Zwischendurch macht mich meine Situation allerdings echt wütend. Mit 34 Brustkrebs, mit 35 Chemotherapie und Wiederaufbau, dann die Depression, in die ich nach all dem stürzte. Gerade habe ich das Gefühl, endlich wieder in meinem Leben anzukommen. In einem Jahr bin ich hoffentlich wieder richtig gesettlet …“

… und dann steht die nächste Operation an.

„Plus die Wechseljahre, in die ich nach der Entfernung der Eierstöcke sofort kommen werde. Aber ich will nicht meckern. Bei einer Bekannten hat der Arzt ebenfalls Brustkrebs festgestellt. Die Tumore hatten jedoch bereits metastasiert und ihre Leber komplett zerfressen. Sie ist vor einigen Monaten gestorben. Mich zu fragen, warum ich Brustkrebs bekommen habe, warum gerade sie sterben musste, bringt nichts.“

Brustkrebs-Patientinnen haben ein erhöhtes Risiko für Rezidive und Neuerkrankungen. Hast du manchmal Angst, dass der Krebs zurückkommt?

„Bei mir ist das Risiko wegen der BRCA1-Mutation sogar noch höher. Durch die Mastektomie konnte ich es zwar erheblich senken, ein Restrisiko bleibt jedoch immer. Beim Wiederaufbau habe ich mich außerdem dazu entschieden, meine Nippel zu behalten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, noch einmal Brustkrebs zu entwickeln, um weitere fünf Prozent. Und ja: Wenn ich Kopfschmerzen habe oder meine Lunge ein bisschen zieht, denke ich gleich an Metastasen. Je näher der Termin zur Nachsorge rückt, desto stärker werden solche Ängste.“

Du hast einmal gesagt, zu schreiben sei für dich der beste Weg, Kummer und Sorgen zu verarbeiten – darum hast du mit dem Bloggen angefangen. Warum überlegst du nun, damit aufzuhören?

„Weil es mich auch unter Druck setzt. Das Bloggen ist ja nicht nur Selbsttherapie, die Einträge müssen auch gut sein und das frisst Zeit. Dazu kommt: Ich möchte mit dem Krebs irgendwann abschließen. Das geht allerdings schwer, wenn ich tagtäglich über mein Leben mit der Krankheit berichte. Noch ist jedoch nichts entschieden – schließlich liebe ich das Schreiben und tobe mich gerne kreativ aus. Außerdem gibt mir der Austausch mit anderen Betroffenen auch viel Positives.“

Das Original-Interview von Stella Hombach ist bei unserem Kooperationspartner IGP-Magazin erschienen. 

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