Eine Demonstration vor der Iranischen Botschaft Paris zur Freilassung von Ahoo Daryaei
Demonstration vor der Iranischen Botschaft in Paris für die Freilassung von Ahoo Daryaei. Foto: Karim Ait | Imago

Warum westlicher Feminismus iranische Frauen im Stich lässt

Die Iranerin Ahoo Daryaei zog sich aus Protest bis auf die Unterwäsche aus und wurde von der Sittenpolizei festgenommen. Die Bilder der Studentin gingen um die Welt. An ihrem Beispiel mahnt unsere deutsch-iranische Autorin Shahrzad Eden Osterer, dass westlicher intersektionaler Feminismus oft den falschen Kräften in die Karten spielt. 

Ahoo Daryaei steht für den mutigen Widerstand einer neuen Generation iranischer Frauen. Ihr Name bedeutet „Gazelle“ – ein Symbol für Wachsamkeit und Freiheit –, und sie weigert sich, diese Freiheit aufzugeben. In einem kraftvollen, unvergleichlichen Akt auf dem Campus der Islamischen Azad-Universität in Teheran befreite sich demonstrativ vom auferlegten Hijab und zeigte das, was die Islamische Republik unsichtbar machen will: den Körper und die Stimme einer Frau, die sich nicht länger kontrollieren oder unterdrücken lässt.

Diese Geste ist mehr als nur persönlicher Protest; sie verkörpert eine landesweite Bewegung, die nach über vier Jahrzehnten staatlich verordneter Unterdrückung nicht mehr zum Schweigen zu bringen ist. Ahoo ist eine der vielen Frauen, die täglich ihr Leben riskieren, um gegen die systematische Entrechtung anzukämpfen und die Freiheit einzufordern, die ihnen als Menschen zusteht.

Radikale Selbstverständlichkeit in weiblicher Unterdrückung

Mit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 begann für die Frauen im Iran eine Ära der Entmündigung und Entrechtung. Der Hijab wurde verpflichtend, und das war nur der erste Schritt einer systematischen Unterdrückung. Der Schleier wurde zum augenscheinlichsten Symbol einer Ideologie, die Frauen als Bedrohung für die Moral darstellt und sie aus der Öffentlichkeit verdrängt. Frauen wurden von der politischen Bühne verdrängt und aus wirtschaftlichen Bereichen ausgeschlossen. Sie durften keine Richterinnen mehr sein und waren gezwungen, sich den politischen Entscheidungen der Männer zu beugen, ohne selbst an diesen Entscheidungen beteiligt zu sein. Das Gesetz erklärte sie fortan nur noch zur Hälfte eines Mannes wert. Rechte auf Scheidung und Sorgerecht wurden ihnen genommen, das Erbrecht bevorzugte männliche Angehörige. Der Staat erklärte die Überwachung und Kontrolle der Frauen zur „religiösen Pflicht“ der Männer und machte die systematische Unterdrückung von Frauen zu einem Grundpfeiler des Regimes. Es ist eine Politik, die Frauen nicht nur aus dem öffentlichen Leben ausschließt, sondern sie in allen Lebensbereichen entrechtet und ihnen das Recht auf Selbstbestimmung abspricht.

Doch von Anfang an leisteten iranische Frauen Widerstand gegen diese Entrechtung, oft ohne Unterstützung – weder von den Männern im eigenen Land noch von internationalen Bewegungen, die sie allein ließen. Westliche Feministinnen beobachteten die Entwicklung im Iran meist aus der Ferne und blieben passiv. Viele waren sogar begeistert von der sogenannten Islamischen Revolution und betrachteten das Regime als Bollwerk gegen den westlichen Imperialismus. Dabei übersahen sie, dass diese vermeintliche „Befreiung“ auf dem Rücken iranischer Frauen ausgetragen wurde.

Falsch verstandene westliche Toleranz

Hinter dieser Gleichgültigkeit verbirgt sich häufig eine fehlgeleitete kulturrelativistische Einstellung. Sätze wie „der Hijab ist Teil ihrer Kultur“ oder „das ist eben ihre Tradition“ rechtfertigen einen Zwang, den die Islamische Republik gnadenlos durchsetzt. Diese Form von Relativismus verkennt völlig, dass Frauen im Iran und in anderen repressiven Systemen gezwungen werden, sich unterzuordnen. Die Ignoranz mancher vermeintlich intersektionaler Kreise, die diesen Zwang als kulturelle Eigenheit abtun, trägt zur Marginalisierung der tatsächlichen Kämpfe der Frauen bei. Ihre Unterdrückung als „kulturelle Eigenheit“ abzutun, bedeutet, die Forderungen der Frauen nach Freiheit und Selbstbestimmung bewusst zu überhören. Stattdessen sollte die Solidarität mit den Frauen in diesen Ländern auf einem Verständnis basieren, das ihre Realität anerkennt und ihre Stimmen stärkt.

Umso schmerzlicher und empörender ist es, dass hier im Westen selbsternannte intersektionale Feministinnen mit den Symbolen und Unterstützern genau jener Unterdrücker auf die Straße gehen, gegen die iranische, afghanische und kurdische Frauen unter Lebensgefahr kämpfen und protestieren. Ein Protestakt wie der von der iranischen Studentin zeigt, dass diese Frauen ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung nicht länger leise fordern; sie erheben sich kraftvoll und entschlossen. Unbeirrt schreiten die Frauen im Iran und in der Region ihren Weg. Die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ verdeutlicht, dass der Pfad zur Freiheit von den Frauen selbst geebnet wird – mit oder ohne die Unterstützung westlicher Feministinnen.

Anzeige