Foto: xload | depositphotos.com

„Mein Erziehungsstil wäre wohl am ehesten mit Terrorismus-Bekämpfung zu umschreiben“

Claudia Haessy befreit Schwangerschaft und Muttersein von den kitschigen Klischees des größten Glücks und hat darüber einen Katastrophen-Roman geschrieben. Wir haben mit ihr gesprochen.

Ohne rosa-rote Brille

Besonders viel Spaß hat Claudia Haessy das Schwangersein und die erste Zeit mit dem Kind nicht gemacht, das liest man deutlich aus ihrem Buch „Wenn ich die Wahl habe zwischen Kind und Karriere, nehme ich das Sofa“ heraus, in dem sie mehr oder weniger nah an den tatsächlichen Begebenheiten erzählt, wie sie zu ihrem heutigen Leben mit Kind gekommen ist. Mit dem Mutterglück von Pinterest hat das wenig gemein, denn Claudias Geschichte liest sich wie eine Vorlage zu einem Katastrophenfilm, wenngleich sie mit viel Witz und Sarkasmus erzählt ist: Mann im Internet kennengelernt, ungeplant schwanger geworden, überfordert mit der neuen Situation scheitert sie an Promotion und dem Leben in der Großstadt Berlin und muss zurück in ihre verhasste Heimatstadt Bonn, wo es so schrecklich ist wie befürchtet und auch die erste Zeit mit dem Baby eher Depression als großes Glück ist. Und damit ist ihr Buch sehr nah an der Realität von vielen Müttern, die jedoch eher nur mit ausgewählten Vertrauten darüber sprechen, wie wenig rosig der Alltag mit Kind oft sein kann, statt wie Claudia ihre Version der Wahrheit auf über 250 Seiten niederzuschreiben.


Claudia Haessy ist studierte Historikerin. (Bildquelle: privat)

Heute lebt Claudia Haessy nicht mehr in Bonn sondern in Hamburg, arbeitet als Illustratorin, Autorin und im Social-Media-Management. Ihr erstes Buch ist in diesem Jahr bei Rowohlt erschienen und wir haben mit ihr über die öffentliche Verhandlung von Mutterschaft, Zufriedenheit und das Schreiben gesprochen.

Jede Woche erscheint irgendwo ein Text darüber – oft sogar von einer Frau – dass Mütter die ganze Zeit jammern würden, dabei hätten sie sich ihr neues Leben doch selbst so ausgesucht. Jammern Mütter tatsächlich zu viel?

„Na ja. Ob man glaubt, dass jemand zu viel jammert, ist ja eine höchst subjektive Wahrnehmung. Hinzukommt, dass das Wort „jammern“ ohnehin negativ besetzt ist. Ich finde es grundsätzlich schwierig, anderen zu sagen, sie beschweren sich zu viel. Menschen sind komplex. Ihre Leben ebenfalls. Darüber zu urteilen, hat etwas Anmaßendes.

Ich persönlich werde die nächsten 18 Jahre sicherlich nicht den Mund halten und still und happy alles ertragen: Die schlaflosen Nächte, die massiven (Versagens-)Ängste, die Beziehung, die mit ganz neuen Herausforderungen klar kommen muss – nur ,weil ich es mir selbst ausgesucht habe‘. Nein. Ganz sicher nicht.“

Würdest du Mamasein denn weiterempfehlen oder ist dein Buch eine Warnung?

„Weder noch. Ich kann nichts empfehlen oder vor etwas warnen, was jedes Mal komplett anders abläuft. Ich erlebe wundervolle Momente mit meinem Kind und ich bereue keinen Moment, ihn bekommen zu haben. Aber sind meine Erfahrungen auf alle übertragbar? Auf keinen Fall.

Ihr wollt keine Kinder, kriegt keine. Ihr wollt welche, kriegt welche. Führt euch nur vorher vor Augen, dass vielleicht alles schief gehen kann. Ihr werdet einfach nicht wissen, wie es laufen wird. Ob euer Kind gesund sein wird, ob ihr es so lieben werdet, wie sich eure Beziehung und Freundschaften verändern. Ein Kind zu bekommen, ändert alles. Nur dass niemand von uns weiß, WIE diese Veränderungen genau aussehen werden. Sich das bewusst zu machen, ist das Einzige, was ich empfehle.“

„Ein Kind zu bekommen, ändert alles. Nur dass niemand von uns weiß, WIE diese Veränderungen genau aussehen werden.“

Wie wählt man denn den richtigen Partner oder die richtiger Partnerin dafür aus?dOder hattest du Glück?

