Foto: Bennie Julian Gay

Joy Denalane: „Lass zu, dass man dich liebt!”

Seit mehr als 20 Jahren bereichert Joy Denalane die deutsche Musikszene mit ihrer souligen Stimme. Gerade hat sie ihr neues Album beim legendären Label Motown veröffentlicht. Ein Gespräch über Kompromisse, Rassismen und Selbstliebe.

Wen man in Deutschland an Soul denkt, denkt man an Joy Denalane. Ihren ersten größeren musikalischen Erfolg feierte sie 1999 mit dem Kultklassiker „Mit dir“, gemeinsam mit der Hip-Hop-Crew „Freundeskreis“. Der Song war ein großer Erfolg und Joy, die den Refrain sang, wurde einem größeren Publikum bekannt.

Anschließend veröffentlichte sie ihr erstes Studioalbum „Mamani“, das direkt in die deutschen Charts einstieg. Es folgten drei weitere Alben, die sich ebenfalls alle jeweils in den Top- Ten der Charts platzieren konnten. Mit dem neuen Album „Let Yourself Be Loved“ möchte Joy Denalane Menschen dazu ermutigen, ihren eigenen Wert anzuerkennen. Joy Denalane wuchs mit fünf Geschwistern in Berlin-Kreuzberg auf und lebt auch heute in Berlin. Seit ihrer Zusammenarbeit mit „Freundeskreis” ist sie (inklusive mehrjähriger Beziehungspause) mit dem Musiker Max Herre liiert, die beiden haben zwei  (fast) erwachsene Söhne.

Im Gespräch erzählt sie, warum es seit langer Zeit ihre erste wirklich kompromisslose Platte ist – und, warum sie es leid ist, über ihre Rassismuserfahrungen zu sprechen.

Joy, du hast im September dein neues Studioalbum veröffentlicht. Womit beschäftigst du dich auf dem neuen Album?

Joy Denalane: „Auf meiner Platte geht es um Liebe und zwar Liebe in all ihren Facetten. Das war mir beim Schreiben selbst noch gar nicht bewusst. Es hat sich eigentlich erst herauskristallisiert, als ich alle Titel und Lieder vor mir hatte und gemerkt habe, dass Love, Love, Love selbst in den Arbeitstiteln immer wieder vorkam. Das war offenbar zu dem Zeitpunkt, als die Platte entstand, ein Thema, an dem ich mich abarbeiten wollte und musste.“

Warum der Titel „Let Yourself be Loved”?

„Ich mache seit vielen Jahren die Beobachtung, dass die Leute um mich herum unter einem immer größer werdenden Druck stehen. Bis zu einem gewissen Punkt können sie diesem Druck standhalten. Sie glauben, sie seien nicht genug: nicht klug, nicht begabt, nicht schön oder liebenswert genug. Dieses Phänomen macht uns als Leistungsgesellschaft grundlegend aus. Gesteigert wird dieser Druck durch die Art unserer Kommunikation und wie wir uns selbst darstellen, über die Social-Media-Plattformen beispielsweise.

Der Vergleich mit Mitstreiter*innen wird dadurch unumstößlich. Es gibt immer jemanden, der*die besser in etwas ist als du. Das ist normal, aber es spitzt sich immer weiter zu. Die Bubbles, die wir uns bauen, kuratieren wir so stark, dass man schnell Gefahr läuft, in eine Trostlosigkeit zu verfallen, den Halt und den Glauben an sich selbst zu verlieren und viel zu unsicher zu werden.“

Was kann man aus deiner Sicht dagegen tun?

„Schau in dich hinein! Schau auf dich und lass dich nicht von den falschen Motiven locken oder verleiten. Lass zu, dass man dich liebt! Wer seine eigene Liebenswürdigkeit und seinen Wert anerkennt, ist auch eher dazu in der Lage, Liebe anzunehmen. Es geht darum, bei sich zu bleiben und mehr Selbstvertrauen zu haben. Erkenne an, dass auch du liebenswert bist. Let yourself be loved.“

Auf Instagram hast du erklärt: „This is an album with no compromise at all” – dieses Album ist eines ohne Kompromisse. An welcher Stelle hast du in deiner bisherigen Karriere Kompromisse machen müssen?

