Foto: Chris Noltekuhlmann

Stefanie hat ihren Job gekündigt – und ist jetzt Schnapsbrennerin

Stefanie Drobits brennt märchenhaften Schnaps. Wir haben die Österreicherin in ihrem Laden in Berlin besucht.

 

„Als Kinder sind wir so neugierig, wir sollten das auch im Alter nicht verlieren.“  

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Auf die Schaufensterscheibe ihres Schnapsladens hat Stefanie einen Märchenwald gepinselt.  

In einem Laden in Berlin-Neukölln hängen grüne Pflanzen von der Decke. Stefanie arrangiert ein zartes Blumensträußchen auf dem Tisch. Dort stehen auch ihre größten Schätze – Fruchtbrände in Glasflaschen mit Korkverschluss. Die Etiketten kleben ein bisschen schief auf den Flaschen, weil alles in Handarbeit abgefüllt und verpackt wurde. Hier in dem Berliner Bezirk, wo Graffitis die Hauswände zieren, hat Stefanie sich ihren Laden „Schnapserwachen“ eingerichtet – ein Spirituosenfachgeschäft, das wie ein Märchenwald anmutet. Auch Stefanie selbst sieht aus wie aus dem Märchenbuch entsprungen.  

Mit ihrer zarten Statur und dem feinem Kleid mit Samtschleife gleicht sie Schneewittchen. Wenn sie Schnapsflaschen – ihre „guten Geister”, wie sie sie liebevoll nennt, – in Kisten packt, hat sie etwas von Rotkäppchen, die ihren Picknickkorb herrichtet. Stefanie liebt es, sich in Märchen und anderen Geschichten zu verlieren. Sie nennt sich selbst Fräulein Brösel und geht durch das Leben wie eine Elfe durch den Zauberwald – leichtfüßig, verträumt und entzückt über die zauberhaften Dinge der Welt. Wenn Stefanie einer Person ihren Schnaps einschenken dürfte, dann wäre das der Autor und Filmemacher Tim Burton, der für seine fantasievollen Werke wie „Alice im Wunderland“ berühmt ist.  

 

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Stefanie mag es märchenhaft. Bild: Chris Noltekuhlmann  

Verträumt war Stefanie schon immer. Eigentlich kommt sie aus dem südlichen Burgenland in Österreich. Die Region unweit der Steiermark ist bekannt für prächtige Äpfel und Weintrauben. Zwischen Obstbäumen und tiefen Wäldern wird Stefanie groß. Genauso wie Tim Burton malt und zeichnet sie viel. Den Großteil ihrer Kindheit verbringt Stefanie draußen, wo sie die Tier- und Pflanzenwelt erkundet.  

 

Täglich saß ich im Wald und bestaunte die außergewöhnliche Tierwelt, mit Schmetterlingen, Füchsen und Rehen. Daher mag wohl auch die Verbundenheit zu Tieren und der Vegetation rühren, die auf meinen Flaschen wiederzufinden ist.  

Die Liebe zur Natur trägt Stefanie in sich weiter, auch als sie ihr behütetes Landleben verlässt. Mit 19 Jahren zieht sie nach Wien, um BWL zu studieren. Ihr Leben verbringt sie im Zweiklang: Sie liebt Märchen, Natur, Mathe und Zahlen. An einem freien Sonntag macht Stefanie gerne ihre Steuererklärung, oder malt und zeichnet.

Neben ihren regulären Vorlesungen besucht Stefanie Kurse über Literatur. Für ein Praktikum geht sie nach New York, sieht dort noch mehr Kunst und Kultur. In den Semesterferien pendelt Stefanie zwischen Wien und Berlin und arbeitet bei Galerien, bei Mode- oder Möbeldesigner*innen. Dort entwirft sie Modelle und Schnitte, näht oder verfasst Businesskonzepte. Denn auch wenn Stefanie das Kunstvolle so sehr liebt, erfreut sie sich noch immer an den Zahlen und schreibt gerne. Kein Wunder also, dass sie ihren Laden heute so kunstvoll dekoriert und kleine Geschichten zu ihren Schnäpsen schreibt.  

 

Ich war sehr wissbegierig und wollte weniger die Nächte durchzechen, sondern eher mit meinem Wissen die Welt erobern. Ein Tag ohne Literatur versetzte mich in große Traurigkeit. Das Lesen erfüllte mich schon damals voll und ganz, denn ich vermochte mich in fremde Welten zu träumen.  

Aber erst einmal musste Stefanie ihr Studium zu Ende bringen. In Wien hält sie es nicht lange aus. Österreichs Hauptstadt langweilt sie mit der Zeit. Den „Narzissmus, der durch diese Stadt weht“, kann sie nicht auf lange Dauer ertragen.  

