Foto: Nikolai Ziener

Ezgi Polat: „Wer etwas mit der Kunst erreichen will, darf sich nicht verformen lassen und nicht aufgeben“

Ezgi Polat lebt und arbeitet als Fotografin in Berlin. Wie sich die 25-Jährige einen Kundenstamm aufbaute, was sie inspiriert und wann sie einen Auftrag lieber ablehnt, hat sie uns erzählt.

 

„Mit
meiner Fotografie versuche ich die kleinen Momente groß zu machen“

Licht,
das durch die Haare scheint, strömender Regen, eine Situation, in der man dem
Gegenüber nah ist und doch fern –  was macht ein gutes Foto aus? Wann lohnt es sich, auf den Auslöser zu drücken? Für die Berliner Fotografin Ezgi Polat sind es vor allem die kleinen Dinge, die sie
in ihrer Arbeit inspirieren. Uns erzählte sie, wie sie zum Fotografieren
kam, was ihre Kunst ausmacht und was sie an Tagen unternimmt, an denen ihr für das Fotografieren die Motivation fehlt.

Ezgi,
kannst du dich noch an das erste von dir geschossene Foto erinnern?

„Ich
erinnere mich sehr gut an meinen ersten Schwarzweiß-Film, den ich benutzt habe, als ich mir meine analoge Kamera kaufte. Da fragte ich eine Freundin, ob sie
mit mir eine Foto-Tour durch die Stadt machen möchte. Sie stand im Gegenlicht
auf der Straße, das Licht schien durch ihre Haare, man sah ganz leicht ihren
Gesichtsausdruck, ein warmes Lächeln – dieses Foto hat mich im Nachhinein sehr
gefesselt. Es war ein ehrlicher Moment, da sie einen sehr vertrauten Blick
hatte und mir dadurch noch mehr das Gefühl gab, sich mir gegenüber öffnen zu
können. Mein erstes schönes und vor allem intimes Porträt. Ab dem Zeitpunkt
stand ich noch viel lieber hinter der Kamera, da man dadurch einen ganz anderen
Zugang zu dem Menschen aufbauen kann.“

Wie
kamst du eigentlich zum Fotografieren und wann war dir klar, das soll mein
Beruf werden? Ich habe gelesen, dass deine Mutter dich für die Fotografie
begeistert hat. War das eine Art „Familien-Ding“?

„Durch
meine Mutter habe ich zu schätzen gelernt, eine große Leidenschaft für etwas zu
hab en
und diese auch zu pflegen. Sie hat immer viel dafür getan, dass ich etwas
Kreatives mache. Als ich noch ein kleines Kind war, gab sie mir meine erste
Kamera, schickte mich zum Musikunterricht, kaufte mir Leinwände und Farben und
war immer sehr glücklich, wenn ich mich für etwas begeistern konnte. Die Kamera
hat mich immer begleitet. Ich wusste dann schon relativ früh, dass ich
Fotografin werden will und wollte es versuchen – obwohl ich immer etwas Angst
davor hatte, die Leidenschaft dadurch beeinträchtigen oder sogar verlieren zu
können. Bis heute ist das zum Glück nicht passiert.“

Wo
hast du deine Ausbildung gemacht und wie wichtig war diese für dich? Kann man
das Fotografieren lernen?

„Ich
war an der Neuen Schule für Fotografie. Im ersten Jahr mussten wir alles selber
entwickeln und vergrößern, das fand ich schön und wichtig. Mir gefiel es
besonders gut, dass mich viele Menschen mit demselben Interesse umgeben haben.
Das Fotografieren hatte ich mir vorher beigebracht, dafür braucht man nicht
unbedingt ein Studium. Das ist jedoch bei jedem Menschen anders. Meine
Bildsprache hat sich dadurch auch nicht verändert – aber ich habe mich mehr
öffnen und mich dadurch mehr trauen können.“

Wie
sieht ein typischer Arbeitstag von dir aus?

„Ich
wache gerne früh auf und starte meinen Tag sehr gemütlich und gerne langsam.
Mir ist es sehr wichtig, morgens gut zu frühstücken und dann erst mit der
Arbeit zu beginnen. Wenn ich an dem Tag fotografiere, ist es aber ein ganz
anderer Start in den Tag. Ich bin dann eher hektisch, um all die Ideen im Kopf
realisieren zu können. Die Abwechslung macht meinen Alltag so besonders, da ich
immer an verschiedenen Sachen arbeite und mich nie in einer Routine befinde.
Manchmal sitze ich bis nachts und scanne, an anderen Abenden höre ich
inspirierende Musik und schreibe meine Gedanken und Ideen auf. Es gibt aber
auch Tage, an denen ich alles ruhen lasse, weil mir die Inspiration und/oder
die Motivation fehlt und ich lieber was mit Freunden mache und durch den Abstand
wieder mehr Energie schöpfen kann.“

Du
bist 25 Jahre alt und arbeitest bereits als selbstständige Fotografin – sicherlich
kein leichtes Brot. Wie konntest du dir einen Kundenstamm aufbauen und wie
wichtig sind etwa die sozialen Netzwerke für deine Arbeit?

Die
Netzwerke
sind natürlich sehr wichtig, sei es im realen oder im virtuellen
Leben. Man muss sich auf eine gewisse Art und Weise vermarkten können. Da spielen
heutzutage vor allem die Social-Media-Kanäle eine wichtige Rolle. Man schreibt
sich meistens E-Mails, bevor man sich gesehen hat und miteinander arbeitet. Wir
leben in der digitalen Zeit, alles geht viel einfacher und schneller. Manche
Kunden empfehlen einen weiter, weil sie sehr zufrieden waren, man arbeitet mit
Agenturen zusammen oder die Kunden kommen direkt auf einen zu. Es braucht
natürlich seine Zeit, um einen Kundenstamm aufbauen zu können. Da muss man
geduldig sein und darf nicht so leicht aufgeben. Wenn man mit der Kunst etwas
erreichen möchte, darf man sich nicht verformen.“

Wie
sehr darfst du bei Auftragsarbeiten eigentlich mitreden? Hast du vielleicht
auch schon einmal einen Auftrag abgelehnt, weil er deiner Arbeit so gar nicht
entsprach – oder machst du dich davon frei?