„,Let yourself be loved‘ ist nach ,Mamani‘ mein zweites kompromissloses Album. Bei ,Mamani‘ gab es noch keine Erwartungshaltung. Kein Mensch wusste genau, was ich machen würde. Ich war total frei. Das Lied ,Mit dir‘ war gerade veröffentlicht worden. Die erste wirklich relevante Spur, die es von mir in der Öffentlichkeit gab. Daraus folgte dann der Plattenvertrag und damit die Freiheit zu machen, was ich wollte. Das Ergebnis war ,Mamani‘.

Die folgenden Platten sind natürlich auch in relativ großer Freiheit entstanden, aber ich habe auch eine Erwartungshaltung gespürt, der ich in Maßen gerecht werden wollte. Wenn du einen Vertrag bei einer Plattenfirma unterschreibst, fließen Gelder. Dadurch stehst du in einer gewissen Bringschuld und fängst an zu überlegen: Was könnte ein Hit sein? Welcher Titel ist stark genug, um als Single im Radio zu funktionieren?“

Und was ist dieses Mal anders?

„Diese Platte ist vollkommen unter dem Radar entstanden. Ich habe sie 2015 noch vor meinem Album ,Gleisdreieck‘ geschrieben. Die Songs haben schon existiert, aber es gab eine lange Zeit niemanden, der*die das so produzieren konnte, wie ich es mir vorgestellt hatte. Irgendwann habe ich Roberto Di Gioia gefunden und wir haben das Album dann gemeinsam gemacht. Es ging nicht darum, das als große Kampagne zu fahren.

Das meine ich, wenn ich von Freiheit spreche: niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen oder zu wollen, sondern sich wirklich nur auf die Musik zu konzentrieren. Ich habe nicht einen Gedanken daran verschwendet, welches Lied sich zur Single eignet oder ob das Album mainstreamtauglich ist. Ich hatte auch keine bestimmte Hörer*innenschaft vor Augen. Es ging wirklich um das rein spielerische Verliebtsein in die Musik.“

Schließt sich damit ein Kreis, wenn du sagst, dass das erste und dieses Album ohne Kompromisse entstanden seien?

„Das würde ja bedeuten, dass ich auch ein Stück weit denke, dass meine Karriere nach diesem Album vorbei ist. So empfinde ich das aber nicht. Es ist ein weiterer Baustein auf meinem Weg. Es ist eine Platte, die ich liebe, weil sich die Musik auf ihr nur selbst genügen will.“

Du hast 2015 angefangen zu schreiben. 2020 wird das Album veröffentlicht. Passiert das öfter, dass du deinen künstlerischen Schaffensprozess so aufteilst?

„Nein, das ist eigentlich überhaupt nicht meine Art. Es hat sich in diesem Fall einfach nicht anders ergeben.“

Dein Album wird auch bei Motown Records veröffentlicht. Motown ist das erfolgreichste Schwarze Plattenlabel in den USA und ein wichtiger Teil Schwarzer Musiktradition. Künstler*innen wie Marvin Gaye, die Supremes oder auch Stevie Wonder standen dort schon unter Vertrag. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

„Sehr unverhofft. Ich habe einfach nur die Musik gemacht, die mir gefällt, ohne Rücksicht auf Verluste. Als die Platte fertig war, hat sie jemand von meinem Label bei Motown Records in den USA vorgestellt. Er meinte damals, er habe da so ein Gefühl.

Er kam wieder und meinte, dass sie mich unter Vertrag nehmen und meine Platte rausbringen wollen. Und nicht nur das. Sie haben auch gefragt, ob ich mir vorstellen könne, etwas mit einem ihrer Künstler zu machen: BJ The Chicago Kid. Wir haben dann ein Duett aufgenommen. Das ist auch auf dem Album zu hören.“

Motown ist eine ziemliche Hausnummer – war die Zusammenarbeit mit diesem legendären Label für dich etwas Besonderes?

„Ja, vor allem, weil die Soul-Musik in Deutschland eine sehr kleine Lobby hat. Schließlich gibt es so wenige, die das machen. Wenn du dann von einem so bekannten Label wie Motown mit seiner langen Traditionsgeschichte Anerkennung für deine Arbeit bekommst, ist das eine große Auszeichnung. Das Label hat bis heute eine riesige Bedeutung. Es ist eine Bestätigung dafür, dass das, was du da produzierst, ganz gut zu sein scheint.“

Hattest du daran gezweifelt?

