Foto: Instagram/Caroline Drucker

Caroline Drucker: „Die neue Marissa Mayer? Das fand ich eher lustig“

Caroline Drucker ist eine unserer „25 Frauen für die digitale Zukunft“ – nach fast 15 Jahren verlässt sie Berlin, um für Instagram in London zu arbeiten.

 

13/03/2015

Tschüs, Berlin!

EXKLUSIV. Fast 15 Jahre hat sie in Berlin gelebt, gearbeitet (und vor allem in den ersten Jahren: gefeiert) – und sie war immer dort, wo etwas Neues, Aufregendes passierte: Mit Anfang Zwanzig kam Caroline Drucker, geboren und aufgewachsen in Kanada, nach Berlin – eigentlich, um zu studieren. Den Master machen und Professorin werden, das war mal der Plan. Doch an der Uni wurde gestreikt, also machte sie ein Praktikum bei einem Musiklabel – und hörte einfach nicht mehr auf zu arbeiten.

Im Team von  „Vice“ war sie mitverantwortlich für die Markteinführung des Magazins in Deutschland, machte einen Zwischenstopp bei „Dummy“ und ging dann zum „Freitag“, um eine Digitalstrategie für die Zeitung zu entwickeln. 2010 wechselte sie als Partner Marketing Manager zu Soundcloud. Und zwei Jahre später – als „Do it yourself” boomte – zu Etsy, wo sie zuletzt als Head of International Brands Communications arbeitete.

Caroline ist Feministin, ihr Ignite-Vortrag „How to Get More Women in Tech“ schlug hohe Wellen. Auf ihrem Blog und anderswo schreibt sie über Themen, die sie bewegen, zum Beispiel auf dem FAZ-Blog „Ich. Heute. 10 vor 8“, zuletzt über 103 Dinge, die sie gelernt hat, seit sie Mutter geworden ist – Baby Rory kam im Mai 2014 zur Welt. Seitdem spricht sie weiter auf Konferenzen, mit Baby vor den Bauch geschnallt oder ohne – je nachdem, wo das Baby sich gerade am wohlsten fühlt.

Im Interview mit EDITION F verrät Caroline eine große Neuigkeit: Sie wird Etsy verlassen und zu Instagram nach London gehen. Wir haben mit Caroline über ihre schwierige Entscheidung für Instagram, den Mangel an gut gewürztem Essen in Berlin und die Notwendigkeit des Feminimus´ gesprochen.

Du hast dich entschieden, zu Instagram nach London zu gehen. Was genau wird dort deine Aufgabe sein?

„Meine Position dort heißt ,Strategic Partner Development, Europe, Middle East and Africa´ – das heißt, ich werde mit einigen der spannendsten Menschen, Firmen, Startups und Events in Europa, im Nahen Osten und in Afrika zu tun haben und ihnen dabei helfen, bei der Nutzung von Instagram innovative und kreative Wege zu gehen.“

Was hat dich an Instagram gereizt?

„Ich habe Instagram schon immer geliebt, tatsächlich bin ich seit Oktober 2010 User, also seit dem Launch. Früher habe ich Instagram vor allem benutzt, um persönliche Momente mit meinen engen Freunden zu teilen – in letzter Zeit nutze ich es dazu, meinen Blick auf die Welt zu erweitern und zu schärfen und bei globalen Trends auf dem Laufenden zu bleiben – zum Beispiel, indem ich @Everydaymiddleeast folge – mein Blick und meine Annahmen über die Region haben sich dadurch komplett verändert. Oder, indem ich dem brillanten New Yorker Grafikdesignerin @letasobierajski folge, dessen kluge und großartige Bilder beeindruckende Beispiele für zeitgenössisches Design sind.“

Wie wird dein Team dort aussehen?