Während ihrer Zeit in Wien, während de Studiums, hat Stefanie viel Zeit, sich Gedanken über ihre berufliche Zukunft zu machen. Der Wunsch nach Selbstständigkeit schlummert in ihr, aber ein konkreter Plan oder ein Produkt sind nicht greifbar. Dass sie einmal in ihrem eigenen Laden mit Schnaps und Wein stehen wird, kann Stefanie sich noch nicht erträumen, als sie nach dem Studium in nach Berlin zieht.  

In Kisten gebunkerte Lebensfreude  

In Berlin fühlt sich Stefanie sofort aufgenommen, aber ihr Job als Mobile Marketing Managerin lässt sie immer wieder mit einem unguten Gefühl nach einem späten Feierabend nach Hause gehen. Sie verbringt viel mehr Zeit am Computer als mit den Dingen, die sie so sehr liebt: Natur, Kunst, Träumen. Am unglücklichsten macht sie der Anblick der Weinkisten und Schnäpse, die sich neben ihrem Schreibtisch stapeln. Die Familie schickt ihr immer wieder Flaschen zu. Das Obst, aus denen die Spirituosen gebrannt sind, und die Trauben für den Wein stammen aus Österreich. Am Ende eines langen Arbeitstages fehlen ihr aber Energie und Lust, noch eine der zugeschickten Flaschen aufzumachen. Für ihre Freund*innen hat sie kaum Zeit. Stefanie fällt deshalb einen Entschluss: Sie verlässt den Job, der sie nicht glücklich macht und geht in die Selbstständigkeit.

 

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Stefanies Freundin – eine Künstlerin – hat die Schnapsbrennerin in einer Figur nachmodelliert.  

 

Ich liebte es schon immer, frei zu sein und den Tag nach meinem Belieben zu gestalten. Sehr zu Lasten meiner Eltern, denn ich war sicherlich kein einfaches Kind, sondern ein großer Dickschädel. Ich habe als Kind meine Nase in viele Bücher gesteckt und gezeichnet, Landschaften, Menschen und später meine ersten Entwürfe für Kleider, die ich von einer Schneiderin umsetzen ließ.  

Mit 26 macht Stefanie genau das zu ihrem Produkt, was sie sich viel zu lange träumend im Büro angeschaut hat. Sie will Weine aus iher Heimat an Berliner Restaurants verkaufen, denn die Region, wo Stefanie aufgewachsen ist, ist bekannt für gutes Obst und damit gute Weine. Sorgfältig sucht sie die Flaschen aus, die sie über die Jahre für geschmackvoll befunden hat und bietet sie Restaurantinhaber*innen an. Den Restaurants gefällt Stefanies Auswahl und wollen das Angebot gerne auf ihre Getränkekarte setzen. Die Lieferungen für die ersten Abnehmer*innen muss Stefanie noch provisorisch organisieren. Die Weinkisten lagern bei ihr zuhause im Keller in Berlin-Friedrichshain. Weil sie am Anfang noch nicht genug Geld hat, um professionelle Lieferant*innen mit ihren Weinpakten loszuschicken, bittet sie einen befreundeten Taxifahrer um Hilfe. Der fährt mit ihr die Restaurant in Berlin ab, um die Weine an die Restaurants auszuliefern. Aus den wenigen Kisten bei der ersten Bestellung werden schnell mehr. Eine turbulente Zeit für Stefanie – aber sie ist froh, dass sie endlich dem nachgeht, wofür ihr Herz schlägt.

Das Gute aus der Natur konservieren  

Bald kommt ihr eigens gebrannter Schnaps dazu, der schnell zum Herzstück von Stefanies Vertrieb wird. Aromen und Düfte werden beim Schnapsbrennen haltbar gemacht, indem die Frucht zerkleinert und gemaischt wird. Im Gegensatz zu anderen Spirituosen wie Gin kommt kein zusätzlicher Zucker mit in die Anlage, die die Fruchtmaische destilliert. Weil Schnaps ein Genussmittel ist, bei dem es auf die feinen Noten ankommt, gibt es viel, was diese Note in ungenießbare Richtungen abdriften lassen könnte. Einen guten Geschmack hinzubekommen, ist ein eigenes Kunsthandwerk für sich.  

Auch Stefanie experimentiert mit verschiedenen Mischverhältnissen, Lagerzeiten und Filtermethoden, bevor sie ihre erste Kostprobe in Flaschen abfüllt. Nervös sitzt sie damit mal wieder im Taxi und hofft, dass ihr Schnaps bei der Verkostung gut ankommen wird. Das tut er. Auf dem Rückweg hat Stefanie nur noch drei Flaschen.

 

Niemals hätte ich zu träumen gewagt, dass meine Produkte so gefragt sind. Das ist wohl das Schönste, was man sich als Unternehmer*in wünschen kann: dass das Produkt, welches man mit vollem Herzblut aufgebaut hat, Nachfrage findet.  

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In die kleinste Flasche passen genau zwei Gläschen Schnaps – denn den genießt man am besten in Maßen.

