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„Die Digitalwirtschaft hat ein Frauenproblem“ —  wie können wir das ändern? Eine Vision ist nötig!

Auch 2018 lesen und hören wir immer wieder, die Digitalwirtschaft hat zu wenige Frauen. Warum aber ist das so und wie können wir das ändern? In einem Workshop mit einer Kollegin und beim Besuch von Mitgliederinnen der Initiative #femalefootprints des Vereins D64, haben wir uns diesem Thema gewidmet. Hier unser Ergebnis…

 

Als Zukunftsgestalterin beschäftige ich mich nicht nur mit Trends, sondern vor allem mit Wandel und damit, wie wir diesen proaktiv anstoßen können, um die Welt von Morgen so mitzugestalten, wie wir uns diese heute wünschen. Dafür ist es nicht nur nötig, zukünftige Möglichkeiten zu kennen, sondern erfordert es auch, sich umfassend mit dem Status Quo und dahinterliegenden Gründen und Denkmustern auseinanderzusetzen. So hören wir fast täglich von Innovationen und Verbesserungen, zu oft aber vergessen wir dabei, dass, eine Nichtauseinandersetzung und Reflektion mit unserer Denkweise und vor allem einer Neugestaltung unseres Denkens uns oft vor echtem CHANGE zurück hält. Nur, wenn man weiß, auf welchem Denken bestimmte Probleme aufbauen, kann man diese ins Positive wandeln und neue visionäre Wege entwickeln. Um wirkliche (gesamt-) gesellschaftliche Fortschritte zu machen, müssen wir unsere inneren Werte — unsere Kultur, unsere eigenen Geschichten, Ängste und Hoffnungen —  mehr bewusst machen und gegebenenfalls auch hinterfragen. 


Die Digitalwirtschaft ist hier ein gutes Beispiel. Hat diese junge Querschnittsbranche uns in den letzten Jahre viele neue Möglichkeiten geschaffen, ob Services und Produkte, die wir täglich nutzen oder neue Jobprofile und Arbeitsplätze, so hat sich ein zentrales Problem seither fast kaum verändert, etwas höhnisch ausgedrückt: “Die Digitalwirtschaft hat ein Frauenproblem”. 
Um solche Probleme tiefer zu analysieren, nutzen wir in der Zukunftsforschung das Eisbergmodell der Causal Layered Analysis Methode von Sohail Innayatullah. Hierbei handelt es sich um eine Methode, die hilft den eigentlichen Ursprung eines Problems zu finden, indem es dieses systemisch zerlegt, um dann durch Veränderung des inneren Narratives die Lösung des Problems und eine neue Zukunft zu finden. 


Am Anfang steht immer die Litanei, ein oberflächliches Problem: “Die Digitalwirtschaft hat ein Frauenproblem”. Dabei wird eine solche Litanei durch bestimmte Gründe und Systeme getragen. Ein System stützt sich auf bestimmte Weltansichten und Ideologien, diese wiederum werden durch Mythen und Metaphern gefüttert. Hierbei handelt es sich um nicht weiter reflektierte (z.B. kulturelle oder historische) Annahmen oder Neigungen, die wir für natürlich halten und nur selten in Frage stellen. Sie sind teils tief in unseren Sprachgebrauch und unseren Verhaltensweisen verankert und zeigen sich oft in Form von z.B. Sprichwörtern. Erst wenn man es schafft, diese Wurzeln zu entdecken und ins Positive umwandelt, kann Wandel tatsächlich eingeleitet werden. Aber Schluss mit der Theorie. Im Folgenden möchte ich euch unsere Gedanken und Ergebnisse vorstellen, auf die wir im Workshop gestoßen sind, da ich denke, dass sie auch für euch einen tollen Impuls zum Umdenken bieten können. Ich möchte dabei betonen, dass die hier genannten Gedanken und Ideen in einer kleinen Runde entstanden und vor allem persönliche Erfahrungen reflektieren, die nicht für jeden so gelten müssen. 

1. SYSTEME

Schritt 1: Gründe und unterstützende Faktoren im System, die dafür sorgen, dass das Problem “zu wenig Frauen in der Digitalwirtschaft” überhaupt existiert: 