„Das Kernteam von Instagram ist klein, ich werde aber eng mit Facebook-Mitarbeitern in meinen Regionen zusammenarbeiten – das Team ist also gleichzeitig groß und klein. Ich freue mich wahnsinnig darauf, dass es losgeht – alle, die ich bisher kennengelernt habe, waren wirklich toll!“

Warum hast du dich dafür entschieden, Etsy zu verlassen – war das eine harte Entscheidung? Oder hattest du das Gefühl, deine Arbeit bei Etsy getan zu haben?

„Es war eine sehr schwere Entscheidung – ich habe mich noch nie bei einer Firma so wohlgefühlt wie bei Etsy. Erst bei Etsy habe ich wirklich gelernt, wie großartiges Management aussehen kann, dass Arbeitskultur mehr ist als eine Phrase, und dass ein Unternehmen von einer Vision geleitet werden kann. Ich hatte nicht geplant, Etsy zu verlassen – aber als das Angebot von Instagram kam, was das einfach eine zu spannende Herausforderung, ich konnte nicht Nein sagen.“

Du hast gesagt, dass dir Berlin wirklich ans Herz gewachsen ist, du aber oft unter Fernweh leidest. War das ein Grund für deine Entscheidung – die Chance, woanders hinzuziehen nach all den Jahren in Berlin?

„Definitiv – ich kam direkt nach der Uni nach Berlin, ich habe also mein gesamtes bisheriges Erwachsenenleben hier verbracht. Für mich ist es an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren – die Tatsache, dass das mit London ein Ort ist, wo die südasiatische Küche ganz groß ist, schadet nicht. Ich liebe Berlin, aber es wäre mal an der Zeit, sich mit dem Thema Gewürze anzufreunden.“

Dein Mann ist Musiker und Produzent, für ihn ist Berlin jobmäßig ein idealer Ort – werdet ihr gemeinsam nach London gehen oder steht eine Fernbeziehung an?

„Natürlich kommt er mit! Ohne ihn könnte ich das gar nicht machen. Sheryl Sandberg hat oft gesagt, dass die Wahl des Partners die wichtigste Karriereentscheidung ist, die eine Frau fällen kann. Mein Mann ist meine größte Unterstützung, dafür bin ich jeden Tag dankbar.“

Man hat das Gefühl, du bist sehr umtriebig, steckst viel Herzblut in deine Projekte, sprichst auf Konferenzen, hast neben der Arbeit und dem Baby noch ein Blog – wird dir das nicht alles manchmal zu viel?

„Ach, ich habe eher ein schlechtes Gewissen, dass ich so selten etwas schreibe. Schreiben ist für mich eine sehr gute Übung, es trainiert mich, klarer und präziser zu denken. Kritisch zu denken ist essentiell, und dabei hilft schreiben. Aber ich bin auch faul. Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Glas Rosé und etwas zu schreiben, nehme ich den Rosé.“

Und was hat sich verändert, seitdem du Mutter bist?

„Ich bin müder. Aber auch fokussierter auf das, was ich will, denn ich habe einfach nicht mehr unbegrenzt Zeit dafür. Zurzeit stehe ich um sechs Uhr mit meiner Tochter auf und spiele mit ihr, mein Mann bringt sie in die Kita, ich komme nachmittags wieder und habe noch ein paar Stunden mit ihr bis abends, dann arbeite ich nochmal zwei, drei Stunden, wenn sie im Bett ist. Wir können zum Glück genug ,quality time´ miteinander verbringen.“

Wie bist du zur Feministin geworden?

„Ich bin auf eine Frauen-Uni in Philadelphia gegangen, übrigens dieselbe, auf die auch die Präsidentin von Harvard und Katherine Hepburn gegangen sind, auf das Bryn Mawr College der Seven Sisters – die Universität wurde gegründet, als es Frauen noch nicht erlaubt war, die Unis der Ivy League zu besuchen. Ich wollte eine anspruchsvolle akademische Ausbildung damals, und die gab es dort – einen Mann kannst du überall finden, dachte ich. Das Studium dort war eine tolle Erfahrung, so inspirierend, so viele kluge, smarte Frauen, und ich wurde gleichzeitig immer wütender, weil es einfach keinen Grund gibt für die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, ich wurde wütend über häusliche Gewalt gegen Frauen, über sexuelle Belästigung. Ich selbst habe heute kein Problem mehr damit, öffentlich zu sprechen, ich weiß aber, dass es viele Frauen gibt, denen das unangenehm ist. Also spreche ich. Keine Frau sollte Angst haben müssen, weil sie eine Frau ist. Meine Freundinnen und ich haben einfach zu viele Dinge erlebt, die nicht passieren dürfen.“

