Foto: JJ Thunderkat | @thunder.khat

Maja Bogojević: „Ich möchte den Begriff ,Alltagsrassismus‘ gern streichen – er spielt das wahre Problem herunter: Rassismus“

On- und Offline: Maja Bogojević zeigt auf ihrem Instagram-Account, wie man politisch aktiv sein kann! Und sie fragt sich: Wie kann man eigene Fehler reflektieren und lernen, sensibler zu sein?

„Wir sollten weg von der Politikverdrossenheit und hin zu einem inklusiven, diskriminierungsfreien Politikverständnis“

Maja Bogojević informiert auf ihrem Instagramkanal @yugodeinesvertrauens über tagespolitische Themen. Fast täglich kommentiert sie in ihren Storys Artikel, Beiträge und unterstützt andere Nutzer*innen auf Instagram. Dabei nimmt sie eine kritische Perspektive ein: Sie schreibt und spricht unter anderem über Rassismus, Empowerment und Intersektionalen Feminismus. Wer ihr folgt, solle keine Angst vor dem Wort Privilegien haben und bereit sein, eigene Handlungen zu reflektieren.

Viele Sprechweisen sind für Leute, die selbst nicht betroffen sind, ein blinder Fleck in ihrem eigenen Sprachgebrauch. Und auch, wenn eigentlich alles immer „nur gut gemeint“ ist, stecken hinter manchen Begrifflichkeiten oder Redensarten diskriminierende Strukturen. So erklärt Maja zum Beispiel auf ihrem Instagram-Account, welche Problematik hinter der Formulierung „I don’t see color“ (also: die Hautfarbe ist mir egal) steht.

Im Interview mit uns erklärt Maja Bogojević außerdem, welche Erfahrungen sie mit dem sozialen Netzwerk Instagram gemacht hat und wie sie es nutzt. Sie spricht darüber, wie man sich politisieren und sich Themen wie Rassismus annähern und verstehen kann.

Instagram hat ja den Stempel als Plattform für Lifestyle und eine romantisierte Darstellung der Wirklichkeit. Über deinen Kanal informierst du über Themen wie Empowerment, Intersektionalen Feminismus und Rassismus. Empfindest du Instagram als geeignete Plattform für deinen politischen Aktivismus?

„Ich denke, dass jede Plattform für politischen Inhalt genutzt werden kann und sollte. Insbesondere die Body-Positivity– und queerfeministische Szene ist über Instagram gut vernetzt. Was ich an Instagram schätze, ist, dass es zugänglich ist und ein sehr empowerndes Miteinander herrscht – anders als meine Erfahrung mit Twitter. Dennoch zeigt Online-Aktivismus nur einen kleinen Teil der politischen Arbeit vieler Menschen. Meine Posts geben lediglich einen kleinen Einblick in die Thematiken, mit denen ich mich persönlich, aber auch an der Uni, beschäftige. Nicht alles möchte ich teilen, besondere detaillierte eigene Erfahrungen sind mir manchmal zu privat.

Ich möchte hiermit aber nicht sagen, dass der Inhalt von Lifestyle-Accounts unwichtig ist. Ich denke nicht, dass es richtig ist, Lifestyle-Accounts zu verurteilen, da das möglicherweise die Art ist, wie einige Person am besten in dieser kapitalistischen Leistungsgesellschaft klarkommen. Ich finde es eher wichtig, die Frage zu stellen, warum Accounts mit politischen Inhalten oft viel weniger Reichweite bzw. Follower*innen haben.“

Wen möchtest du mit deinen Beiträgen erreichen und welche Wirkung erhoffst du dir von deinen Inhalten?