  • Der wohl wesentlichste Grund dafür, dass es weit weniger Frauen in der Digitalwirtschaft gibt als Männer ist der Fakt, dass nur 25% der IT Studenten weiblich sind.  
  • Auch wenn Edition F hier schon einen guten Anteil leistet, so fehlt es in den Medien noch immer an weiblichen Vorbildern und klassische Frauenmagazine thematisieren die Digitalwirtschaft wenig bis gar nicht.
  • Noch immer wird die Digitalwirtschaft als ein für Frauen “untypisches” Berufsfeld deklariert und zu stark in “typisch weiblichen oder männlichen” Fokusmärkten gedacht. Dabei spielt die Schule und unsere Erziehung hier eine zentrale Rolle. Mädchen spielen doch lieber mit Puppen und Jungs mit Lego oder? 
  • Gerade wenn es um Gründungen und Venture Capital geht, gibt es vor allem sehr stark männlich dominierte Netzwerke und Seilschaften. In solche Kreise reinzukommen ist schwer. 
  • Wenn es um das Ausprobieren von Gründungsideen geht, so scheint es als sei die Absicherungsangst bei Frauen ausgeprägter zu sein als bei Männern. 
  • Haushalt, Kinder, Job, wo bleibt da Zeit für die Gründung? Studien zeigen, dass auch im Jahr 2018 viel noch immer bei Frauen hängen bleibt. 
  • Dass Frauen noch immer meist weniger verdienen als Männer in gleichen Positionen, ist nicht nur unfair, sondern hält auch von Unternehmensgründungen zurück. Woher das erste Seed Money nehmen, wenn man vorher keine Möglichkeit hatte, groß etwas bei Seite zu legen? 
  • Ein weiterer Faktor, der sich im Übrigen nicht nur auf die Digitalwirtschaft oder die Frauenthematik beschränken lässt, ist, dass wir eine verzerrte Wahrnehmung haben wie wir Erfolg definieren. Glauben wir doch oft, dass der Kollege, der 24/7 erreichbar ist und lange im Büro sitzt, erfolgreicher ist, als die Kollegin, die nur eine 6 Stunden Stelle hat. Solange sich Erfolg nur an Verfügbarkeitszeiten oder Effizienz, nicht aber an Qualität oder Effektivität bemisst, wird das Problem so unterstützt.

Ok, nun kennen wir ein paar Gründe dafür, warum wir Frauen in der Digitalwirtschaft noch immer unterrepräsentiert sind. Diese Gründe bauen dabei wiederum auf bestimmten Denkmustern und Ansichten auf, die sich in unseren Köpfen und unserer Kultur fest etabliert haben. Welche aber sind das? 

2. WELTANSICHTEN

  • Die Politik und Wirtschaft ist allgemein aktuell einfach noch immer  männlich dominiert. 
  • Das politische Jahr 2017 hat gezeigt, das traditionelle Familienbild spielt anscheinend noch immer eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft. 
  • Traurig aber leider oft wahr, Frauen unterschätzen sich oft bei ihren Fähigkeiten oder sind zu bescheiden.
  • Männer dürfen scheitern, das macht sie stärker. Wenn Frauen scheitern kommt der Spruch “Ich habe dir ja gesagt, das ist zu risikoreich”. 
  • Wir leben in einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft, d.h. vor allem der Stärkere und Schnellere gewinnt. Technik unterstützt das, denn es macht Dinge vor allem eins: effizienter. 
  • Der Diskurs und die Expertenmeinungen darüber, ob es stimmt oder nicht gehen stark auseinander, dennoch nimmt es immer wieder eine zentrale Rolle in unserem Denken ein: Es gibt Unterschiede zwischen Mann und Frau, ob biologisch begründet oder in Form von Eigenschaften, die wir als eher weiblich oder eher männlich wahrnehmen. 

Über einige der hier genannten Denkmuster hat der ein oder andere von euch sicher schon oft nachgedacht. Doch auch darüber, warum solche Denkmuster überhaupt existieren? So sind es nicht nur unsere Kultur oder die vorherrschende Weltansicht, die uns prägen, sondern vor allem Mythen und Metaphern, die einen wesentlichen Kern unseres Denkens darstellen und zum Beispiel unsere Kultur überhaupt erst beflügeln. 

3. MYTHEN UND METAPHERN

  • Eine der bekanntesten Sprüche im Bereich Mann vs. Frau ist wohl dieser hier: “Frauen können nicht einparken”. Wer auch immer Schuld daran hat, dass sich dieser Spruch überhaupt erst verbreitet hat, hätte wohl nicht gedacht, dass es langfristig mal dazu führt, dass wir Frauen deshalb prinzipiell mit einem schlechteren technischen Verständnis verbinden. Aber ja, “Technik ist ja sowieso Männersache”, stimmts?! 
  • Ob Sage oder Märchen, “Der Mann als Ernährer” ist ein Mythos, der noch immer stark in uns steckt. Ebenso wie der “Heldenstatus Mann”. Ok, es gibt ein paar weibliche Comic Figuren, aber Superman bleibt Supermen und nicht Superwoman. Und who knows this song “It’s a mens world”?! Nothing to add. 
  • Wenn es um Auftreten und Kommunikation geht, dann verfolgt uns hier gern auch der folgende Mythos: Erfolgreiche Männer sind attraktiv, erfolgreiche Frauen sind bossy. Erwischt?!  
  • In Bezug auf Technik herrscht oft die Metapher, dass Technik kalt sei und in Konkurrenz zum Menschen und dem Menschsein steht: “Mensch vs. Maschine”.
  • Neben dem Mann/Frau Diskurs verfolgen uns aber auch u.a. die folgenden zwei Mythen, die einen wesentlichen Anteil daran haben, wie sich die Digitalwirtschaft aktuell entwickelt: 1. Viel Geld verdienen heißt irgendwann automatisch Selbstverwirklichung. 2.  Die Karriereleiter gilt als gesellschaftliches Statussymbol.

