„Deutschland liegt bei vielen Themen total zurück“ – Kathrin Werner ist freie Journalistin in New York. Wir haben mit ihr über die Zukunft des Journalismus und Frauen in Führungspositionen gesprochen – und warum die Deutschen viel konservativer und engstirniger sind als sie denken.
„Nach wie vor wird richtig guter Journalismus gemacht. Man muss nur viel mehr arbeiten, für relativ wenig Geld”
Die Sonne wirft helle Sprenkel auf den Holzboden des kleinen Cafés in Brooklyn. Früher galt der Stadtteil östlich von Manhattan als gefährlich. Heute gibt es in Brooklyn Luxuswohnungen, Matcha Latte und Yogastudios. Es ist also wie beinahe überall: die typische Gentrifizierung eben.
Während sich draußen die Luft erhitzt und das geschäftige Treiben zunimmt, warten wir in einem der vielen hippen Cafés an einem langen Holztisch auf Kathrin Werner. Die freie Journalistin und Autorin arbeitet unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und das Wirtschaftsmagazin Capital und veröffentlichte das Buch „Liebesglück”. Ihr eigenes Liebesglück fand Kathrin in New York. Dort lebt sie mit ihrem Mann und erwartet im Juli ihr erstes Kind. „Deswegen trete ich auch aktuell etwas kürzer“, sagt sie und lacht. Dann funkeln ihre blauen Augen und kleine Grübchen blitzen über ihre Wangen. Auf eine 40 Stunden Woche komme sie aber trotzdem locker, aber es fühle sich nicht immer alles wie Arbeit an.
Wir haben mit Kathrin über die Zukunft des Journalismus und Frauen in Führungspositionen gesprochen – und warum die Deutschen viel konservativer und engstirniger sind, als sie denken.
Du hast erst Jura studiert und bist dann im Journalismus gelandet. War das so schon immer dein Plan?
„Ich wollte schon ganz früh Journalistin werden, hatte aber nicht so große Lust Journalismus zu studieren. Deswegen dachte ich, es ist vielleicht gut, etwas zu studieren, das mir mehr Möglichkeiten bietet. Dann hat man auch ein Thema, über das man schreiben kann. Ich finde nach wie vor, dass der Journalismus eher ein Handwerk als eine Wissenschaft ist. Das kann man gut in einem Volontariat oder auf einer Journalistenschule lernen. Für mich ergab sich nach dem Studium ein Volontariat bei der Financial Times Deutschland. Das hat sich irgendwie von Anfang an richtig angefühlt, also bin ich dabei geblieben.”
Was hat sich deiner Meinung nach seitdem im Journalismus verändert?
„Als ich angefangen habe, gab es noch kein Internet. Man hat keine E-Mails verschickt, es gab keine Smartphones, es gab noch nicht einmal den Online-Journalismus. Man muss sich mal überlegen, was das für ein gigantischer Sprung in einer so kurzen Zeit war. Diese gravierenden Veränderungen haben dazu geführt, dass die Branche eine große Spur an Arroganz verloren hat.”
Wie war es denn früher?
„Früher war ein Job als Journalist*in noch deutlich umkämpfter. Man musste sich schon um eine Praktikumsstelle total bemühen. Nach allem, was ich aktuell so höre, gehen die Bewerber*innenzahlen ziemlich nach unten. Das stellt natürlich auch große und bekannte Medienhäuser vor Probleme.”
„Meine Arbeit ist mir heute weniger wichtig, als sie es noch vor sieben Jahren war.”
Das klingt nach einer ziemlich großen Krise.
„Ja, ich glaube schon, dass die Branche noch ein paar Jahre Krise vor sich hat. Und ich glaube auch, dass noch einige Publikationen verschwinden werden, von denen wir uns das heute noch gar nicht vorstellen können. Ich weiß allerdings nicht, ob das eine Krise des Journalismus ist oder eher eine Krise der Verlagsindustrie, die sich viel zu langsam angepasst hat. Ich glaube auch, dass nach wie vor richtig guter Journalismus gemacht wird. Man muss nur viel mehr arbeiten, für relativ wenig Geld.”
Alle reden immer von der Work-Life-Balance, von der Sinnhaftigkeit von Arbeit und Selbstverwirklichung. Welchen Stellenwert nimmt das Thema Arbeit denn bei dir ein?
„Der Stellenwert hat sich tatsächlich verändert. Damals bei der Financial Times Deutschland hatte man das Gefühl in einer Art Start-Up zu arbeiten. Mit der Mentalität: Wenn wir möglichst viele, möglichst tolle Sachen machen, dann retten wir den Laden. Damals war das wahnsinnig wichtig für mich. Dass ich erst um acht oder halb neun aus dem Büro gekommen bin, hat mich gar nicht gestört. Ich hatte das Gefühl, wir sind auf einer Mission. Das war dann auch ein wichtiger Teil meiner Selbstwahrnehmung und meiner Identität.”
Und heute ist es nicht mehr deine Identität?
„Ich mache das auch heute noch sehr gerne. Aber es ist nicht mehr mein einziger Lebensinhalt. Für mich ist es wichtiger geworden, eine gute Balance und Zeit für meine Hobbys, Familie und Freunde zu haben. Meine Arbeit ist mir heute weniger wichtig, als sie es noch vor sieben oder acht Jahren war.”