„Um aus dem Buch ,Desintegriert euch!‘ von Max Czollek zu zitieren: ,Ich wende mich an alle, die mir und meinen Freund*innen und Verbündeten nicht die Existenz in diesem Land absprechen wollen.‘ Demnach können Menschen, die Zugehörige von marginalisierten Gruppen diskriminieren, mir gerne entfolgen. Follower*innen sollten sich darauf einstellen, sich selbst reflektieren zu lernen, vor dem Wort ,Privilegien‘ keine Angst zu haben, und sich internalisierte -ismen einzugestehen und abzubauen. Ich poste Themen, die mich politisch beschäftigen und erhoffe mir eine deutschlandweite Bewegung weg von der Politikverdrossenheit und hin zu einem inklusiven, diskriminierungsfreien Politikverständnis.“

Du unterstützt in deinen Storys oft andere Accounts, die über ähnliche oder andere relevante Themen informieren. Wird so eher eine eigene Bubble auf Instagram produziert oder wirkt diese Unterstützung eher dagegen?

„Ich finde es wichtig, einander zu unterstützen und den Blick nicht nur auf die eigene Betroffenheit beziehungsweise Ungleichheitsdimension zu beschränken. Themen, die mich nicht selbst betreffen, werde ich auch nicht aus meiner Perspektive formulieren, sondern auf andere Accounts verweisen, die selbst betroffen sind. Wieso sollte ich die Sprecher*innenposition für alles einnehmen? Die Personen, die ich unterstütze, sind oft Accounts von Personen, die nicht weiß, dünn, cis, christlich und able-bodied sind. Durch die gegenseitige Unterstützung können wir uns diese Bubble aufbauen. Ich finde daher die Entstehung von linken ,Bubbles“ sehr förderlich für das Kreieren von ,safer spaces‘.“

Warum sind „safer spaces“ wichtig für die Kommunikation marginalisierter Gruppen?

„Die Idee von ,safer spaces‘ stützt sich auf die Idee, Zugänglichkeit und Wohlbefinden für alle zu kreieren. Das passiert mit besonderem Augenmerk auf marginalisierte Menschen, also zum Beispiel queere*, nicht-weiße, nicht-christliche Menschen. So entstehen Räume, dessen Mitglieder nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen.

Im queer-feministischen Kontext finden vermehrt FLTI*-Partys statt, zum Beispiel sieistguterjunge, an denen keine cis-Männer teilnehmen dürfen. Das ist notwendig, um Personen, die zum Beispiel Opfer von sexualisierter Gewalt – mehrheitlich von cis-Männern ausgehend – waren, einen sicheren Raum zu schaffen. Auf queerfeministischen Konferenzen habe ich oft beobachtet, dass Räume geschaffen werden, die nur für Geflüchtete, Schwarze oder nicht-weiße Menschen kreiert werden.

Das ist wichtig für einen sicheren Austausch, in dem keine Grundsatzdiskussionen geführt werden müssen, und ,softness‘, also Verletzbarkeit, normalisiert wird. Die Idee ist, endlich Räume für Marginalisierte zu schaffen, in denen sie über sich, anstatt andere über sie sprechen. Hier können Erfahrungen ausgetauscht werden, ohne dass nicht-Betroffene Erfahrungen absprechen oder den Fokus auf sich lenken können, Stichwort: ,White/Male Tears‘. So entsteht Empowerment.“

Wenn du die Kommunikation in deinen Kommentaren und/oder Privatnachrichten betrachtest, hast du das Gefühl, dass du eine Stimme für deine Generation sein kannst?

„Ich denke, dass für unsere Generation definitiv Menschen sprechen sollten, die nicht alt, weiß und cis-männlich sind. Deshalb sind Stimmen von Femme-Identifizierenden, Migrant*innen, Arbeiter*innen, BPoC et cetera so unglaublich wichtig. Menschen mit Migrationshintergrund sollten beispielsweise auch auf politischer Ebene Raum einnehmen dürfen, wenn es um Integration, Diskriminierung und Migration geht.

