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Wer Islamfeindlichkeit verneint, macht unsichtbar, was deutschen Muslim*innen täglich passiert

Islamfeindlichkeit in Deutschland? Gibt es nicht, das erklärte zumindest Horst Seehofer nach dem Terroranschlag in Christchurch. Dass diese Aussage ausgerechnet von einem Minister kommt, der die Migration für „die Mutter aller Probleme“ hält, macht unsere Autorin Yasmine M’Barek wütend.

 

Wenn Islamfeinde behaupten, Islamfeindlichkeit gebe es nicht

In meinem Kopf brummt es. Ich bin zu emotional, zu persönlich, ich bin zu wütend, ich möchte nicht immer nur über die Probleme und Sorgen schreiben, die diese Religion betreffen, meine Religion. Aber dann äußert sich ausgerechnet Bundesinnenminister Horst Seehofer deutlich und für jeden verständlich, dass all dieser Hass, der Muslim*innen auch in Deutschland entgegenschlägt, eigentlich gar nicht passiere. Wie soll ich da nicht wütend werden? Der Seehofer, der eben auch zuständig ist für die Sicherheit von deutschen Muslim*innen, muss sich dieser Aufgabe erst bewusst werden. Aber vielleicht möchte er das auch gar nicht.

Islamfeindlichkeit und rassistische Übergriffe auf Muslim*innen sind so allgegenwärtig wie noch nie. Ich brauche bloß in die U-Bahn steigen, um dort zu sehen, wie herablassend Hijab-tragende Frauen behandelt werden. Mute ich mir online die Kommentarspalten der renommierten Zeitungen zu, sieht man erst recht, mit welcher Gewalt und Stärke der Hass gegen den Islam wächst. Und der NSU?

Dann treffen die Nachrichten aus Christchurch ein. Ich sehe politische Führungspersonen wie Jacinda Ardern, die neuseeländische Premierministerin, die sich rührend solidarisch zeigen. An dem Punkt ist der Opportunismus in der restlichen Politik egal, denn die Signale von Ardern sind deutlich für jeden letzten „Wutbürger“. Ich habe nach dem Terrorakt in Christchurch gar keine monumentale Reaktion der deutschen Politik erwartet. Im Nachhinein hab ich mir sogar gewünscht, niemand hätte seinen Mund aufgemacht, abgesehen von ein bis zwei moralischen Tweets. In diesen Tweets steht dann etwas von „friedlich betenden Muslimen“, was auch immer damit gemeint sein soll. Ganz nach dem Motto: „Solange ihr gar nichts tut oder nur betet oder euch assimiliert, bekommt ihr unsere Bekundungen.“ Doch dann kam Horst.

Was denn nun, Horst?

Horst Seehofer, das ist der Innenminister der klaren Worte. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, gab er vor rund einem Jahr von sich. Zu Christchurch sagte er nun in einem Interview: „Der Großteil der Menschen in Deutschland lebt friedlich miteinander. Davon bringen uns auch gewaltbereite Extremisten nicht ab.“ Das heißt: Ich gehöre zwar nicht zu Deutschland, aber ich habe immerhin das große Glück, genau wie nicht-muslimische Menschen, friedlich und ungestört hier zu leben. Dass das so ist, glaubt zumindest Horst.

Pustekuchen. In Deutschland explodieren gesellschaftliche Debatten und alltägliche Begegnungen regelmäßig vor lauter Islamhass. Wenige Stunden nach Seehofers Aussage lese ich von einer gewaltsamen Attacke gegenüber einer schwangeren muslimischen Frau. Zuerst beleidigte der Täter sie, dann schlug er ihr in den Bauch. Er war islamfeindlich motiviert. Wurde über diesen Übergriff berichtet, weil der vorausgegangene Terrorakt die Medien sensibilisiert hatte? Medial wirkte der Übergriff wie ein Einzelfall, denn zwar wird ab und an insbesondere über Angriffe auf kopftuchtragende Frauen berichtet, dass diese Gewalt jedoch in einem islamfeindlichen Klima passiert und nicht zufällig, wird nur selten thematisiert. Islamfeindlichkeit muss als Ausnahme dargestellt werden, sonst ließe sich das Bild des demokratiegefährdenden Islams nicht aufrechterhalten. Wenn etwas ohnehin nicht zu Deutschland gehört, dann interessiert es eben auch keinen, wenn man die Menschen, die zum Islam und zu Deutschland gehören, so lange beleidigt, prügelt und diskriminiert, dass sie nicht nur verbal durch den Minister spüren, dass sie hier nicht erwünscht sind.

Was ist mit Bürger*innen wie mir?

