Foto: patrizia isabella widritzki

denken – nach vorn

was ist eigentlich so wahnsinnig schlimm daran, die dinge mal anders zu machen, als eben schon immer? schliesslich gibt es sehr viele menschen da draußen, die wir für ihre visionen und träume beneiden. dafür dass sie das unmögliche einfach nur gedacht oder sogar möglich gemacht haben.

 

aber ja, je nachdem worum es sich handelt, ein produkt oder denkweisen – hardware oder software – ist es scheinbar nötig zunächst als spinner und idealist abgewunken zu werden. oder schlimmer noch, angegangen zu werden. aber das unmögliche ist nur unerreichbar für jene, die nicht daran glauben. die keinen gedanken daran verschwenden zu denken – was wäre wenn?

es wird nie eine wirkliche gleichberechtigung geben

ich glaube an gleichberechtigung. und daran dass wir sie erreichen können. aber nicht nur von der einen oder anderen seite. sondern von vielen seiten. aus unterschiedlichen perspektiven, denn darauf beruht gleichberechtigung. eine auf vielfalt basierende, bewegliche utopie, ohne bestrebungen der gleichschaltung und gleichmacherei.

“utopie, ist denken nach vorn.” (ernst bloch)

die utopie ist hier nicht als ein niemals zu erreichender ort gemeint. sondern als eine möglichkeit. eine alternative zum bestehenden. wenn man, wie bloch, die welt als etwas werdendes, nicht seiendes betrachtet – als etwas offenes und nicht zu ende gedachtes – kann es gelingen sich der idee einer utopie aufzuschliessen. die zukunftsforscher robert jungk, rüdiger lutz und norbert r. müllert haben die methode „zukunftswerkstatt“ entwickelt. dabei geht es darum die phantasie anzuregen, um selbstbestimmt mit neuen ideen lösungen für gesellschaftliche probleme zu entwickeln. genutzt wird das kreative problemlösungspotenzial jedes menschen, jeder ist lernender und gleichzeitig lehrender. nach jungk ist der kulturell belastete mensch, sowohl in seinen eigenen vorbehalten, ängsten und denk-mustern gefangen, als auch in einem „zeitgefängnis“. oft sieht er die ideen unserer zeit als selbstverständlich und als die einzig richtigen an. die methodik der zukunftswerkstatt besteht aus mehreren phasen. eine der wichtigsten ist die sogenannte fantasiephase. sie hat eine spielregel: alles ist möglich. alle einwände wie „das geht aber nicht, weil …“ und alle zweifel haben platz in der dritten phase, der verwirklichungsphase. in der fantasiephase jedoch ist raum für alle wünsche, träume, ziele und utopien. das auslagern aller „aber“ in die nächste phase hilft, der fantasie freien lauf zu lassen und einfach mal rumzuspinnen.

alles ist möglich

die methode der zukunftswerkstatt ist nicht nur höchst partizipativ und gleichberechtigt. sie ermöglich vorallem das individuelle einbringen jedes einzelnen auf augenhöhe. eine ausgesprochen demokratische vorgehensweise. mir gefällt vorallem, dass in der eigenbeschreibung erwähnt wird, dass die methodik als prinzip der partizipation einen offenen ausgang impliziert und deshalb nicht nur einem formalen ablauf folgen kann. sie ist im gegenteil variierbar und ergänzbar.

“nur wer die zukunft im vorausgriff erfindet, kann hoffen, sie wirksam zu beeinflussen.” (robert jungk, zukunftsforscher)

warum ich überhaupt auf diese methodik komme? weil gleichberechtigung uns alle betrifft und unser aller (um)denken und handeln benötigt. es ist nichts rein individuelles. das ist es ja grade. deshalb haben die meisten auch eine art ohnmachtsgefühl der kategorie das-kann-ich-eh-nicht-ändern, welches sich scheinbar immer dann einstellt, wenn wir über etwas nicht die alleinige voll-kontrolle zu haben scheinen. dann wenn wir uns nur als kleines rädchen im getriebe empfinden und denken dass wir die verantwortung dafür schon längst abgegeben haben. zum beispiel an die politik. und die wiederrum empfinden viele scheinbar als nicht-teil von sich. beziehungsweise sich selbst nicht als teil der politik. unpolitisch quasi.