Da ich hierarchischen Strukturen sehr kritisch gegenüberstehe, könnte ich mir vorstellen, für einige Thematiken eine Stimme zu sein, es aber auch viele andere geeignete Personen gibt, die auch gehört werden sollen. Nur weil ich gerade die Ressourcen für Aktivismus habe, heißt es nicht, dass ich viel geeigneter bin als andere, obwohl ich mir über einige Themen sehr viel Wissen angeeignet habe.“

Welche Formen von Kritik erfährst du? Fallen darunter viele „Troll“-Kommentare?

„Ich bekomme sehr viel empowernde Nachrichten von anderen Feminist*innen, Antirassist*innen, Aktivist*innen. Vereinzelt bekomme ich auch Nachrichten von Menschen, die mir komplett widersprechen beziehungsweise beleidigend werden. Die vereinzelten Hasskommentare kann ich bis jetzt sehr gut wegstecken und sie verletzen mich nicht. Hauptsächlich sind aber alle sehr lieb und aufbauend. Einige meiner Freund*innen erleben aber Morddrohungen, Vergewaltigungsdrohungen und extreme Beleidigungen. Daher finde ich es wichtig, die Gewalt, die von Hasskommentaren im Internet ausgeht, ernst zu nehmen.“

JJ Thunderkat | @thunder.khat

@habibitus postete vor einigen Tagen einen Beitrag über die unbezahlte Bildungsarbeit, die @habibitus leistet und die du, und viele andere, auch zur Verfügung stellen. Wie positionierst du dich selbst, wenn es um die Zugänglichkeit von Wissen geht? Und wie könnte eine Wertschätzung derer aussehen?

„Die Kontexte, die wir ansprechen, sind oft Erfahrungsberichte von marginalisierten Menschen: Femme, Queers*, Migrant*innen, Neurodiverse et cetera, die in einer weißen, cis-männlichen, heteronormativ-dominierten Gesellschaft keine ausreichende Zuhörer*innenschaft haben. Wenn wir beispielsweise an unbezahlte Reproduktionsarbeit – also zum Beispiel die Pflege von Angehörigen, Erziehung oder jegliches ehrenamtliches Engagement – denken, können wir sehen, dass überall Arbeit geleistet wird, die nicht entlohnt wird.

Viele der Aktivist*innen stellen Paypal.me-Links zur Verfügung, auf denen Personen, die die finanzielle Möglichkeit haben, eine selbstgewählte Spende hinterlassen können. So wird gewährleistet, dass der Inhalt für alle zugänglich bleibt, Betroffene aber auch mehr als nur ein ,Danke‘ erhalten können.

Grundsätzlich bin ich aber natürlich dafür, dass jedes Wissen allen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden sollte.“

Wie nimmst du die Debatte um politischen Aktivismus wahr? Was muss sich ändern, um effektiv gegen Rassismus angehen zu können?

„Ich finde Bewegungen, die der Politikverdrossenheit entgegenwirken, prinzipiell  notwendig und gut. Solange sich der Aktivismus nicht auf das einmalige Besuchen einer Demo beschränkt, sondern der ganze Kontext verstanden wird, bin ich immer dabei, Menschen in ihrem Engagement zu unterstützen.

Aktivismus sieht aber für alle anders aus. Ich habe vor einiger Zeit einen Post zum Thema ,Migrantischer Aktivismus‘ geschrieben, der oft anders organisiert ist. Ich habe Freund*innen, die sich auf Demos und Plena nicht wohlfühlen, sondern sich in Vereinen und mit der eigenen Community engagieren.“

Was können weiße Personen tun, um sich aktiv gegen Rassismus zu engagieren und um People of Color zu unterstützen?

„Sich zu politisieren kann durch verschiedene Art und Weisen passieren: Politische Veranstaltungen oder Demos besuchen, Bücher lesen, einer politischen Gruppe beitreten, Konferenzen besuchen. Andererseits passiert Sensibilisierung auch oft durch betroffene Freund*innen, Partner*innen oder Bekannte, die Aufklärungsarbeit leisten.

