Was bewegt junge Menschen heute dazu, sich in der Politik zu engagieren? Genau das haben wir fünf Frauen aus verschiedenen Parteien in Berlin gefragt – und sehr unterschiedliche Antworten erhalten.
Mehr als nur Wahlplakate
Heute herrscht viel Politikverdrossenheit – aber sich selbst engagieren, um etwas zu ändern? Das machen nur die wenigsten, ganz besonders an jungen Menschen fehlt es hier. Doch es gibt sie!
Wir haben fünf junge Frauen aus fünf verschiedenen Parteien, dazu befragt, was sie bewegt hat in die Politik zu gehen und was sie antreibt. Sie alle kandidieren bei den Senatswahlen in Berlin für das Abgeordnetenhaus.
Katharina Becker – CDU
Warum gerade die CDU und nicht eine andere Partei?
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas zu entscheiden, das sofort umgesetzt wird: Was würden Sie gerne so schnell wie möglich in Berlin verändern?
Was macht das Lebensgefühl in Berlin für Sie aus?
Was ist nötig, damit es in Berlin gut gelingt, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen ein eigenständiges Leben in Deutschland zu ermöglichen?
Wie überzeugen Sie andere, sich auch politisch zu engagieren?
Derya Caglar – SPD
Warum gerade die SPD und nicht eine andere Partei?
„Die SPD ist meine politische Heimat, da die SPD versucht, allen Kindern, egal welche Herkunft und aus welchem sozialen Umfeld sie kommen, die gleichen Chancen zu geben. Sei es auf dem ersten Bildungsweg oder auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe hier in Berlin die Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs selbst nutzen können. Dies wäre ohne die Politik der SPD nicht möglich gewesen.”
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas zu entscheiden, das sofort umgesetzt wird: Was würden Sie gerne so schnell wie möglich in Berlin verändern?
„Mein Schwerpunkt ist Bildung und Chancengleichheit. Wenn ich könnte, würde ich sofort alle Bildungseinrichtungen sanieren. Von der Kita bis zur Hochschule würden alle notwendigen Mittel freigesetzt werden. Ich würde Programme aufsetzen, um auch Kinder aus Familien aufzufangen, deren Eltern die dadurch entstanden Bildungsprogramme nicht nutzen wollen. Nicht durch Zwang, sondern durch Aufklärung und Begleitung.”
Was macht das Lebensgefühl in Berlin für Sie aus?
„Berlin ist so viel! Um es mit den Worten des aktuellen SPD-Wahlkampfes in Berlin zu sagen: Frei, weltoffen, menschlich und gradlinig. Kaum eine Stadt der Welt blickt auf so eine bewegte, jüngere Geschichte zurück. Das Brandenburger Tor wurde weltweit zu einem Zeichen der Freiheit, Touristen aus aller Welt lieben die offene Art, trotz der Größe erlebe ich viel Menschlichkeit und Engagement in den Kiezen und die manchmal ruppige, aber gradlinige Berliner Schnauze gibt der Stadt ihren Charme. Lebenswert, im Großen und im Kleinen – dit is Berlin für mich!”
Was ist nötig, damit es in Berlin gut gelingt, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen ein eigenständiges Leben in Deutschland zu ermöglichen?
„Auch hier sind wir wieder beim Thema Bildung. Geflüchtete müssen die Chance haben, schnellstmöglich die deutsche Sprache zu erlernen. Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Kinder müssen schnellstmöglich auf ein Sprachniveau gebracht werden, das ihnen den Besuch einer regulären Schule erlaubt. Natürlich muss auch die Verwaltung dahingehend optimiert werden, schnelle Asylentscheidungen zu treffen. Der aufenthaltsrechtliche Status des Einzelnen muss schnellstmöglich geklärt werden. Die Integration kann außerdem nur gelingen, wenn Geflüchtete nicht monatelang ,unter sich‘ unter suboptimalen Bedingungen in Flüchtlingsheimen leben müssen. Auch hierfür müssen Lösungen her. Lösungen, bei denen sich deutsche Staatsbürger nicht benachteiligt fühlen, um Neid und daraus resultierendem Rassismus vorzubeugen.”
Wie überzeugen Sie andere, sich auch politisch zu engagieren?
„Kritik üben kann jeder! Ich versuche den Menschen zu zeigen, dass Sie gerade auf kommunaler Ebene etwas bewirken können. Der Bau einer Straße, der Fußgängerüberweg, das Bepflanzen eines Parks oder die Ausstattung der städtischen Schule wird nicht im Bundestag entschieden. Das passiert durch die Menschen und Politiker vor Ort. Viele Kommunalpolitiker haben ein offenes Ohr, sind Mitglied in Vereinen und hören auf ihre Nachbarschaft. Wer etwas bewegen will, kann etwas bewegen.”
June Tomiak – Bündnis 90 die Grünen
Warum gerade die Grünen und nicht eine andere Partei?
„Die Grünen verbinden für mich Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Grundsätze wie Gleichberechtigung, Menschenrechte und Respekt voreinander sind konsens, was mir besonders wichtig ist.”
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas zu entscheiden, das sofort umgesetzt wird: Was würden Sie gerne so schnell wie möglich in Berlin verändern?