sozial, asozial, unsozial – aber politisch

aber kein mensch, der in einer gemeinschaft, in einer gesellschaft lebt, ist unpolitisch. zwar sind nicht alle zwischenmenschlichen probleme gleich politische probleme. aber sie werden politisch, sobald das zusammenleben von menschen als solches problematisch wird. wenn also konflikte entstehen, die vermittlung oder regelung bedürfen. dann werden sie zur politik im weiteren sinne. und wenn diese konflikte dann nicht nur auf persönlicher bekanntschaftsebene, sondern auf anonym-gesellschaftlicher ebene ablaufen, dann werden sie schon zur politik im engeren sinne. weil es sich um soziales handeln im gesamt-gesellschaftlichen sinne handelt. kurz gesagt: jeder handelt politisch. jeder trägt mit-verantwortung. selbst wenn man sich un-sozial verhält, vielleicht besonders dann.

gleichberechtigung ist ein grosses, gesellschaftliches thema. ich sage bewusst nicht ziel, denn meiner meinung nach ist sie nicht etwas, das man erreicht. sie ist etwas, das wir permanent tun. und gross heisst in diesem fall soviel wie „viele menschen betreffend“. genau genommen: alle. und nicht nur alle die momentan auf der welt leben. sondern auch alle, die in zukunft auf der welt leben werden. gleichberechtigung erfordert dauerhafte verhaltens- und haltungsänderungen von uns allen, und dies kann nicht funktionieren, wenn uns irgendwer diktiert wie gleichberechtigung „funktioniert“. denn dazu müsste dieser jemand, fest definieren wer oder was gesellschaft ist, beziehungsweise wer oder was eben nicht gesellschaft ist. und weil das nicht möglich ist, denn gesellschaft besteht aus uns, aus den menschen die sie ausmachen und ist demnach so vielfältig wie wir es sind, muss sie sich in und aus der gesellschaft heraus entwickeln und gelebt werden.

damit dies gelingt, müssen wir bewusst unser politisches handeln ausüben und wissen, dass wir politisch sind und nicht von politik geführt werden. es benötigt empathie, die fähigkeit, sich in unseren interaktionspartner hineinzuversetzen, um andere perspektiven als die unsere einnehmen zu können. in übung zu bleiben, bezüglich unseres sozialen verhaltens, um stigmatisierung von gruppen, die scheinbar nicht der gesellschaftlichen norm entsprechen, zu vermeiden. beweglich im kopf bleiben, sich unbekanntem gegenüber offen zeigen und dazulernen. das ist denken nach vorn, nicht auf der stelle.

wie und was gesellschaft ist, können wir selbst bestimmen. wir können sie auch als offenes system betrachten und den ständigen wandel akzeptieren, der sich in ihr vollzieht. ohne ausgrenzung. beobachtend, sicherlich auch persönlich bewertend, aber dies lässt sich schwer vermeiden und ist zunächst einmal auch unproblematisch. es ist völlig nachvollziehbar und menschlich, dass wir in der beobachtung des anderen – und das ist schliesslich alles außerhalb unseres selbst – feststellen was anders ist. wie anders das andere ist, im vergleich zu uns selbst. die frage ist nur, zu welchem fazit wir dann gelangen. und ob es uns gelingt uns darüber im klaren zu sein, dass wir nicht der maßstab der norm sind. dass es vielleicht garkeine norm im eigentlichen sinne geben muss. dass wir uns von der hierarchisierung befreien können, die einem normativen system innewohnt. und erahnen, welche freiheit uns das bringen könnte. kann. wird.

“fortschritt ist nur die verwirklichung von utopien.” (oscar wilde)

veröffentlicht am 28. februar 2018 auf doingdiversity.org

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