Dass Problem, dass es mehr Männer als Frauen in der Digitalwirtschaft gibt, speist sich also aus vor allem drei Feldern: 

  • Unser Bild von Technik
  • Rollenkonflikt Frau/Mann 
  • Zusammenspiel von Arbeit und Erfolg in der Gesellschaft

Die hier vorgestellten Gedanken bilden den Status Quo. Welches dieser drei Felder das Problem dabei am meisten beeinflusst kann glaube ich überhaupt nicht gesagt werden. Was aber stellen wir nun mit dieser Information an? Nun ja, wenn wir das Problem wirklich lösen wollen, brauchen wir eine neue Denkweise, d.h. wir müssen neue Mythen und Metaphern etablieren, neue Weltansichten und Denkmuster fördern und nach neuen Systemen suchen, die unsere Denkweise unterstützen! 

4. NEUE MYTHEN

Fangen wir mal ganz unten an und erschaffen zunächst neue Mythen und Metaphern! Was wollen wir in Zukunft hören? Was sind unsere neuen “Märchen”? 🙂 In unserer kleinen Gruppe haben wir folgende Aussagen getroffen, die ich unkommentiert mal so stehen lasse: 

  • “Empathie ist attraktiv”
  • Neugier heißt Selbstverwirklichung
  • Status verliert an Bedeutung
  • Geld ist immer nur als ein Mittel zu sehen!
  • Technik ist Mittel zum Zweck
  • Individualität ist attraktiv
  • „Typisch weiblich“ ist ein Potenzial
  •  Engagement ist wertvoll
  • Men, Women?! We are all human!

Das sind also ein paar neue Mythen, auf denen wir gerne aufbauen möchten. Gestalten wir nun eine neue Weltansichts-Ebene. An welchen Denkmustern wollen wir uns zukünftig gerne festhalten?

5. NEUE WELTANSICHTEN UND DENKWEISEN

  • Inspirierende Herausforderungen statt harter Wettbewerb. 
  • Kooperation und Kollaboration
  • Nachhaltigkeit und sinnvoller, reflektierter Einsatz von Technik
  • Tue Gutes und sprich darüber
  • Eigentum verliert an Wert
  • Technologie dient dem Menschen
  • Neues Innovationsparadigma: Soziale Innovationen & Social Entrepreneurship. Technologie eingebettet in sozialen Innovationen. 
  • Technologie, die unsichtbar wird
  • Gesamtgesellschaftliche Inklusion

Welche (vielleicht bereits bestehende Systeme) helfen, den Weg in die Zukunft zu gestalten? 

6. NEUE SYSTEME

  • Family (Kids oder Pflege) und Quality Time ist gleichranging zum Job 
  • Kindern früh den richtigen und kritischen Umgang mit Digitalem lernen 
  • Neue Formen der Kinderbetreuung, weniger 9to5 und mehr Flexibilität im Job bedeutet, ich brauche ggf. nicht immer nur die Vormittagsbetreuung, durchaus aber auch mal einen Mittwochabend oder Samstagvormittag
  • Bring your kids to work. Take your meeting to the “Sandbox”
  • Start your day with your team, but finish alone at home
  • Grundeinkommen oder Chancenjahr für den Start der Weiterbildung oder in die Gründung
  • Neutrale Geldgeber
  • Support statt Konkurrenz
  • Neutrale Sprache verwenden
  • Digital Literacy für alle
  • Mehr Bewegungen in den Schulen wie Girls- und Boys Day 

Aufbauend auf den hier genannten Wünschen ist es also Zeit für ein neues Denken. Statt Mensch vs Technik, Mann vs. Frau oder technisch vs. sozial und Schlagzeilen wie “Die Digitalwirtschaft hat ein Frauenproblem” wollen wir in Zukunft Folgendes lesen:  


Lasst uns (im Arbeitsleben) nicht mehr zwischen Mann und Frau unterscheiden und lieber von we are all humans sprechen. Lasst uns die Digitalwirtschaft so verstehen, dass Technologie keinen Selbstzweck hat, sondern uns Menschen hilft innerlich zu wachsen, uns äußerlich zu entfalten und die Welt, in der wir leben im Einklang aus Mensch/Mensch, Mensch/Technik und Mensch/Natur für nachfolgende Generationen lebenswerter zu machen. Lasst uns Gründungen hierfür als das Empowernment des 21. Jahrhunderts sehen, endlich wirklich eine Work Life Balance zu erreichen,ob durch mehr Selbstverwirklichung oder mehr Flexibilität. 

Kommentiert gern, was ihr so denkt! 


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