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Ich bin nicht genug! Vom ständigen Drang, jemand anderes sein zu wollen

Du bist gerade so richtig zufrieden mit dir und deinem Leben. Und dann triffst du plötzlich diese eine Person, die das einfach wegwischt – weil sie viel intelligenter, erfolgreicher, attraktiver, ach, einfach besser ist als du. Vom ständigen Drang, jemand anderes sein zu wollen und wie wir uns das zunutze machen können.

 

Mein Leben ist toll! Ach nee, doch nicht

Es ist verdammt kalt draußen, aber die Sonne scheint. Ich stehe unter
der Dusche und wasche mir den Schweiß vom Körper, den der Zehn-Kilometer-Lauf so
mit sich gebracht hat. Der Musikstreaming-Dienst spielt die Dusch-Playlist. Und während ich

Girls just wanna have fun in perfekter Tonlage (natürlich…) mitsinge, denke ich: Dein Leben ist gut, Mädchen! Ja, sehr gut sogar! Toller Job, genug Geld, super Freunde, zufrieden mit dem eigenen Aussehen – alles stimmt! Ich bin glücklich mit mir und meinem Leben und fange an, lauter zu singen.

Zehn Stunden später sitze ich in der menschenüberfüllten WG-Küche eines
Freundes, trinke mein drittes Bier und frage mich, ob ich heute
morgen einfach nur vollkommen zugedröhnt war, weil ich mich und mein
Leben richtig klasse gefunden habe.

Melli ist nämlich auch Teil
der für die Küche zu groß gewordenen WG-Party. Melli, ich nenne sie
jetzt so. Scheißegal, wie sie heißt. Hannelore, Elena, Waltraud….
Eine/n wird es immer geben. Eine/n, der oder die um vieles besser,
äußerlich attraktiver, schlagfertiger, intelligenter, mutiger,
finanziell und beruflich erfolgreicher ist als du.

Melli ist
wirklich unfassbar hübsch. Und als sie ein Jahr in Australien war, hat
sie Bungee Jumping von einer Klippe gemacht. Jetzt studiert sie und
verdient sich mit einem gut gewählten Aushilfsjob nebenher eine goldene
Nase. Sie ist so eine, die jeder mag. Die Leute wenden sich ihr ganz
automatisch zu. Sie muss nur einmal mit ihren großen blauen Augen
klimpern und ihr langes, volles Haar über die Schulter werfen.
Ihr Leben ist nicht klasse, ihr Leben ist definitiv erstklassig.

Da
spüre ich wieder dieses Ziepen in der Magengegend, erwische mich dabei,
wie ich kläglich versuche, ihre anscheinend so lockere Art zu kopieren,
zerbeiße mich daran, ihr Verhalten zu studieren, nippe an meinem Bier und
denke: Warum habe ich das nie so hinbekommen?

Ich wär gern weniger wie ich, ein bisschen mehr so wie du…

…grölen die Jungs von Kraftklub aus der Anlage.

Ja, stimmt. Aber warum eigentlich? Warum verspüren wir ständig den Drang, jemand anderes sein zu wollen und weniger wir selbst?

Wir
zerbrechen uns den Kopf, machen uns selbst unglücklich, um jemand zu
sein, der wir nicht sind, weil wir meinen, in einer Person etwas gesehen
zu haben, was wir in uns vergeblich suchen.

Diesen ständigen Drang,  jemand anderes sein zu wollen, haben wir uns selbst zuzuschreiben, weil
wir uns ständig vergleichen. Mit Hinz und Kunz. Weil wir Neid für eine
Person empfinden anstatt Freude für uns, weil wir diese Person kennen
und eventuell sogar von ihr lernen können.

Unsere Suche nach
Anerkennung
hat Suchtpotenzial, weil unsere heute leistungsorientierte
Gesellschaft
uns die Werkzeuge im Übermaß zur Verfügung stellt, um
unsere Sucht zu befriedigen. Mehr noch: Sie lehrt uns ja schon irgendwie
das Chamäleon-Syndrom. Wandelbar, anpassungsfähig. Am besten in allen
Farben. Da wird es auf einmal selbstverständlich, mit 23 den Bachelor und fünf Jahre Berufserfahrung zu haben – aber ist es das wirklich? Und oft
schaffen wir es einfach nicht, uns auf Entzug zu begeben und uns einfach mal wieder auf uns selbst zu besinnen. Erfolge zu feiern, zufrieden zu sein, mit dem,
was wir selbst erreicht haben.

Das Credo lautet: Gemeinsame Freude statt Neid

Anstatt Menschen zu beneiden, mach
sie dir zu Freunden. Du bist unzufrieden mit dir, weil du gerne etwas
mutiger wärst? Gut! Umgib dich mit Menschen, von denen du denkst, dass sie diesen Mut schon haben. Beneide ihren Mut nicht, sondern zehre davon. Erlaube dir, ein Stückchen davon anzunehmen, färbe und
forme es um, bis es in deine eigene, ganz individuelle Idee von dir selbst und deinem Leben passt.

Abseits von
Leistungsgesellschaft, Selbstoptimierung und perfekter
Selbstinszinierung sind wir aber vor allem eines: Menschen. Perfekt
unperfekt. Aber immer lernfähig.

Wir sind nämlich nicht von der Stange, wir sind maßgeschneidert. Und genau so soll das auch sein.

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