„Natürlich zweifle ich auch an mir. Ich bin immer auf der Suche, immer auf der Reise. Ich bin keine Musikerin, die das Gefühl hat, dass sie abgeschlossen oder fertig ist, sondern lerne jeden Tag dazu. Ich versuche, mich zu verbessern, neue Dinge aufzunehmen und sie auch zu verarbeiten. Die Welt ist immer in Bewegung und ich möchte nicht stehenbleiben. Eine gewisse Grundunsicherheit halte ich für total wichtig, um wach zu bleiben.“

Du bist für viele Schwarze Künstler*innen in Deutschland Wegbereiterin und auch Idol. Ist das etwas, dass du bewusst wahrnimmst?

„Phasenweise ist mir das schon bewusst. Gerade, wenn es gesellschaftliche Momente gibt, in denen stark über Identität oder über das Schwarzsein in Deutschland gesprochen wird.“

Wie siehst du die aktuellen Diskussionen rund um Black Lives Matter in Deutschland?

„Das Gute an dieser Zeit gerade ist, dass es nicht nur Leute wie mich gibt, die Wegbereiter*innen sind und sprechen, sondern auch Expert*innen. Wissenschaftler*innen, die Menschen mit ihrem Wissen zur Seite stehen und diesen Diskurs nochmal neu beleben, auf eine empirische, wissenschaftliche Weise. Sie kommen ins Licht, nehmen Platz an den Tischen ein und haben eine Stimme. Ich finde das so wichtig, weil diese professionelle Sichtweisen die Geschichten individueller Rassismuserfahrungen um ein Vielfaches erweitern.“

Warum möchtest du nicht mehr über individuelle Rassismus-Erfahrungen sprechen?

„Um in die Opferrolle zu schlüpfen, muss ich umschalten von jemandem, der*die die Kontrolle über die Gesprächssituation hat, auf jemanden, der*die Kontrolle abgibt. Ich mag diese Rolle nicht. Ich bin Teil eines Systems, in dem es eine Struktur gibt, die Ungleichheiten schürt und zulässt. Darüber müssen wir reden. Nicht darüber, wie ich als kleines Mädchen gehänselt wurde oder wie ich in der U-Bahn eine Auseinandersetzung führen musste.“

Ist das etwas, worüber du auch mit deinen Kindern sprichst?

„Natürlich. Unsere Kinder sind sehr aufgeklärte Menschen. Das Thema Rassismus ist Teil unseres Lebensalltags. Sie kommen aus einem Haushalt, in dem häufig politische Unterhaltungen geführt werden.“

Viele Frauen haben während der Ausgangs- und Kontakteinschränkungen gesagt, dass sie zu Hause wieder in traditionelle Rollen gedrängt wurden oder diese auch selber angenommen haben. War die Vereinbarkeit zwischen Mutterrolle und Beruf für dich jemals Thema?

„Nein, ich bin nicht in eine traditionelle Rolle zurückgefallen und ich hatte auch nie einen Mann, der das sucht. Wir haben das immer gut hinbekommen, weil wir ein System hatten: Eine*r macht eine Platte, während der*die andere Zuhause bleibt.

Es ist sehr wichtig, dass man für sich weiß, wo man hinwill. Das kann sich im Laufe des Lebens ändern. Aber zum jeweiligen Zeitpunkt zu wissen, wer man sein will, wo man sich sieht und das dem*der Partner*in auch zu kommunizieren, ist das A und O in einer Beziehung.

Also, wenn du gerne Kinder haben und zuhause bleiben möchtest und dich darin siehst und darin aufgeht, mach das! Wenn du berufstätig sein willst, mit oder ohne Kinder, mach das! Finde deine Stimme, höre auf deine Stimme und vor allem kommuniziere das auch mit deinem* deiner Partner*in. Das passt auch zu meinem neuen Lied. Hör in dich hinein! Du bist wichtig!“

Joy Denalanes Album „Let Yourself Be Loved“ ist am 4. September 2020 erschienen.

Unsere Autorin Celia Parbey (rechts) mit Joy Denalane beim Interview. Foto: Vertigo/Capitol
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