Wie bei allen -ismen gilt: Betroffenen zuhören! Sich eingestehen, dass mensch Rassismus, Sexismus und Homophobie internalisiert hat, diese aber auch abbauen kann. Außerdem: Sexismus und Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem ernst nehmen. Betroffenen nicht die Erfahrungen absprechen.

Bücher, die ich empfehlen kann sind unter anderem: ,Deutschland Schwarz/Weiß‘ von Noah Sow, ,Schwarzer Feminismus‘  von Gloria I. Joseph, ,Desintegriert euch!‘ von Max Czollek, ,We Should All Be Feminists‘ von Chimamanda Ngozi Adichie. Es gilt, sich mit ,Critical Whiteness‘ zu beschäftigen und das in den Alltag zu integrieren.“

Eine diskriminierungsfreie Sprache zu lernen ist nicht leicht, politische Korrektheit ist stets im Wandel. Damit gehen Unsicherheiten und Fehler einher. Wie kann man selbst damit umgehen oder würdest du dem überhaupt zustimmen?

„Ich stimme zu, dass Sprache stets im Wandel ist, was ich gut und wichtig finde. Meiner Meinung nach sollte aber der ,Schwierigkeitsgrad‘ einer Thematik nicht der Maßstab der Notwendigkeit sein. Die wenigsten Personen wurden mit diskriminierungsfreier Sprache aufgezogen, sodass es für mich zum Beispiel auch ein aktiver Prozess des Abtrainierens und Neudenkens war. Wenn aber die Notwendigkeit eines Wandels für die Anerkennung von sozialer Ungleichheit besteht, dann sollte auch dieser Schritt getan werden.

Trotzdem sollte Personen nicht ihre politische Arbeit abgesprochen werden, nur weil sie sich noch nicht des politischen Jargons bedienen. Einige Menschen, die das Gendersternchen benutzen, sind trotzdem nicht frei von Sexismen, sodass es wichtig ist, den Prozess auf allen Ebenen zu führen. Manche Menschen, insbesondere Personen, die nicht unbedingt Soziologie-Student*innen sind, werden mehr investieren müssen, um diskriminierungsfrei zu sprechen. Diese möchte ich besonders ermutigen! Die Benutzung des falschen Pronomens oder des Z-Wortes ist für dich vielleicht ein beiläufiger Akt, für andere ist es aber ein gewaltvoller.“

Was würdest du Personen empfehlen, die sich mehr mit Alltagsrassismus beschäftigen möchten, um sich reflektierter und sensibler verhalten zu können?

„Zuerst würde ich gerne klarstellen, dass ich den Begriff ,Alltagsrassismus‘ aus dem allgemeinen Sprachgebrauch gerne herausstreichen würde. Alltagsrassismus spielt die eigentliche Problematik herunter, und zwar: Rassismus. Daher sollte er auch als solcher erkannt und benannt werden. Als allgemeiner Tipp: Ersetze deine weiße, hetero-männliche Perspektive mit einer kritischen, postkolonialen, postmigrantischen, queeren, femme Perspektive.

Ich empfehle auf meinem Account oft Zeitschriften, Artikel, Bücher, Podcasts und Instagram-Accounts, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit antirassistischen Themen auseinandersetzen. Sich eingestehen, dass mensch noch nicht alles weiß und Fehler machen wird. Es gilt, bei Fehlern um Entschuldigung zu bitten, und sich zu loben, wenn komplexe Sachverhalte verstanden wurden, ohne Standing Ovations von Betroffenen zu erwarten.“

Mehr bei EDITION F

„Ich habe Angst“ – wie Rassismus den Alltag junger Menschen verändert. Weiterlesen

#MeTwo zeigt, wie verankert Rassismus in unserer Sprache und Gesellschaft ist Weiterlesen

Chimamanda Ngozi Adichie: „Privilegien machen uns blind“ Weiterlesen

Anzeige