Foto: Benjamin Balázs | Unsplash

Frauen sind nicht entscheidungsschwach!

Das Stereotyp besagt: Frauen treffen weniger gern Entscheidungen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse besagen jedoch etwas völlig anderes.

 

Entscheidungsschwach?

„Sie sind entscheidungsstark“ ist eine dieser Phrasen, die man oft in Stellenbeschreibungen findet, insbesondere dann, wenn Führungspositionen zu besetzen sind. Wer führen will, muss entscheiden wollen. Besonders schnell? Besonders gut? Immer so, dass die Entscheidung eine positive Entwicklung mit sich bringt? Und gibt es überhaupt Menschen, die keine Entscheidungen treffen können? 

Manche Menschen, darunter überproportional viele Frauen, beschreiben sich gern als entscheidungsschwachund denken über sich selbst, dass sie diese Aufgabe gern abgeben. Dabei treffen alle Menschen jeden Tag tausende von Entscheidungen – ganz ohne es zu merken. Bis zu 20.000 Mikro-Entscheidungen trifft jeder Mensch täglich, das hat der Hirnforscher Ernst Pöppel einmal ausgerechnet. Das beginnt schon mit dem Aufstehen, mit der Entscheidung für einen Kaffee, während man noch im Halbschlaf ist und der Wahl des Sitzplatzes in der S-Bahn. Wir können alle gut entscheiden – vor allem dann, wenn wir Erfahrungswerte in einer Sache besitzen und aus der Intuition heraus schnell wissen, was wir wollen und nicht lange überlegen, welche Vor- und Nachteile die Entscheidung für uns haben könnte. 

Stereotype befeuern Selbstzweifel

„Es gibt einen enormen doppelten Standard in der Art und Weise, wie Frauen und Männer als Entscheidungsträger wahrgenommen werden“, sagt die Psychologin Therese Huston gegenüber der Journalistin Maria Lalla. Huston hat gerade ein Buch über die Entscheidungen von Frauen geschrieben, weil sie festgestellt hatte, dass die Mehrheit der Bücher, die sich mit dem Thema „Entscheidungen treffen“ beschäftigten, von Autoren geschrieben waren. Die Psychologin der Seattle University trieb die Frage um, ob die Entscheidungen von Frauen, sobald sie sie treffen, genauso respektiert werden, wie die von Männern, oder ob es Unterschiede in der Wahrnehmung gibt.

Huston kritisiert, dass eine sexistische Sichtweise Frauen Entscheidungskompetenz abspricht, in dem zum Beispiel immer wieder das Klischee der Frau bedient wird, die unentschlossen vor ihrem Kleiderschrank steht. Diese Stereotype trügen dazu bei, dass zum einen eher Männer als kompetente Ansprechpartner in Betracht gezogen würden, wenn es große Entscheidungen zu treffen gäbe, zum anderen aber bei Frauen auch Selbstzweifel entstünden, was ihre eigene Entscheidungsfähigkeit betrifft. 

Die Wissenschaftlerin betont, dass es in Studien keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass Frauen mehr Probleme dabei hätten, Entscheidungen zu treffen als Männer. Allein im Teenager-Alter würden Mädchen unentschlossener sein, danach existierten jedoch keine signifikanten Unterschiede.

In Stresssituationen jedoch würden oftmals Frauen die besseren Entscheidungen treffen. Mara Mather, Neurowissenschaftlerin an der University of Southern California, und Nichole R. Lighthall von der Duke University, haben  – wie viele andere – in ihren Arbeiten herausgefunden, dass Frauen und Männer unter normalen Bedingungen ihre Entscheidungen auf sehr ähnliche Art und Weise treffen: Sie sammeln Informationen, wägen Vor- und Nachteile ab und entscheiden dann. Sobald Testpersonen im Labor jedoch unter Stress gesetzt werden, verändert sich, wie die Geschlechter Aufgaben meistern: Die Männer im Experiment nahmen unter Stress deutlich höhere Risiken auf sich, während Frauen vorsichtiger wurden. In den Experimenten, die Spielcharakter hatten, fokussierten Männer sich unter Druck auf die großen Gewinne, auch wenn die Wahrscheinlichkeit darauf sank. 

Die niederländische Hirnforscher Rud van den Bos stellt in dem Kontext die Rolle des so genannten Stresshormons Kortisol heraus: Während die Kortisolausschüttung bei Männern dazu führt, dass sie unnötige Risiken eingehen, so scheint das Hormon bei Frauen das Gegenteil zu bewirken und zu überlegteren Entscheidungen zu führen, bei denen sie die kleineren, dafür aber sicheren Erfolge ins Auge fassen.

So wirkt es regelrecht ironisch, dass oftmals Frauen als Krisenmanagerinnen in Konzerne oder in die Politik geholt werden, wenn ihre Entscheidungsführung große Krisen von vornherein hätte vermeiden können.

Was diese Ergebnisse bedeuten

Risikobereitschaft und die Fähigkeit, Risiken zu erkennen und zu vermeiden, sind beides wichtige Eigenschaften, die sich im Idealfall ergänzen. Die Forschung zur Entscheidungsfähigkeit muss daher nahelegen, dass gemischte Teams mit einer guten Dialogkultur die jeweilige Organisation am besten steuern können. 

Kontraproduktiv ist es, von Frauen zu erwarten, sich an männliche Führungsstile anzupassen und zum Beispiel risikofreudiger zu werden. Das so entstehende Stereotyp, Frauen seien entscheidungsschwach, torpediert die Selbstwahrnehmung von Frauen und führt letztlich dazu, dass sie ihren eigenen Entscheidungen nicht mehr vertrauen – dabei könnten diese gerade bei nahenden Krisen die besseren sein.


Therese Hustons Buch „How Women Decide: What’s True, What’s Not, and Why It Matters“ ist im Juli als englisches Taschenbuch erschienen.



Titelbild: Petras Gagilas – Flickr – CC BY-SA 2.0

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