Wenn wir uns in zehn Jahren hier wieder mit dir treffen: Was wird dann anders sein im Journalismus?
„Also ich würde doch sehr hoffen, dass ihr mich dann nicht mehr fragt: ,Arbeitest du für Print oder für Online?’, sondern, dass das dann eine Sache ist. Ich denke, Print wird dann nur noch ein Beiprodukt sein. Aber vermutlich wird es sogar schon viel früher an Relevanz verlieren. Und ich hoffe, dass es dem Journalismus bis dahin gelingt, bei den Interessen der breiten Bevölkerung zu bleiben, dass wir nicht zu sehr abheben. Es ist schon jetzt so, dass eigentlich alle Zeitungen weitgehend von Leuten gelesen werden, die ohnehin schon ein hohes Bildungsniveau haben. Aus der Zeitung verschaffen sie sich nur noch zusätzliches Futter und Argumente für eine Diskussion. Ich würde mir wünschen, dass es uns irgendwie gelingt, auch medienferne Leute anzusprechen. Das wäre für unsere Demokratie wahnsinnig wichtig.”
„Ich wünsche mir sehr, dass in zehn Jahren wirklich die Hälfte der Führungspositionen mit Frauen besetzt sind und das Machogehabe aus Konferenzen verschwunden ist.”
Machen die USA da schon Dinge besser?
„Hier in den USA gibt es zum Beispiel auch Medienprojekte mit Snapchat. Klar, bei uns in Deutschland ist Snapchat nicht so groß wie hier. Aber man sieht, dass man sich in den USA mehr auf Medienkanäle fokussiert, die von jungen Leuten genutzt werden, dass man mehr in Schulen geht und so schon früh an den Journalismus heranführt. Hier sagt man ’Preaching to the Choir’, also wie schaffen wir es, dass wir nicht nur Leute erreichen, die das eigentlich gar nicht nötig haben?”
Hast du noch mehr Wünsche für die Zukunft deiner Branche?
„Ich wünsche mir sehr, dass in zehn Jahren wirklich die Hälfte der Führungspositionen mit Frauen besetzt sind und das Machogehabe aus Konferenzen verschwunden ist.”
Welche Unterschiede siehst du bei dem Thema zwischen Deutschland und den USA?
„Deutschland liegt bei all diesen Themen total zurück.”
Welche Themen meinst du konkret?
„Beim Thema Teilhabe auf jeden Fall, aber auch was liberale Werte im Allgemeinen angeht. Ich glaube, dass die Deutschen viel konservativer und engstirniger sind, als sie denken. Vielleicht ist das aber auch eine New Yorker Perspektive. Was mich stört: Wir Journalisten kreiden der Wirtschaft immer an, zu wenig Frauen in Führungspositionen zu haben. Dabei ist es im Journalismus auch nicht besser. Zumindest was die reinen Zahlen angeht. Ich glaube aber, dass es aktuell ein großes Bewusstsein dafür gibt und hoffe, dass sich die Dinge ändern werden.”
„Die USA sind da auch nicht rühmlich, aber in Deutschland ist es einfach noch schlimmer.”
Neulich haben wir uns mit einem Inder unterhalten, der ein paar Monate in Deutschland gearbeitet hat. Er war total überrascht, dass es so wenig weibliche Führungskräfte in Deutschland gibt – im Vergleich zu Indien. Er dachte, dass Deutschland da viel fortschrittlicher sei.
„Ja, das denken wir Deutschen ja auch immer von uns. Und die USA sind da auch nicht rühmlich, wenn man mal ins Silicon Valley blickt, das ist ja auch total männlich dominiert. Aber in Deutschland ist es einfach noch schlimmer. Was interessant ist, dass darüber sogar amerikanische Medien berichten. Die New York Times hatte einen ganz langen Artikel über fehlende Chancen von Frauen in der deutschen Wirtschaft. Der Blick von außen auf das eigene Land ist schon ziemlich spannend.”
Was würdest du jungen Frauen aus Deutschland da raten?
„Hart verhandeln, sich nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein, sich immer mit an den Tisch setzen. Aber ich bin sehr zuversichtlich. Euch muss ich eigentlich gar keine Ratschläge geben.”
Warum?
„Die Ratschläge müssen eigentlich die alten Säcke in den Führungsetagen beherzigen. Denen ist schon klar, dass da tolle junge Frauen nachkommen. Eure Generation ist gar nicht das Problem und auch meine Generation ist nicht das Problem. Bei uns gibt es schon sehr viele, sehr gut ausgebildete, selbstbewusste Frauen, die tolle Arbeit machen. Das Problem ist vielmehr, dass ein Mittelbau fehlt. Zu viele Männer zwischen 40 und 55 sind jetzt in den Führungspositionen. Das führt dazu, dass es für uns Frauen kaum Vorbilder gibt. Ich würde die Schuld nicht bei uns suchen und wir müssen auch nicht unser Verhalten ändern. Es geht eher darum, dass die, die jetzt in den Machtpositionen sind, endlich mal was tun.”
Die Autorin Ines Timm ist aktuell mit ihren Freundinnen und Kolleginnen Johanna Felde und Johanna Röhr in New York. Gemeinsam schreiben sie von dort aus den Blog „Schichtwechsel”, auf dem auch dieses Interview von Ines Timm und Johanna Röhr zuerst erschienen ist. Wir freuen uns, dass wir den Beitrag auch hier veröffentlichen können.
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