„Ich glaube, den Richtigen gibt es nicht. Weder zum Kinderkriegen im Speziellen, noch in der Partnerschaft im Allgemeinen. Es gibt Menschen, die passen besser als andere. Und es gibt Menschen, die passen nur eine bestimmte Lebensphase lang.

Das ist nicht wie beim Autokauf, wo man vorher alle notwendigen Fakten checken und sagen kann: Ich hätte gerne den kleinen Schwarzen mit der Vollausstattung! – und wenn irgendein Fehler auftaucht, bringt man ihn einfach zur Werkstatt und pocht auf die Garantie.

Es ist Glück, einfach nur verdammtes Glück. Um ganz ehrlich zu sein: Von allen Menschen, die ich kenne, gibt es nur ein einziges Paar (mit Kindern), bei dem ich davon sprechen würde, dass sie den Richtigen gefunden hat. Und sie hat ihn in einem Zug gefunden. In Tansania. Wenn das nicht Glück ist, dann weiß ich auch nicht.“

Allein ein Kind zu bekommen … ist das Wahnsinn? Mut? Ganz normal?

„Eine Prise Wahnsinn gehört sicherlich dazu. Und Wahnsinn und Mut liegen ja praktischerweise sehr nah beieinander. Denn Kinder zu bekommen und großzuziehen kann wie Krieg sein: Es ist anstrengend und man gelangt psychisch und körperlich gerne mal an seine Grenzen. Hin und wieder wird man auch über diese Grenzen geschubst.

Aber das Wichtige ist: Es ist möglich. Man kann es schaffen. Man schlägt Schlacht für Schlacht. Und konserviert all die kleinen, schönen Momente, um in den anderen davon zu zehren. Und es ist wirklich nicht so trostlos, wie es klingt.“

Gerade liest man viel darüber, wie „Attachment Parenting“ Mütter angeblich ruiniere. Wie nennst du denn deinen Erziehungsstil und wie funktioniert er?

„Ich habe mal getwittert: ,Mein Erziehungsstil ist recht einfach. Ich verhandle nicht mit Terroristen.‘ Daher wäre mein Erziehungsstil wohl am ehesten mit Terrorismus-Bekämpfung zu umschreiben.

Im Ernst: Ich wusste schon vor der Geburt, ich werde nie eine Lorelai-Gilmore-Beziehung mit meinem Kind haben. Ich bin nicht seine beste Freundin, sein Kumpel. Ich bin seine Mutter. Ich bin streng und verhandle nicht. Aber wenn ich A sage, kann sich mein Sohn auch immer darauf verlassen, dass es A gibt. Ich bin die Konstante, diejenige, die immer da sein wird, die hinter ihm steht, wenn es scheiße läuft und alle gegen ihn sind. Ich bin der Fels in der Brandung. Der Grund, warum er keine Angst haben muss. Dass er das spürt und weiß, ist mir wichtig.“

War das Buch für dich eine Verarbeitung der Schwangerschaft und des Mutterwerdens?

„Ein bisschen vielleicht. Aber ich schreibe auch viel für andere. Ich bekomme regelmäßig das Feedback, wie sehr man sich in meinen Worten wiederfindet. Es hat etwas Befreiendes, wenn wir lesen, dass andere Menschen die gleichen Gefühle und Gedanken haben. Egal, wie ätzend wir unsere Mitmenschen finden, wie sehr wir unsere adrette Misanthropie leben – es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine ist.

„Es hat etwas Befreiendes, wenn wir lesen, dass andere Menschen die gleichen Gefühle und Gedanken haben.“

Wie hast du dich gefühlt, nachdem das Manuskript unverrückbar abgesegnet war und auf dem Weg in den Druck?

