Alle reden über Heimat, von AfD bis Grüne. Dabei ist der politische Heimatbegriff von Grund auf ausgrenzend und antiemanzipatorisch. Nina Monecke von ze.tt kommentiert.
Heimat ist ein negativ belastetes Wort
Von wem stammt das folgende Zitat? „Wir lieben dieses Land. Es ist unsere Heimat. Für diese Heimat werden wir kämpfen.“ Als erstes denkt man an Namen aus den Reihen der AfD. Oder von der rechtsextremen Identitären Bewegung. Das ist so verständlich, wie in diesem Fall falsch.
Denn es handelt sich nicht um Alexander Gauland und auch nicht um Martin Sellner. Hier bringt die ehemalige Parteivorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt ihre Heimatliebe zum Ausdruck. Genauso gut hätte es ein Zitat der aktuellen grünen Parteichef*innen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, sein können. Oder von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der meint, wer sich nach Heimat sehne, sei nicht von gestern. Sogar Bodo Ramelow, Thüringens linker Ministerpräsident, will Heimat als „Sehnsuchtsort für die Seele“ zulassen.
Sie alle eint ein Anliegen: Sie wollen die Heimat nicht den Rechten überlassen. Sie sprechen von Heimat und meinen es gut. Wo bleibt das Unbehagen bei so viel parteiübergreifender Einigkeit darüber, wonach sich die Menschen in Deutschland sehnen und wie darauf reagiert werden soll?
Heimat ist ein Begriff rechter Diskurse
Bis vor nicht allzu langer Zeit spielte der Heimatbegriff noch kaum eine Rolle in politischen Debatten. Erst als rechte Stimmungen, getragen von der AfD, stärker wurden und die vermeintliche Alternative in ein Landesparlament nach dem nächsten gewählt wurde, fand er auch Einzug in die Reden von Politiker*innen links der Mitte. Der politische Begriff Heimat hat seinen Ursprung also im rechten Diskurs. Für die AfD war er eine Kernforderung, um sich von den übrigen Parteien abzugrenzen: Endlich wieder stolz sein dürfen auf Deutschland, endlich wieder Deutschland lieben. Mittlerweile lässt sich förmlich ein Wettstreit beobachten, wer die deutsche Heimat mehr für sich beansprucht.
Warum uns das Sorgen machen sollte, erklärt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einem Gastbeitrag für die taz sehr prägnant: „Wird Heimat zu einem politischen Begriff, wird es gefährlich, denn dann wird Heimat etwas, das durch die bedroht ist, die ein Zuhause suchen. Wenn der politische Heimatbegriff von einem konkreten Ort auf ein ganzes Land ausgedehnt wird, entsteht eine Nation, deren Mitgliedschaft durch Abstammung bestimmt ist.“ Für viele mag Heimat ein wohliges Gefühl sein, mit dem sie ihre Kindheit verbinden, ein Ort, an dem Eltern und Familie noch wohnen und an den sie immer zurückkehren können. Doch andere haben diesen Ort vielleicht nie gehabt, mussten ihn zurücklassen oder er wurde ihnen genommen.
Heimat basiert auf der Unterscheidung von vermeintlich Gleichem und Ungleichem
Mit dem Gefühl ist das ohnehin so eine Sache. Der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn schreibt dazu, dass das Heimatgefühl, anders als zum Beispiel das Gefühl von persönlicher Zuneigung, nicht mit realen zwischenmenschlichen Interaktionen und individueller Entwicklung verknüpft sei, „denn es basiert auf der Unterscheidung von vermeintlich Gleichem und Ungleichem.“
Das heißt: Heimatgefühle haben mit der Realität so ziemlich gar nichts zu tun. Während reales Leben sich ständig durch neue Erlebnisse und Erfahrungen wandelt, fußt Heimat auf Identitätsbildung, auf Abgrenzung und damit Ausgrenzung. Salzborn weiter: „Heimat ist ein Fantasie- und Wertkonstrukt, mehr Erinnerung, Imagination und Magie als wahrgenommene Gegenwart. Mehr Sehnsucht, Hoffnung und Utopie als erfahrene Wirklichkeit und berechenbare Zukunft.“
Links ist da, wo keine Heimat ist
Real ist hingegen das, was die Menschen, die sich nach Heimat sehnen, dazu treibt: der Verlust von Kontrolle in einer sich rasant wandelnden Welt, die soziale Kluft in der Gesellschaft. Nur ist es eben falsch, auf diese Probleme mit Heimat zu antworten, statt beispielsweise mit sozialpolitischen Forderungen. Denn wer Heimat will, will nichts verändern, sondern allenfalls Bestehendes versöhnen. In dieser fälschlich imaginierten Idylle ist es nur logisch, dass es die vermeintlich Fremden sind, die diese Idylle stören und für Probleme zu Unrecht verantwortlich gemacht werden.
Nun haben Politiker*innen wie Göring-Eckardt, Habeck oder Ramelow selbstverständlich anderes als eine homogene Volksgemeinschaft im Sinn, wenn sie von Heimat sprechen. Doch statt umzudeuten, was Rechte stark gemacht haben, sollten sie ihnen den politischen Begriff Heimat ruhig überlassen. Denn da gehört er hin. Links ist da, wo keine Heimat ist. Wo man über persönliche Lebensrealitäten und Erfahrungen hinaus solidarisch mit anderen ist – vor allem mit jenen, die in unserer Gesellschaft geschwächt sind, ausgegrenzt und diskriminiert werden. Wo daran gearbeitet wird, dass es irgendwann egal ist, woher jemand kommt. Oder wie der Soziologe und Autor Thorsten Mense es so schön formulierte: „Die Linke sollte nicht dafür eintreten, dass alle eine Heimat haben, sondern dafür, dass niemand mehr eine braucht.“
Der Originaltext von Nina Monecke ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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