Was waren das für Erlebnisse?

„Ganz klassisch natürlich: Freundinnen, die im gleichen Job weniger verdienten als die männlichen Kollegen. Oder immer wieder Erlebnisse und Begegnungen wie die, als ein Typ, der mich auf einer Party angemacht hatte, plötzlich die Hände im Würgegriff um meinen Hals legte. Das war seltsam, beängstigend und gruselig. In was für einer Welt leben wir eigentlich, in der Frauen immer noch so viel befürchten müssen?“

Du engagierst dich auch für mehr Frauen in der Tech-Branche.

„Gerade da ist es für Frauen problematisch. Es gibt im Tech-Bereich ein Ethos: Wer da ist, der hat dafür richtig gekämpft. Da ist eine gewisse Arroganz von Männern die denken, dass sie viel verdient haben, eine Macho-Attitüde. Mich stört, dass beim Thema Frauen in Tech-Berufen immer das ,Pipeline´-Argument benutzt wird, also dass nicht genug Frauen in die Branche kommen würden. Was dabei unterschlagen wird: Ein großes Problem ist, dass viele Frauen der Branche wieder verloren gehen.“

Woran liegt das genau?

„Viele Frauen wollen die Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren: Sie werden nicht befördert, bekommen nicht das das gleiche Geld wie die männlichen Kollegen. Sie werden ins Abseits geschoben, wenn sie Mutter geworden sind. Frauen fehlt oft eine Anleitung, ein Mentor, der sie auf ihrem Weg unterstützt. Männer netzwerken oft anders, schließen die Frauen dabei aus. Sie gehen nach der Arbeit noch was trinken, unter sich. Die Vorstandsriege macht einen Termin in der Sauna und teilt der einzigen Frau in der Runde mit, dass sie nicht teilnehmen kann. Ein aktuelles Beispiel im Silicon Valley ist der Fall von Ellen Pao, die ihren früheren Arbeitsgeber Kleiner Perkins wegen sexueller Diskriminierung verklagt hat. Als ich jünger war, hatte ich selbst nicht den Mut und das Selbstvertrauen, aufzubegehren, etwas zu sagen, wenn mir etwas in der Richtung passiert ist. Das ist heute anders. Ich mag den Song ,Irreplaceable´von Beyoncé, da heißt es am Anfang: ,Everything you own in the box to the left – In the closet, that’s my stuff´ – das ist das Gefühl, das Frauen bekommen sollten: Ich bin unersetzlich, nicht der Job –  er muss mich glücklich machen, wenn nicht, finde ich einen anderen, der mich glücklich macht und in dem ich Anerkennung finde.“

In einem Text über dich wurdest du als neue Marissa Mayer gehandelt. Findest du den Vergleich mit der yahoo-Chefin passend?

„Das fand ich eher lustig. Das ist natürlich sehr nett, trifft aber auf mich nicht zu. Ich muss nicht selbst gründen, ich muss nicht Chefin sein – ich will Probleme lösen.“

Bei allen deinen beruflichen Stationen spielte die Weiterentwicklung digitaler Strategien eine Rolle, du hast immer bei Unternehmen gearbeitet, die die Möglichkeiten der Digitalisierung erprobten – macht dir die Digitalisierung der Gesellschaft manchmal Angst?

