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Kinderfrei fürs Klima? Warum wir bei einfachen Lösungen skeptisch sein sollten

Auf Kinder verzichten, um das Klima zu retten? Warum wir uns bei komplexen Debatten nicht auf die vermeintlich einfachen Lösungen stürzen sollten und warum gerade diese Argumente oft nicht feministisch sind.

Woher kommt der Kinderwunsch?

Menschen sind in Deutschland weitgehend frei dabei, sich zu entscheiden, ob sie Kinder bekommen wollen oder nicht. Unbeabsichtigte und nicht gewollte Schwangerschaften können in den meisten Fällen abgebrochen werden, Verhütungsmethoden helfen dabei, den Zeitpunkt zu planen, Eltern zu werden. Reproduktionsmedizin unterstützt diejenigen, deren Körper nicht von allein das Wunder vollbringen will. Familien nehmen Kinder bei sich auf, die andere Eltern gezeugt und geboren haben.

Den eigenen Kinderwunsch kann man kaum präzise begründen. Man hat ihn, wird von ihm überwältigt, er entwickelt sich mal früher, mal später, vielleicht nie so stark, dass man ihm nachgibt. Viele Menschen haben ihn nicht. Genauso wenig, wie man also exakt erklären kann, warum man sich nach Kindern sehnt, braucht man also begründen, warum der Wunsch nach eigenen Kindern nicht da ist. Jeder Mensch ist schon allein komplett. Lebenswege, Träume und das, was uns glücklich macht, sind hoch individuell. Für Familienentscheidungen muss sich niemand rechtfertigen – auch wenn Menschen sich im Umgang miteinander oft das Gefühl geben, genau das tun zu müssen. Sie warnen sich vor der Einsamkeit im Alter, vor schlaflosen Nächten, vor der Reue, Mutter geworden zu sein und vor der Reue, sich gegen Kinder entschieden zu haben. Doch woher kommt das Bedürfnis, anderen unsere eigenen Glücks- und Lebenskonzepte aufzwingen zu wollen? Ist es so schwer auszuhalten, dass wir verschieden sind und wir über unsere Unterschiede hinweg miteinander solidarisch sein können? Es würde uns als Gesellschaft und als Individuen stärker machen, in diesen Unterschieden auch immer das Gemeinsame, die Verbundenheit zu sehen.

Sich selbst verlieren in Erwartungen anderer

Der Angriff auf die Familienentscheidungen von Menschen zielt dabei gleichzeitig auf ihre Individualität und auch auf das, was insbesondere Frauen miteinander verbindet. Die Entscheidung der einzelnen Frau wird in Frage gestellt und ihr als Fehler und Versagen ausgelegt. Sie soll sich einpassen in eine willkürliche Norm, die sie mit anderen Frauen vergleichbar macht, die sie zu einer guten Frau macht. Immer öfter sollen Frauen sich außerdem an männlichen Normen orientieren, etwa, um in der Berufswelt zu bestehen. Gerade weil diese Normen beständig wechseln, es kaum möglich ist, an sie heranzureichen. Sie haben zum Ziel, Frauen ihr Leben lang in Schach zu halten und sie permanent dazu anzuhalten, sich neuen Idealen anzupassen. Daher ist der beste Rat für jede Frau, für jeden Mensch, sich den Erwartungen von anderen zu entziehen und ein Gespür dafür zu entwickeln, wer sie selbst ist und wer sie sein will. Es mag leichter erscheinen, sich einzupassen in das, was Gesellschaften uns als bequeme Ideale verkaufen: Solche, in denen wir nicht anecken, akzeptiert sind, „Erfolg“ haben und belohnt werden für die Anstrengung, in das vorgegebene Muster zu passen. Wer dieses Spiel eine Zeit lang mitgespielt hat, weiß hingegen, dass man sich in der Regel über das Hineinbiegen in die wenigen Idealbilder einer Gesellschaft vor allem selbst verliert und irgendwann nicht mehr weiß, wer man ist und was man vom Leben wollte.

Besonders paradox ist, dass in gesellschaftlichen Debatten in der Regel recht früh Argumente angebracht werden, dass die Lebensentscheidungen von Frauen zu einer negativen Entwicklung beitragen würden. So wird der Backlash gegen feministische Bewegungen unter anderem damit erklärt, dass die Emanzipation der Frauen bei den Männern, die vorher unter sich waren, Gefühle von Bedrohung auslösten und die einflussreichen Männer sich daher besonders stark gegen gleiche Rechte für Frauen stellen würden. Sie kämen nicht gut klar damit, dass Frauen in den letzten Jahrzehnten vermehrt eine Erwerbsarbeit ergriffen haben hat und sie nun gemeinsam mit Männern in Unternehmen  arbeiten, sie Politikerinnen werden und ihre Anliegen laut vertreten. Selbst Schuld also, wenn sie feindselig begrüßt werden, wenn sie es wagen in Männerdomänen zu stoßen.

