Heimlich die Nachrichten des*r Anderen lesen, wenn diese*r gerade nicht da ist? Geht gar nicht! Wie können wir konstruktiv mit dem Bedürfnis umgehen?
Das Handy des Anderen ist eine No-Go-Area, oder?
Hand aufs Herz: Hast du schonmal eine Nachricht gelesen, die nicht für dich bestimmt war? Gar nicht so selten tun Menschen etwas, von dem sie selbst finden, dass das eigentlich nicht in Ordnung ist. Wie sollten wir damit umgehen?
Es ist nicht hilfreich, den moralischen Zeigefinger zu heben und über richtig oder falsch zu urteilen. Der Drang, fremde Nachrichten zu lesen, kann sich auch aus emotionaler Not und nicht aus Respektlosigkeit entwickeln – aber das hat Konsequenzen. Deshalb lohnt es sich, das Phänomen etwas genauer zu betrachten.
Ein wenig Theorie über Kommunikation vorweg ist in diesem Fall hilfreich. Ein Sprichwort lautet: „Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand.” Wenn wir sprechen, vermitteln wir nicht nur Fakten. Nach dem deutschen Psychologen und Kommunikationswissenschafter Friedemann Schulz von Thun hat jede Botschaft vier Ebenen und wir können sie mit vier unterschiedlichen „Ohren“ hören.
Die vier Ohren, mit denen wir hören
Wir hören mit dem dem Beziehungs-Ohr (Info darüber, wie beide zueinander stehen), dem Sach-Ohr (Faktischer Inhalt einer Botschaft), dem Selbstkundgabe-Ohr (Was ist gerade mit dem, der spricht?) und dem Appell-Ohr (Aufforderung: Was soll getan werden?).
Was das Appell-Ohr zum Beispiel bedeutet, wird deutlich, wenn wir uns Sätze wie „Mir ist kalt!”, oder „Was, es ist schon 20 nach 10?!” unter diesen Gesichtspunkten anschauen. Jeder hat schonmal das Fenster geschlossen und die Heizung höher gedreht oder sich beeilt, weil er*sie diese Botschaften einer anderen Person auf dem Appell-Ohr gehört hat.
Im direkten Gespräch sind wir zurückhaltender
Direkte Kritik äußern wir meist sanfter und diplomatischer, wenn die Person uns gegenüber steht, als wenn wir uns bei einer dritten Person über sie beschweren, um unserem Ärger Luft zu machen. Denn wir kommunizieren gleichzeitig immer auch über unsere Beziehung zu unserem Gegenüber und nicht nur über Fakten und unser eigenes Befinden.
Beim Reden über einer dritte Person, die nicht im Raum ist, ist die Ebene der Beziehung zu dieser Person, viel weniger relevant. Somit ist die Formulierung vielleicht entsprechend weniger ausgewogen. Es kann in dem Moment wichtiger sein, sich in einer bestimmten Weise dem Gegenüber zu präsentieren, die nichts mit der eigentlichen Person oder der Beziehung zu ihr zu tun hat.
Allein durch die verschiedenen Ebenen, auf denen wir gleichzeitig kommunizieren, gibt es ein großes Potential für Missverständnisse. Wie undurchsichtig und unnötig verletzend dies dann bei Botschaften werden kann, die gar nicht an uns gerichtet sind, ist offensichtlich. So wie bei einer Nachricht, die eigentlich dem*der Partner*in galt. Bei einer Aussage, die wir heimlich gelesen haben, können wir außerdem die Irritationen nicht durch Nachfragen klären. Die Chancen, durch das Lesen von fremden Nachrichten ein unsicheres Gefühl in ein Sicheres zu verwandeln, stehen daher schlecht. Warum also lesen wir die Nachrichten manchmal eben trotzdem?
Der Verdacht
Der emotionale Hintergrund für das heimliche Lesen ist oft Verunsicherung oder Misstrauen, gepaart mit wenig Gespür für persönliche Grenzen. Ein Beispiel, das ich in der Art schön häufiger geschildert bekommen habe:
Christina hat die vage Befürchtung, ihr Freund gehe fremd. Sie sitzt allein auf der Couch, ihr Freund ist in der Küche, sein Handy brummt und sie sieht eine Nachricht von einer Frau, die sie nicht kennt. Die unsicheren Gefühle schießen hoch und sie kann nicht widerstehen die Nachricht zu lesen. Sie findet im Nachrichtenverlauf keinen eindeutigen Beweis, jedoch ist der Tonfall ihres Partners doch irgendwie anders, als sie ihn kennt. Der gewünschte Effekt des heimlichen Lesens – Klarheit und Sicherheit – hat sich nicht eingestellt. Also schaut sie am nächsten Tag wieder heimlich in seine Nachrichten.