„Es gibt bedenkliche Tendenzen. Viele denken, das digitale Zeitalter bringe mehr Information und sei demokratischer. Das ist falsch. Dank der Filterblase lesen die Leute nur noch das, was sie lesen beziehungsweise glauben wollen, Debatten werden ideologischer. Zum Beispiel Impfgegner: Mit denen kann man gar nicht mehr reden – im Netz ist immer mehr Raum für alle Meinungen, auch für die, die nicht fundiert, sondern nur ideologisch sind. Wer will, der findet immer ein Blog, mit dessen Inhalten er die eigene Ideologie füttern kann, anstatt ein journalistisches, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen gestütztes Stück zum Thema zu lesen. Es gibt so viel Hoffnung, dass das Netz uns retten wird. Das gilt sicher für Bereiche wie das Bankwesen und Logistik. Die Frage der Zukunft ist aber: Was wird aus den Menschen? Für „knowledge workers“ wird es immer Jobs geben. Aber wie wird die Zukunft vieler Jobs im Handwerks-und Handarbeitsbereich aussehen?. Man kann an einer verfallenen Stadt wie Detroit sehen, was passiert, wenn eine Industrie zugrunde geht. Was passiert zum Beispiel mit all den Uber-Fahrern, wenn das selbstfahrende Auto Standard wird?“

Und die guten Seiten?

„Natürlich ist das Netz ein Mittel, um viel mehr Nuancen Raum zu geben. Der Feminismus zum Beispiel war früher ein Ding von Frauen der weißen Mittelschicht. Es geht aber um mehr, es geht um Fragen von Hautfarbe, Klasse, Reichtum, Bildung – es können viel mehr Stimmen gehört werden, gerade auch aus dem arabischen Raum. Ich finde es faszinierend, mich intensiver belesen zu können, mehr über die Situation von Frauen in arabischen Ländern zu erfahren, die ihre Stimme erheben können dank des Netzes.“

Du wirkst ziemlich energiegeladen, gut gelaunt, anpackend, war das schon immer so?

„Das sollte man mal meinem Mann erzählen. Ich bin eher selbstkritisch, denke immer: ,das kannst du besser machen´. Gerade bevor ich Kaffee hatte, bin ich ziemlich ,grumpy´. Mein Mann hat mir extra eine Kaffeemaschine geschenkt, damit ich bessere Laune habe. Aber vielleicht ist das ja ein klassischer nordamerikanischer Wesenszug an mir, grundsätzlich eher positiv zu sein, nach vorne zu schauen. Und ich weiß, dass Veränderungen möglich sind, dass Debatten sich entwickeln und etwas bewegen können. Vor 15 Jahren hätte wahrscheinlich niemand positiv reagiert auf meinen Vortrag, in dem es darum ging, Frauen nicht als ,Mädchen´ zu bezeichnen, heute kann dazu eine konstruktive Diskussion entstehen. Ich würde so gerne mehr machen. Ich würde gerne mehr lesen, gerne irgendwo Freiwilligendienst machen, um eine neue Perspektive zu bekommen. Der BBC World Service ist mein kleines Fenster zu dieser Welt, da kann ich die Geschichte von dem Mann hören, der in Uganda mit einem Alligator gekämpft hat. Oder etwas über die große Tradition der kolumbianischen Literatur erfahren, das war übrigens wirklich ein tolles Stück.“

Hast du Pläne für die nächsten Jahre?

„Heute ist es ja gar nicht mehr wirklich möglich, langfristige Pläne zu machen. Ich denke ohnehin nicht in diesem Muster, was ich in fünf Jahren machen will. Ich weiß, was ich brauche, um glücklich zu sein: Ich brauchte intellektuelle Befriedigung, ich brauche wirtschaftliche Sicherheit, also Geld, und ich brauche Input für mein Herz , also meine Familie, meine Freunde – darauf aufbauend treffe ich meine Entscheidungen. Ich habe die Erfahrung gemacht, in der Karriere und in der Liebe: Die besten Sachen passieren, wenn man nicht danach sucht.“

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