Ich sage: Dem Islam seine Zugehörigkeit zu Deutschland abzusprechen, ist islamfeindlich. Attentate und islamfeindliche Attacken zu Ausnahmen zu erklären, ist eine Verharmlosung des Hasses. Und all das hat einen politisch motivierten Hintergrund: Wähler*innenstimmen zu sichern und Parteien auf eine bestimmte Art und Weise zu inszenieren. Nach der Welle des islamistischen Terrors und dem hohen Zulauf zur AfD, richten sich Parteien vor allem an Bürger*innen im rechten Spektrum. Die Sorgen der anderen interessieren nicht, Solidarität mit marginalisierten Gruppen ist in diesem Szenario, das die besorgten Bürger*innen wieder froh machen will, nicht vorgesehen. Gegen Muslim*innen zu wettern, ob in den vielen großen Talkshows oder in Interviews mit der BILD-Zeitung, ist attraktiver, es bringt die Stimmen der Wutbürger*innen. Doch was ist mit Bürger*innen wie mir, die reale Gründe haben, wütend und ängstlich zu sein?

Ich suche nach stärkenden, warmen und ausdrucksstarken Aussagen über das, was uns alle verbindet. Aussagen darüber, dass wir, wenn es um Gewalt und Terror geht, vor allem etwas gemeinsam haben: Wir sind geschwächt und verletzt. Es gab 950 Angriffe auf Moscheen im Jahre 2017, 578 in den ersten drei Quartalen  2018. Die meisten dieser Fälle sind klar rechtsradikal motiviert. Kennt der Innenminister diese Zahlen nicht?

Islamfeindlichkeit ist für deutsche Muslim*innen Alltag

Doch die Weise, auf die sich der Bundesinnenminister zum Islam äußert,  ist ein Paradebeispiel dafür, wie Religion systematisch benutzt wird, um Aufmerksamkeit in politischen Debatten zu erhalten. Und dabei passiert etwas Fatales: Es wird der Eindruck erweckt, es gebe nur „den einen Islam“: Unterdrückung und IS. Die Auswirkungen von dieser Verzerrung bekommen Frauen wie die attackierte schwangere Berlinerin zu spüren. Islamhass und die darauf beruhenden Angriffe werden immer salonfähiger. Angst, Überforderung oder „verständliche Islamophobie“ werden angeführt, um den Hass zu erklären. Aber gibt es überhaupt etwas, das Hass legitimiert? Hinzukommt: Den Begriff „Islamophobie“ gibt es gar nicht und wir sollten ihn auch nicht mehr benutzen. Was genau soll das sein? Wer definiert das? Gibt es Phobien vor anderen Religionen? Wie kann man sie heilen? Nein, Islamophobie gibt es nicht. Das Phänomen, über das wir sprechen, heißt schlicht und einfach Hass.

Und es ist kein Randphänomen. Kai Hafez, Politik- und Medienwissenschaftler, der zu Vorurteilen gegenüber Muslim*innen forscht, sagte letzte Woche im Interview mit der ZEIT, dass über 50 Prozent der Deutschen anfällig seien für Islamfeindlichkeit. Bleiben immerhin die anderen 50 Prozent, inklusive der in Deutschland lebenden Muslim*innen, die differenzierter denken. Diese Zahlen passen zu keiner von Seehofers Aussagen gegenüber dem Islam. Aber das ist egal. Es scheint für ihn und viele andere Politiker*innen und Meinungsmacher*innen viel wichtiger zu vermitteln, wie besorgniserregend der Islam sei. Diese Haltung verzerrt die Wahrnehmung der Deutschen so sehr, dass sie völlig überschätzen, wie viele Muslim*innen in Deutschland leben:  Eine Analyse des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos fand heraus,  dass der Anteil der muslimischen Bevölkerung im Schnitt auf 20 Prozent geschätzt werde, dabei liegt er tatsächlich bei rund vier Prozent. Unabhängig davon, dass ich nicht verstehe, warum dieser geschätzte hohe Wert schlimm sein soll, zeigt die Studie auch, wie viel Einfluss Aussagen à la Seehofer haben. Der Hass gegenüber Muslim*innen wird klein geredet, der Hass gegen sie wird geschürt.

Deswegen wünsche ich mir, dass islamfeindliche Menschen in politischen hohen Posten nach Terrorakten gegenüber Muslim*innen am besten gar nichts sagen würden. Dieses Schweigen sagt zwar mehr als 1.000 Worte, aber ihre anderen Worte über Muslim*innen tragen ganz sicher nicht dazu bei, dass wir in Deutschland besser leben können. Und dann stelle ich mir die Frage, wer wirklich die Mutter aller Probleme ist.

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