„Schock trifft es wohl am besten. Ich habe zwei Jahre lang an dem Buch gearbeitet, während dieser Phase Vollzeit gearbeitet – oft über 50 Stunden die Woche – die Belastung war enorm. Und führte dazu, dass ich mir nie darüber Gedanken gemacht habe, dass Menschen dieses Buch ja dann auch tatsächlich lesen werden. Natürlich wusste ich, dass die Leute es kaufen sollen, damit der Verlag happy ist. Aber dass sie es auch lesen  und eine Meinung dazu haben würden, darüber habe ich erst dann wirklich nachgedacht.“

Ein Kind und ein Mann, ein Job in Hamburg … das kommt doch sehr nah an „having it all“ … Oder fehlt noch was?

„Eher ,having to much‘. Ich arbeite zu viel, habe das Gefühl an den vielen Fronten – Job, Mann, Kind, Haushalt – an denen man als emanzipierte, berufstätige und super taffe Frau so kämpft, nicht auszureichen. Da, jetzt jammere ich ebenfalls! Ein bisschen weniger wäre also schön. Ein bisschen weniger Stress. Und ein bisschen mehr von dem, was andere Menschen über Vereinbarkeit fabulieren.“

Was fehlt eigentlich unserer Gesellschaft, dass Eltern zu recht darüber wütend sind, wie die Bedingungen sind, um Kinder zu bekommen und aufzuziehen?

„Wenn es darauf eine einfache Antwort gäbe, hätte man es vermutlich schon umgesetzt. Ich persönlich halte die Vereinbarkeit von Job und Familie für einen Mythos. Etwas, was wir alle gerne hätten, was aber einfach nicht möglich ist. Mir fehlen Tag für Tag zwei bis vier Stunden, damit ich alles machen kann, was gemacht werden müsste. Irgendwas fällt am Ende des Tages immer hinten über. Das ist Mathematik – und lässt sich nicht mit anderen Kita-Zeiten, neuen Teilzeit- oder Betreuungs-Modellen oder einem differenzierten, gesellschaftlichen Umgang lösen.

Aber wenn jemand mit einer Lösung kommt wie das besser geht, backe ich ihm aus lauter Dankbarkeit täglich Kekse und baue einen kleinen Altar. Vielleicht auch einen großen.“

Möchte man nach diesen Wahlergebnissen aus dem September eigentlich noch mehr Kinder bekommen?

„In einem anderen Leben war ich ja mal Historikerin und lasse mich deswegen zu der Aussage hinreißen, dass unsere Zukunft und die unserer Kinder nicht weniger oder mehr bedrohlich und angsteinflößend ist, als die vor 30 Jahren. Oder Hundert. Und ich glaube nicht, dass die aktuelle politische Lage hier und in der Welt an den sehr persönlichen Gründen, ein Kind zu bekommen, etwas ändern wird.

Wenn jemand aufgrund der Wahlergebnisse – und der Entwicklungen, die damit in Zusammenhang stehen – die Entscheidung trifft, keine Kinder zu bekommen, muss man das akzeptieren. Aber irgendetwas in mir weigert sich, den ,anderen‘ diese Welt so einfach zu überlassen. Denn Ideen wie Demokratie, Menschenrechte und Mitgefühl sind von den Menschen abhängig, die sie leben. Sterben die aus, sterben auch die Ideen aus. So einfach sollten wir es ihnen wirklich nicht machen.“

Du willst zumindest noch ein zweites Buch schreiben. Darfst du dazu schon etwas sagen?

„Allein die Kapitel über Elternabende, Kindergeburtstage & Co. dürften schon das halbe Buch füllen. Es gibt aber auch viel Herzschmerz – und geschimpft wird natürlich auch wieder ganz ordentlich.“

Und noch eine letzte Frage: Könnte man eigentlich in Bonn glücklich werden, oder ist das ausgeschlossen?

„Hin und wieder lese ich von Menschen, die dort sehr, sehr glücklich zu sein scheinen.“

Claudias Haessy: „Wenn ich die Wahl habe zwischen Kind und Karriere, nehme ich das Sofa“. 256 Seiten.

Titebild: depositphotos.com

Mehr bei EDITION F

„Warum stehen Mütter nie auf und sagen: Weißt du was – du kannst mich mal!“ Weiterlesen

Wie ich es schaffe, als Mama noch ich zu sein. Weiterlesen

Mutterschaft: Kann ich überhaupt noch mit Kinderlosen befreundet sein? Weiterlesen

Anzeige