Die jungen Generationen können oder wollen sich nicht langfristig auf einen Partner bzw. eine Partnerin festlegen. Das finden viele schlimm, Lennart Boscher von Ze.tt nicht. Er behauptet: Nur kurzfristige Beziehungen sind glückliche Beziehungen.
Feste Beziehung? Nein, danke.
Gläser hoch! Nächstes Jahr werde ich dreißig. Wie ich mir dieses Alter früher vorstellte: festes Einkommen, verheiratet, Kinder in Planung. Wie es wirklich ist: Immerhin den Job habe ich, woop-woop!
Was Liebesangelegenheiten betrifft, wirft mir mein Freundeskreis vor, „beziehungsunfähig” zu sein. Ja, die Anführungsstriche setze ich bewusst: Ich habe in meinem Leben zwei sehr feste Beziehungen geführt, eine sechs, eine fünf Jahre lang, was insgesamt ein Drittel meines Lebens ausmacht. Ich denke, ich kriege das mit der monogamen Klischeepartnerschaft gut hin. Ich will es bloß in den meisten Fällen nicht.
Ich bin gerne „beziehungsunfähig”. Ich habe gerne Affären und sogenannte Nicht-Beziehungen. In denen lasse ich mich auf meine Partnerinnen ein, ich öffne mich, verliebe mich auch – aber ich behalte mir jederzeit die Möglichkeit vor, zu verschwinden, wenn ich will. Und ich behaupte: Diese kurzfristigen, lockeren Beziehungen sind heutzutage die einzig vernünftige Form der Partnerschaft. Nur vergängliche Liebesepisoden können uns noch glücklich machen.
Freiheit ist immer Priorität, außer in der Liebe
Wer mir an dieser Stelle vehement widerspricht und etwa in meinem Alter ist, führt vermutlich ein paradoxes Leben. Denn: Wenn Menschen meiner Generation (alias Generation Y, Millennials, „die jungen Leute”) eines wichtig ist, dann ist es ihre Freiheit. In allen Lebenslagen. Fast.
Nach dem Schulabschluss fordern wir die Freiheit, uns nicht hetzen zu müssen. Wir wollen reisen und uns ausprobieren, ohne dass uns irgendwer wegen einer Lücke im Lebenslauf anmacht. Später wollen wir unsere Uni-Seminare und Lehrpläne selbst wählen oder – besser noch – selbst mitgestalten. Wir wollen problemlos Studienorte wechseln können, ohne Punkte einzubüßen. Auslandssemester unmöglich? Frechheit! Nach Möglichkeit entscheiden wir uns für Arbeitergeber*innen, die uns frei darüber entscheiden lassen, wann, wie und wo wir arbeiten. Kein Home Office? Lame!
Wir wollen ungehindert Staatsgrenzen überqueren können, heute hier, morgen dort wohnen, flexibel und frei sein, immer – nur in der Partnerschaft nicht. Da verlangen wir nach Beständigkeit und Fesseln in Ringform. Wer in seinem Leben an einem Ort bleibt, nie reist, immer den gleichen Job behält, wirkt langweilig und gestrig. Wer die gleiche Freiheit in der Liebe verlangt, ist suspekt und „beziehungsunfähig”. Hä?
„Beziehungsunfähige” sind unmoralisch und scheiße
Seit Beginn der Verherrlichung der romantischen Liebe am Anfang des 19. Jahrhunderts hat die Gesellschaft abwertende Bezeichnungen für die gefunden, die das Konzept der ewigen lebenslangen monogamen Partnerschaft ablehnen. Als Mann war man früher ein Casanova, ein Schwerenöter oder Lüstling. Heute heißt es verächtlich Aufreißer. Noch Schlimmeres schimpft man Frauen, die frei lieben wollen, sie bekommen den grässlichen Schlampen-Stempel aufgedrückt.
Wir Aufreißer und Schlampen, wir „Beziehungsunfähigen”, gelten gemeinhin als unmoralisch. Dass wir nur Affären und sogenannte Nicht-Beziehungen führen, ist schlimm, ganz schlimm. Wir sind die, die Tinder kaputt machen. Wir sind schuld daran, dass niemand mehr an die große Liebe glaubt, geschweige denn die*den eine*n Partner*in findet.
Was für ein Bullshit. Wir „Beziehungsunfähigen” sind viel besser als unser Ruf. Die romantische Liebe hat, wenn sie überhaupt mal funktionierte, längst ausgedient. Mit unserer heutigen Lebensvorstellung ist sie kaum vereinbar. Wir „Beziehungsunfähigen” sind sowas wie die Pionier*innen, die langsam den Mut entwickeln, Beziehungen zu führen, die zum Zeitgeist passen. Wir versuchen, die Angst vorm Alleinsein zu überwinden und ein modernes, selbstbestimmtes Liebesleben zu führen.
Langfristige Beziehungen funktionieren nicht mehr
„Ist ja okay, wenn du nur vorübergehende Beziehungen willst”, sagen mir Freund*innen häufig. „Aber deine Partnerinnen wollen sie möglicherweise nicht. Und dann verletzt du sie, wenn du Schluss machst oder von Anfang an ein Enddatum festsetzt.” Das ist wahr, das ist das große Problem, das auch uns „Beziehungsunfähige” belastet (ja, auch wir haben ein Herz). Und für dieses Problem gibt es keine andere und leichtere Lösung als Ehrlichkeit und offene Kommunikation. Letztendlich glaube ich aber: Die moderne langfristige Beziehung ist viel zu schmerzhaft, als dass man sie sich antun sollte.
Ich habe viele großartige Frauen kennengelernt. Toughe Frauen, die in ihr Leben möglichst viele Leben hineinpressen wollen. Die auf Weltkarten Länder markieren, die sie bereits bereist haben. Die einem Lebenslauf ein Dutzend Zeugnisse anhängen, weil ihnen die Erfahrung eines Praktikums nicht reichte. Frauen, die Freund*innen in jeder deutschen Großstadt haben, weil sie schon in jeder deutschen Großstadt zuhause waren. Frauen, die was erleben wollen. Frauen, die dem Zeitgeist entsprechen. Mit diesen tollen Frauen kann ich jedoch keine langfristigen Beziehungen führen, ohne dass einer von uns unglücklich wird.
Eine Beziehung mit Menschen meiner Generation heißt, Kompromisse einzugehen – und zwar bedeutend mehr als früher. Es geht nicht mehr nur um die Frage, welche Einrichtung in der gemeinsamen Wohnung stehen soll. Es geht zunächst darum, wo sich diese Wohnung befindet, in welcher Stadt, in welchem Land. Oder ob es überhaupt eine gemeinsame Wohnung sein soll. Meiner Erfahrung nach enden alle Kompromisse, die man in einer langfristigen Beziehung trifft, in Unzufriedenheit. Wenn ich eine Partnerschaft beende, dann nicht, weil ich mich vor einem Kompromiss drücken will. Ich finde, das ist die einzig vernünftige Entscheidung, damit jeder sein Leben führen kann, ohne sich zu verbiegen.
Unser Streben nach Freiheit in allen Lebensbereichen ist eine gute Sache. Und jeder kann und darf seine Freiheit für die Liebe opfern. Aber die „Beziehungsunfähigen” zu verteufeln, die sich dagegen entscheiden, ist unfair. Wir leben ja nicht mehr am Anfang des 19. Jahrhunderts.
Der Originaltext von Lennart Boscher ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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