Nun gibt es ein Geheimnis, das verborgen gehalten werden muss. Der eigentliche Wunsch nach Sicherheit und letztlich nach Nähe und Verbundenheit erfüllt sich nun umso weniger. Im Gegenteil, ihr eigenes schlechtes Gewissen und die Unsicherheit, die nicht direkt besprochen werden kann, verhindern nun ein offenes, nahes Zusammensein erst recht.
Was sollten wir also bei einem mulmigen Gefühl tun?
Zunächst ist es wichtig, sich selbst die eigenen zugrundeliegenden Gedanken und Gefühle deutlich werden zu lassen. Das kann zum Beispiel sein: „Ich fühle keinen nahen Kontakt zu meinem Partner und bin verunsichert”, anstatt der Verdacht: „Er tut bestimmt dies oder das!”. Im zweiten Schritt geht es darum, den Kontakt wieder herzustellen und die eigenen Gefühle offen anzusprechen. Dabei sind Ich-Botschaften wesentlich. Zum Beispiel: „Ich fühle eine Distanz zwischen uns und bin verunsichert.” Unterstellungen und Vorwürfe sind kontraproduktiv. Die eigenen Gefühle kann jedoch niemand bestreiten und sie greifen auch niemanden an.
Im Weiteren ist es wichtige zu schauen, in welchen Situationen dieses Gefühl auftritt und welche Gedanken dazu durch den Kopf schießen. Ist es eine immer wieder auftretende eigene Unsicherheit, bei der die Partnerschaft vielleicht nur Auslöser, aber nicht der Grund ist? Oder gibt es konkrete Dinge, die nicht gut laufen, wie zum Beispiel distanziertes Verhalten, Unfreundlichkeit, exzessives Flirten mit anderen, wenig Zugewandtheit? Hat man das Gefühl eher, wenn man getrennt Zeit verbringt oder zum Beispiel in Gruppensituationen?
In jedem Fall ist ein offener Austausch das einzige Mittel, das zur Klärung und Verbesserung führt. Sollte der Partner dauerhaft abblocken oder nicht darauf eingehen, muss man sich fragen, ob man wirklich glücklich miteinander ist und die Beziehung weiterhin so führen möchte.
Wir müssen über Gefühle reden
Das potentielle Fremdgehen ist für unsere Gefühle nicht der wesentliche Punkt. Der Knackpunkt ist das „sich nicht wohl und sicher fühlen”. Und das besteht ja und wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Sicherheit und Nähe verwandelt, nur weil wir keinen Beweis dafür finden, dass der andere nicht treu ist!
Es geht also um einen ehrlichen Blick, auf uns selbst, die Beziehung und ein sich zeigen, die eigenen Gefühle offen anzusprechen und zu seinen Gefühlen zu stehen. Dabei ist es ein Riesenunterschied, ob ich sage: „Ich bin unglücklich über dieses Verhalten und habe Ängste und empfinde Eifersucht”, oder „Du bist ein*e Betrüger*in!” Wenn du immer wieder darunter leidest misstrauisch oder verunsichert zu sein, ist es sinnvoll sich professionelle Hilfe zu holen.
„Ja aber was, wenn er oder sie wirklich fremdgeht?”
Nun könnten manche sagen: „Aber oft ist es doch so, dass durch das Nachrichtenlesen ein Fremdgeher entlarvt und Klarheit geschaffen wird!” Das mag sein. Das hat auf diese Weise jedoch einen hohen Preis. Es geht auf Kosten der eigenen Integrität. Ich werde zu einem Menschen, der Dinge tut, die er eigentlich nicht richtig findet. Ich bringe mich selbst moralisch in eine schwächere Position. Mein Denken, Handeln und Fühlen stimmen nicht mehr überein.
Was auch immer Menschen um uns herum tun, unser eigenes Verhalten sollten wir an unseren eigen moralischen Maßstäben ausrichten und diese nicht in abhängiger Reaktion auf den anderen über Bord werfen. Die Grenze der eigenen Integrität ist wichtig und schützenswert. Überscheiten wir sie, macht uns dies im Endeffekt nur schwächer und unsicherer. Also schützen wir, wenn wir die Grenze nicht überschreiten, nicht den andern sondern uns selbst!
Wenn dich jemand wirklich betrügen will, kann er das so geschickt tun, dass du nichts merkst, trotz Achtsamkeit oder Detektivspielen. Wie bei allem im Leben stützt uns letztlich nur die innere Gewissheit, was auch passiert, ich stehe zu mir, kümmere mich gut um mich und werde damit fertig. Und wenn dein Gefühl immer häufiger schlecht ist, solltest du es als Anlass sehen, mit deinem*r Partner*in darüber zu sprechen, auch ganz ohne Beweise!
Der Artikel ist zuerst auf Tinas Blog soulmates.berlin erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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