„Die
meisten, die auf mich zukommen, fragen genau nach meinem Stil und daher muss
ich mich nicht verstellen. Es kommt natürlich schon mal vor, dass jemand ganz
bestimmte Vorstellungen hat und ich mich bei gewissen Ideen anpassen muss.
Das ist jedoch bisher nie ein großes Problem gewesen. Ich habe aber auch schon
Shootings abgesagt, weil der Auftrag meiner Arbeit nicht entsprach und ich keinen Spaß
dabei gehabt hätte. Es kommt auch vor, dass die Anfrage ganz toll ist, doch
die Konditionen nicht stimmen. Das ist auch ein guter Grund, um einen Auftrag
abzulehnen.“

Kannst
du dein Arbeits- und dein Privatleben gut trennen?

„Teilweise
fällt mir das schon sehr schwer, weil man keine bestimmten Arbeitszeiten hat
und vor allem auch zu Hause arbeitet oder die Arbeit sogar mitnehmen kann.
Manchmal setze ich mir bestimmte Uhrzeiten, die ich dann doch nicht einhalte
oder es kommt mir etwas anderes dazwischen. Es gibt Zeiten, wo ich mich abends
viel besser konzentrieren kann, daher will ich auch gar keinen Druck verspüren
oder mich zu irgendetwas zwingen. Meine Arbeit zaubert mir (fast) immer ein
Lächeln ins Gesicht, daher ist es auch schön, in meiner Freizeit zu
fotografieren und Momente nur für mich festzuhalten.“

Du
arbeitest vor allem mit analoger Fotografie, nicht wahr? Was reizt dich daran?
Liegt es daran, dass sich das Bild erst enthüllt, wenn du es entwickelt hast?

„Ja,
genau. Früher gab es diese Grenze beziehungsweise diesen großen Unterschied ja
gar nicht. Es war normal, Filme zu kaufen und entwickeln zu lassen. Ich bin
damit aufgewachsen und fühle mich in der digitalen Welt manchmal etwas
verloren. Die Speicherkarten und Festplatten lassen mich eine gewisse
Unendlichkeit spüren, die ich nicht greifen kann. Das hat die analoge
Fotografie einfach nicht. Die Filme und Negative geben mir ein ganz besonderes
Gefühl, eine gewisse Sicherheit. Auf der anderen Seite kannst du dir aber auch
nicht ganz sicher sein und wirst jedes Mal überrascht und die Neugier ist jedes
Mal ganz groß, wenn man die Filme nach einem Shooting in der Hand hält. Dadurch
habe ich gelernt, dass man Geduld haben muss und die Freude im Nachhinein viel
größer ist. Die Schnelligkeit bei der digitalen Fotografie hat auch ihre
Vorteile, die ich gerne nutze. Sei es ein Job oder eine Idee, die ich am selben
Tag umsetzen und direkt sehen möchte.“

Viele
deiner Arbeiten zeigen Körper oder Körperteile. Warum fängt dich das so? Ist es
die Intimität, die Bilder dadurch bekommen?

„Diese
Frage habe ich mir selber bisher nie gestellt, weil es ein sehr natürlicher
Prozess ist, wenn ich jemanden fotografiere. Ich finde es unglaublich
faszinierend, wie individuell Menschen und die Fotos sein können, vor allem in
der heutigen Welt der Fotografie, wo alles schon tausend Mal abgelichtet und gezeigt
wurde. Die Nähe zu einem Menschen ist immer eine andere. Es entstehen oft ganz
unterschiedliche, besondere Momente und Bilder, die ich mir so vorher nicht
hätte erdenken können.“

Für
mich wirken deine Bilder nicht durch eine provokante Inszenierung, sondern eher
durch die leisen Zwischentöne, durch Stimmung. Wie würdest du selbst deine
Handschrift erklären?

„Die
Stimmung spielt eine sehr große Rolle in meinen Fotos, das stimmt. Mir ist es
wichtig, mich der jeweiligen Lichtsituation hinzugeben und das Beste daraus zu
machen, daher inszeniere ich nie das Licht. Es ist ein leises Beobachten, man
ist der Person so nah, aber zeitgleich auch fern – es herrscht eine Anonymität,
die man zu brechen versucht. Manche meiner Fotos wirken sehr intensiv, obwohl
es nur ein sanftes Abbild darstellt. Ich versuche, die kleinen Momente groß
werden zu lassen.“

Weißt
du noch, was dich zuletzt so richtig inspiriert hat?

„Das
letzte Mal war es an einem für mich ungewöhnlichen Tag, Berlin war voller Nebel
und ich nahm alles in meiner Umgebung sehr langsam und bewusst wahr. Das mache
in der Regel sehr gerne, nur war es noch viel intensiver als sonst. In dieser
Nacht konnte ich nicht schlafen, draußen hat der Regen geströmt, in meinem Kopf
hatte ich einen Sturm voller Gedanken und die ganzen Bilder, die ich tagsüber
gespeichert hatte und dazu noch all die, die ich gerne umsetzen würde, alles
war sehr präsent. Ich weiß nicht, ob es einen bestimmten Auslöser dafür gab.
Nur fühlte ich mich durch diese Stimmung und meine Gemütslage sehr inspiriert.“ 

Alle Bilder: Ezgi Polat

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