Keine Karrierechancen, wenig Perspektive, schlechte Gehälter –
während ihres Studiums wurde unsere Community-Autorin Steffi mit vielen Vorurteilen über Geisteswissenschaftler*innen konfrontiert. Karriere hat sie trotzdem gemacht.
Schluss mit dem Stigma der brotlosen Kunst
Vor einigen Tagen habe ich einen Artikel auf Edition F gelesen, in dem die Autorin von schlechten Erfahrungen nach Ihrem Studium berichtete und von ihrem Kampf, in der Berufswelt Fuß zu fassen und anerkannt zu werden. Und alles nur, weil sie sich nach der Schule entschloss, Geisteswissenschaften zu studieren. Nach dem Studium folgten unbefriedigende Aufgaben oder Absagen auf Bewerbungen, befristete Verträge und Arbeitsumfelder, die nicht ihrem Potential entsprachen.
Der Artikel hat mich sehr nachdenklich gemacht und geärgert. Erstens möchte ich, dass alle Geisteswissenschaftler endlich das Stigma loswerden, sie hätten sich für brotlose Kunst entschieden und auf dem Arbeitsmarkt keine realistische Chance. Zweitens bin ich selbst Geisteswissenschaftlerin und habe diese Erfahrungen nicht machen müssen. Deshalb möchte ich heute die andere Seite aufzeigen und deutlich machen, dass jede*r eine Chance hat, sich beruflich zu verwirklichen.
Lieber doch ein Taxischein?
Als ich 18 Jahre alt war, gab es für mich nur zwei Möglichkeiten: entweder ich werde Schauspielerin oder ich studiere die Fächer, welche mich in der Schule besonders fasziniert haben. Ich hatte schon immer ein Faible für Wörter und Sprache, las gern Bücher, liebte das Zeichnen und interessierte mich für unsere Geschichte. Da es mit der Schauspielschule nicht klappte, schrieb ich mich für Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität ein. Zu Beginn des Studiums wurde berichtet, dass nur 20 Prozent der Studierenden dieses Studium abschließen und einige sogar in Erwägung zogen, sicherheitshalber einen Taxischein zu machen.
Mich schreckte das nicht ab – ich konnte mich den ganzen Tag mit Büchern und Wörtern umgeben und liebte es, in der Bibliothek mich mit den Dingen zu beschäftigen, die uns Schriftsteller*innen und Künstler aller Epochen hinterließen. Es fühlte sich alles so echt an. Das Studium bestand weder aus Statistiken noch Prognosen oder Umsatzberechnungen, sondern aus der vergangenen Wirklichkeit, die unsere Zeit maßgeblich geprägt hat und Fragen, die mich wirklich zum Nachdenken und Reflektieren anregten.
Ausprobieren und sich trauen
Nebenbei finanzierte ich mein Studium durch Jobs, die mich beruflich festigen sollten – ich wollte weder kellnern noch in einem Shop etwas verkaufen, sondern ein weiteres Standbein aufbauen. Meine Eltern lagen mir schon immer in den Ohren, dass ich doch „etwas Vernünftiges“ machen sollte. Ich fand es daher vernünftig, neben meinem „brotlosen Studium“ noch praktische Erfahrungen in der Wirtschaft zu sammeln. Am Anfang arbeitete ich als studentische Aushilfe in einem kleinen Verlag, in dem ich vorher ein Praktikum absolvierte. Für mich war das damals eine große Sache, da ich direkt vom Dorf in der Großstadt ankam. Ich hatte nicht viel Geld, aber ich war wissbegierig und glücklich, wenn ich meine Arbeit gut machte.
Dann wechselte ich in die IT Branche, weil mich Kommunikation in unterschiedlichen Umfeldern interessiert. Ich bewarb mich auf eine Ausschreibung und wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Vorstellungsgespräch war sehr herausfordernd und praktisch ausgerichtet, aber ich muss gestehen, dass mich solche Situationen nicht verunsichern – ich habe weder Lampenfieber noch Berührungsängste, weil wir alle Menschen sind. Ich gehe die Dinge einfach an, Kaltakquise hat mir noch nie Probleme bereitet, das Sprechen vor Menschen löst in mir Begeisterung und keine Angst aus. Auch diesen Job bekam ich. Es spielte keine Rolle, was ich studierte.