Sechs verschiedene Schnapsrichtungen bietet Stefanie inzwischen in ihrem Laden in Berlin-Neukölln an. Was nach wenig klingt, entspricht genau Stefanies Philosophie. Anstatt die Verkaufsschlager in Massen zu produzieren, brennt sie ausgefallene Sorten in kleinen Mengen. Der direkte Kontakt mit ihren Kund*innen ist ihr wichtig, das Obst wählt sie sorgfältig aus. Der Schnapsbrenner, bei dem sie ihre Früchte zum Brennen gibt, ist ein enger Freund und Mentor geworden.  

Aber wie in jedem Unternehmen kann auch Fräulein Brösel nicht immer ausnahmslos glücklich auf jeden Bereich ihres Geschäfts blicken. Auch Stefanie hat Sorgen, Ängste, Zweifel und teilweise schafft sie die Arbeit auch körperlich.  

 

Meine Leidenschaft konnte ich zum Beruf machen, aber der Weg dahin war kein einfacher. Ich bin oft ziellos durch die Welt gewandert, ohne zu wissen, wohin es mich treibt.  

Stefanie schleppt jeden Tag viele Kisten Wein und Branntwein, zieht Paletten aus dem Lager, auf denen sich Kisten höher stapeln als Stefanie groß ist. Aber wie allem kann sie auch diesem etwas Gutes abgewinnen. „Dafür muss ich nicht ins Sportstudio.“ Auch wenn Stefanie aussieht wie Schneewittchen, trägt sie den Optimismus von Hans im Glück in sich.  

Märchenhafte Spaziergänge durch Berlin  

Am liebsten bewegt sich Stefanie aber draußen an der frischen Luft. Den Weg von ihrem Zuhause in Friedrichshain zum Laden in Neukölln läuft sie jeden Tag. „Die sechs Kilometer sind meine Oase“, sagt Stefanie. Während der Spaziergang durch Berlin morgens ihre Seele beflügelt, kann sie abends die Ereignisse des Tages Revue passieren lassen und verarbeiten.

Stefanie ist eine verträumte Natur und trotzdem arbeitet sie in einer Branche, in der manche Dinge mit Ernsthaftigkeit betrachtet werden müssen. 74.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland, weil sie zu viel Alkohol konsumiert haben . Als Schnapsbrennerin bleibt ihr allerdings auch nichts anderes übrig, als darauf hinzuweisen, dass ihre Schnäpse nur in Maßen und nicht Massen genossen werden sollten. 

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Sechs verschiedene Schnapssorten hat Stefanie derzeit im Angebot. 

Ihre Leidenschaft und den Weg zu sich selbst hat Stefanie jedenfalls gefunden. „Ich bin verliebt in meinen Job“, sagt sie „Ich darf einen Beruf ausüben, der mich glücklich macht“. Stefanie ist aber auch klar, dass es nicht allen Kolleg*innen in der Gastronomie so wie ihr geht. Lange Schichten und kaum Privatleben fordern das Personal in der Branche. Hinzu kommt der Druck, ständig mit einem Lächeln auf die Gäste zugehen zu müssen.  

 

Der Beruf wird trotz der harten Arbeitszeiten und der emotionalen Stärke und der Professionalität, die gefordert wird, immer noch zu wenig bezahlt und geschätzt. Ich bewundere die Menschen in der Gastronomie sehr. Sie müssen sich komplett von ihren Emotionen lösen, immer lächeln und einen herausragenden Dienst leisten, tagein und tagaus. Und zusätzlich gute Miene zum bösen Spiel machen, wenn man sie wieder mal nur als Kellner*in abstempelt.  

Stefanie selbst bewegt sich zwar mehr dort, was weiter weg von Restaurantgästen und Küchenbestellung passiert, trotzdem gehört sie zu dem Business, das sich um das leibliche Wohl der Gesellschaft kümmert. Und dort ist sie als Frau in der Unterzahl. Die Produktion von Branntwein ist eine Männerdomäne. Doch das ist Stefanie ungefähr so egal, wie Hans im Glück der Besitz war, den die Märchenfigur gerne mit den Leuten teilte.  

 

Ich arbeite gerne mit Frauen wie auch Männern, denn beide haben auch ihre maskuline und ihre feminine Seite. Letztendlich kann ich mit besten Gewissen sagen, dass es im täglichen Leben kein Schwarz oder Weiß gibt, sondern nur ein Ying Yang – ein Miteinander. Aber dafür müssen wir aufhören immer zu differenzieren, sondern das Ganze sehen.  

Stefanie hat den Job gekündigt, der sie nicht glücklich gemacht hat und etwas Neues gewagt. Allen, die in einer beruflichen Situation feststecken, die sie nicht erfüllt, rät sie deshalb, neue Dinge ausprobieren, dann wird sich das Richtige schon finden: „Funktioniert im Märchen, kann aber auch im echten Leben klappen.“

 

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