Dass in den neuen Bundesländern rechtsradikale Tendenzen stärker werden und die Zustimmung zur AfD besonders hoch ist, wird unter anderem  dem Wegzug der qualifizierten Frauen in die Schuhe geschoben. Würden sie bleiben und den Männern das Leben versüßen, müssten die Dortgebliebenen keine rechten Parteien wählen. So werden Menschen, die rechts wählen, infantilisiert und sie aus der Verantwortung für ihr eigenes Handeln genommen.

Egoistische Mutterschaft?

In den letzten Wochen hörte man zudem wieder häufiger die These, dass die Entscheidung für Kinder die Erderwärmung stark beschleunige und die Umwelt verschmutze. Das Schicksal der Welt liegt mit dieser Annahme nun vor allem in den Händen von Frauen und Menschen, die Kinder haben und bekommen können. Begraben sie ihren Kinderwunsch unter dem Müllberg von Coffee-to-go-Bechern, fliegen sie mit ihm an den Strand von Bali und setzen ihn im Meer aus, erholt sich das Klima. Die Erde hat wieder eine Zukunft. Wie bequem – aber vor allem wie flach – wenn man die Klimakrise individualisieren und auf gebärwütige Frauen schieben kann, die mit ihrer vernebelten Sehnsucht nach der Bilderbuchfamilie die Erde an den Rand des Kollaps gebracht haben. Den Frauen wird die Kinderlosigkeit als unausweichliche Entscheidung verkauft, um die Welt zu retten, die Porsche-Fahrer*innen sollen hingegen mit der Freiheit, weiterhin auf der Autobahn mit 220 km/h das volle Leben zu spüren, dafür gewonnen werden, wenigstens Öko-Strom zu nutzen. Es ist so leicht, sich in komplexen Debatten von einfachen Lösungen verführen zu lassen.

Der Wunsch nach Familie ist kein Thema, das nur Menschen betrifft, die schwanger werden können, doch da gesellschaftlich meist cis Frauen als die Entscheider*innen über Schwangerschaften gesehen werden, sie Babys gebären und so sichtbar neues Leben in die Welt tragen, ist der Appell, dem Klimaschutz zugunsten auf Kinder zu verzichten, im Kern eine antifeministische Argumentation. Der Appell, auf Kinder zu verzichten, richtet sich an diejenigen, die sie gebären. Den Aufruf „Hey Männer, hört auf, so viele Kinder zu zeugen“, hört man hingegen kaum.

Deutlich wird das auch an einem aktuellen Buch einer deutschen Autorin, die allerlei Gründe aufführt, um andere für ihren Lebensentwurf der „überzeugten Nicht-Mutter“ zu gewinnen. Die Autorin wendet sich darin an potenzielle Mütter und warnt sie davor, dass Kinder ihnen mehr Falten bescheren dürften und man ihren Körpern nach der Schwangerschaft ansehen würde, ein Kind geboren zu haben. Die Veränderung des Körpers beschreibt sie darin als „misogyn“, als unzumutbar für Frauen, dabei ist es ihre Haltung, veränderte Körper abzuwerten, die an dieser Stelle frauenfeindlich ist. Paradoxer Weise versucht sie, Frauen durch Bodyshaming und Lookism von etwas vermeintlich Positivem zu überzeugen. Die Autorin macht Frauen Angst vor etwas, vor dem sie keine Angst haben sollten. Sie beweist damit eindrücklich, dass ihr Frauenbild nicht feministisch ist und Frauen nicht mehr Freiheit verschaffen würde, sondern sie sehr enge Vorstellungen davon hat, wie Frauen glücklich werden können. Sie dürfen zwar die Welt retten, aber sollen dabei wenigstens straff und schön sein. Welche 80-Jährige wird ihren Enkelkindern davon erzählen, wie sehr sie ihre Schwangerschaftsstreifen bereut hat?