Mit Glück und Mut Karriere machen
Nach einiger Zeit bekam ich die Möglichkeit, ein Praktikum in einer anderen Branche zu machen: Eventmanagement. Was soll ich sagen? Es gefiel mir so gut, dass ich dort nach dem Praktikum als studentische Aushilfe eingestellt wurde. Mit der Zeit wuchs ich an meinen Aufgaben und wurde Projektmanagerin, nach dem Studium wurde ich sogar übernommen. Ich habe dort einige Jahre gearbeitet und musste mir nie Sorgen um das machen, was ich studierte. Darum sagte ich mir immer, was ich für ein Glück hatte, das zu studieren, was mich wirklich interessiert und nebenbei praktische Erfahrungen zu sammeln, die mich als Person beruflich wachsen lassen. In keiner Branche war mein Studium ein Hindernis oder hat meine berufliche Laufbahn negativ beeinflusst.
Natürlich sind unsere Wege nicht die gleichen, aber wir haben immer wieder die Chance, zu wachsen und stolz darauf zu sein, was wir geschafft haben. Bist du Geisteswissenschaftler*in? Dann bist du unter den goldenen 20 Prozent, die das Studium erfolgreich gemeistert haben – wir sind einzigartig und besonders! Ich habe unzählige Bücher lesen dürfen, mit Menschen über Philosophie und Geschichte diskutieren können, was mich zum Nachdenken und Innehalten angeregt hat. Ich hatte die Möglichkeit, sechs Sprachen zu lernen und unzählige Museen zu besuchen, um ihre Geschichte und ihre Ausstellungsstücke zu verstehen und zu fühlen. Ich kann seitenweise Texte lesen und schnell erfassen, Rechtschreibfehler treten wie Leuchtzeichen aus den Texten, Grammatik oder Formulierungen sind keine Feinde, ich bin multitaskingfähig und kann komplexe Dinge organisieren ohne in Panik zu geraten. Und ich hab verdammt nochmal studiert und ein paar wundervolle Jahre dort erleben dürfen!
„Es kommt nicht drauf an, was du studiert hast – wenn es dich interessierte, war es genau das Richtige!“
Was ich damit sagen will: es kommt nicht drauf an, was du studiert hast – wenn es dich interessierte, war es genau das Richtige! Deine Persönlichkeit und wie du Dinge angehst, zählen viel mehr. Erfolgreich bist du, wenn du Dinge mit Begeisterung machst; wenn du ausstrahlst, dass du das, was du tust (oder im Job tun willst), gern tust und das merken auch Personaler*innen, wenn sie mit dir ins Gespräch gehen. Und wenn nicht, dann verdienen Sie dein Engagement nicht. Gerade Geisteswissenschaftler*innen besitzen heutzutage die Kompetenzen, welche erfolgreichen Führungskräften zugeschrieben werden, wie z.B. präsentieren, kommunizieren, reflektieren und handeln sowie Texte oder Sachverhalte schnell erfassen.
Wir sollten uns also auch darüber austauschen, welche erfolgreichen Wege Geisteswissenschaftler*innen eingeschlagen haben, um voneinander zu lernen, Mut zu machen und uns zu unterstützen. Denn denkt dran: ich bin eine von 20 Prozent!
Mehr bei Edition F
Geisteswissenschaften: Befristete Jobs, unsichere Zukunft – ist es das wirklich wert? Weiterlesen
Keine Angst vor Geisteswissenschaften! Denn damit steht dir die Welt offen. Weiterlesen
Was du studierst, spielt am Ende keine Rolle – was wirklich zählt, sind Erfahrungen. Weiterlesen