Allen Familienplanung möglich machen

Doch wären wir überhaupt in dieser Klimakrise, wenn diese Welt stärker von Frauen gestaltet worden wäre? Darüber könnte man mit Sicherheit das spannendere Buch schreiben, als dass der Verzicht auf Kinder die Welt retten wird. Denn dabei wird vor allem auch vergessen, dass sehr viele Eltern, die auf dieser Welt leben, gern weniger Kinder bekommen hätten und würden. Der Zugang zu Sexualaufklärung, Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen ist in vielen Ländern nach wie vor so schlecht, dass insbesondere Frauen oft kaum eine Wahl haben, wie jung und wie viele Kinder sie bekommen wollen, ernähren können und wie viel Freiheit ihnen damit bleibt, selbstbestimmt zu leben. Dabei sind die Eltern und Kinder, die in Armut leben, nicht die Personen, die wir jetzt für den Klimawandel in die Pflicht nehmen sollten. Ihnen und ihren Familien hilft langfristig, dass sie über die Zahl ihrer Kinder besser bestimmen können und ihre Heimatländer vor weiteren Folgen der Klimakatastrophe geschützt werden.

Die Entscheidungen, die jetzt nötig wären, um die Erderwärmung zu verlangsamen, liegen vor allem in den Händen mächtiger Regierungen und Konzerne. Als Individuen, schwanger oder nicht, mit Kindern oder ohne, können wir unseren Beitrag für den Klimaschutz leisten – aber die Klimakrise niemals alleine lösen. Die Entscheidung gegen ein Kind dem Klima zuliebe, schiebt das Handeln zudem auf die lange Bank. Die Studie, die angab, dass der Verzicht auf ein Kind andere Maßnahmen, um CO2-Emissionen zu senken, um ein Vielfaches übersteige, berechnete den hohen Wert, indem die Forscher*innen die CO2-Emissionen des Kindes plus all seiner Nachfahren addierten, auf die Lebensdauer der Eltern umlegten und den Elternteilen jeweils 50 Prozent der Emissionen ihrer Kinder, 25 Prozent der Emissionen der Enkelkinder usw. zusprachen. Die Entscheidung gegen ein Kind trägt also über viele Jahre hinweg zur CO2-Reduktion bei, sie ist jedoch alles andere als eine Sofortmaßnahme.

Klimaschutz braucht Sofortmaßnahmen

Alle, die jetzt etwas tun wollen, müssen also auf Verhaltens- und Konsumänderungen setzen, die heute beginnen können. Wir sollten daher die Debatte auf die Dinge lenken, die jetzt viel verändern können und nicht auf zukünftige Kinder, über die in Deutschland die meisten Menschen nur ein bis zwei Mal in ihrem Leben entscheiden. Der Verzicht auf Kinder klingt wie ein großes Opfer und selbstlos, dabei wird es für die meisten aktuell viel unbequemer und schwieriger sein, auf Autofahrten, Flugreisen und Fleisch zu verzichten und mit viel Engagement zu versuchen, mit unseren Familien und Freund*innen, mit Kindern und ohne, klimafreundlich zu leben und die anstrengenden Gespräche darüber zu führen. Wir werden hinterfragen müssen, ob unsere Arbeit die Umwelt beeinträchtigt und entscheiden müssen, wie wir damit umgehen, wenn unser Einkommen auf einer Tätigkeit beruht, die den Planeten weiter kaputtmacht. Wir müssen Alternativen fordern und diese mittragen. Verzicht kann dabei auch bedeuten, weniger Kinder zu bekommen oder neue Bilder davon zu entwickeln, in welchem Grad von Luxus und Bequemlichkeit diese Kinder heranwachsen werden, damit sie später den Luxus einer halbwegs intakten Natur noch genießen können.

Es sind gerade Kinder und Jugendliche, die sich bei den „Fridays for Future“-Protesten in großen Zahlen dafür einsetzen, dass Politik und Wirtschaft endlich wirksame Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe ergreifen. Es sind Menschen, die für Kinder eine Zukunft wollen und sich durch sie motiviert sehen, sich für Veränderung einzusetzen. Es passt daher nicht, Kinder als Gift für die Umwelt anzusehen, wenn sie es sind, für die wir die Erde bewahren wollen und sie es sind, die Erwachsene gerade laut an ihre Verantwortung erinnern. Ohne diese Kinder, für die sich ihre Eltern vor 10 oder 15 Jahren entschieden haben, würden wir vielleicht gerade noch leiser auf eine glühende Erde zusteuern. Dabei ist es völlig egal, ob es unsere eigenen Kinder sind oder die anderer Eltern – wir sollten ihnen zuhören und für und mit ihnen etwas bewegen.

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