„Die Mitbestimmungsmöglichkeiten von jungen Menschen in Berlin würde ich gerne stärken. Ich fände es gut, wenn beispielsweise bei der Stadtentwicklung auch junge Perspektiven auf die Veränderungen gehört werden würden.”
Was macht das Lebensgefühl in Berlin für Sie aus?
„Berlin macht aus, dass es so vielfältig ist. Dass es nie schläft, aber nachts trotzdem wie leer erscheint. Dass unsere Spießigkeit ist, den Unterschieden ihren Platz einzuräumen. Dass es immer wird und nie ist. Dass Berlin Berlin bleibt, obwohl es schon wieder ganz anders ist.”
Was ist nötig, damit es in Berlin gut gelingt, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen ein eigenständiges Leben in Deutschland zu ermöglichen?
„Gute Bildung, bezahlbarer Wohnraum und soziale Teilhabe an unserer Gesellschaft. Und das alles, sobald die Menschen hier sind und nicht erst nach jahrelangem Behördenchaos.”
Wie überzeugen Sie andere, sich auch politisch zu engagieren?
„Meistens muss man sie gar nicht überzeugen, sondern nur zeigen, wie und wo das gut geht. Ob es dann auch eine Partei oder ein Verein oder in eine Initiative oder alles oder nichts davon wird, das kommt ganz darauf an, wofür man sich engagieren will und wie viel Kraft und Zeit man grade dafür hat. Politisches Engagement kann ja ganz verschieden aussehen.”
Tara Vonessen – die LINKE
Warum gerade die die Linke und nicht eine andere Partei?
„Die Linke vereint den Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und gegen kriegerische Auseinandersetzungen. Für mich bedeutet das ein gerechtes, tolerantes und weltoffenes Deutschland. Die Linke fordert nicht nur Geschlechtergerechtigkeit, sie setzt sie auch gleich in ihrer Partei um: durch unsere quotierten Listen werden (junge) Frauen ermutigt, sich in der Politik für ihre Rechte und die aller anderen Benachteiligten einzusetzen.”
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas zu entscheiden, das sofort umgesetzt wird: Was würden Sie gerne so schnell wie möglich in Berlin verändern?
„Das in Deutschland so große Defizite im Bereich Gleichberechtigung herrschen, ist absolut inakzeptabel. Es wird Zeit, dieses Problem anzugehen, statt es weiter zu ignorieren! Ein möglicher Schritt wäre gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit im Öffentlichen Dienst. Die sogenannten „Frauenberufe“ müssen dringend eine Aufwertung erfahren. So könnte man dem großen durchschnittlichen Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen entgegenwirken. Ein weiterer Schritt in diesem Prozess ist, dass alle Familien einen kostenlosen Zugang zu flexibler Kinderbetreuung haben, sodass es beiden Elternteilen möglich ist, Vollzeit zu arbeiten. Eine kompetente Betreuung mit ausreichend gut ausgebildetem Personal ist für die moderne, gleichberechtigte Familie von essenzieller Bedeutung.”
Was macht das Lebensgefühl in Berlin für Sie aus?
„Während ich diese Frage mit meinem Freund in der S-Bahn diskutiere, schaltet sich die junge Frau, die uns gegenüber sitzt, ins Gespräch ein. Wir einigen uns darauf, dass Berlin weltoffen und vielfältig ist – und die Stadt vor Lebensfreude förmlich sprüht. Aber auch stellen wir fest, wie viele Probleme es eigentlich gibt – Armut, Verdrängung und soziale Ausgrenzung.
Doch genau dieses Erlebnis beschreibt für mich eigentlich am Besten, was das Berliner Lebensgefühl auszeichnet.”
Was ist nötig, damit es in Berlin gut gelingt, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen ein eigenständiges Leben in Deutschland zu ermöglichen?
„Gelungene Integration kommt nicht von selbst. Gelungene Integration ist harte Arbeit. Und die muss vom Land Berlin mitgetragen werden! Nur durch Begegnung ist Integration überhaupt möglich. Um Begegnung zu ermöglichen, ist es wichtig, qualifiziertes Personal und Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. In dem man den Anwohnern die Möglichkeit gibt, ihre neuen Nachbarn persönlich kennenzulernen, kann man Menschen die Angst vor den für sie ,Fremden‘ nehmen – dann sind Geflüchtete nämlich nicht mehr einfach nur ,die Fremden‘, sondern die netten Nachbarn von neben an, die eine tragische Geschichte erlebt haben.”
Wie überzeugen Sie andere, sich auch politisch zu engagieren?
„Erstens versuche ich bei meinen Mitmenschen ein Bewusstsein zu schaffen, was eigentlich alles in der Welt verkehrt läuft, und wie viel Ungerechtigkeit es in der Welt gibt, die man ändern könnte. Zweitens versuche ich meine Mitmenschen zu motivieren, ihren Horizont zu erweitern und sich politisch zu bilden. Der dritte und wichtigste Punkt ist, andere zu ermutigen, selbst für ihre Rechte und die von anderen Benachteiligten zu kämpfen. Auch das Frauenwahlrecht war mal nicht mehr als eine unmöglich scheinende Idee.”
Josephine Dietzsch – FDP
Warum gerade die FDP und nicht eine andere Partei?
„In meiner Familie gehört es dazu, dass man sich engagiert, politisch bildet und auch Partei ergreift – im wahrsten Sinne des Wortes. Als ich nach der Schule zuhause auszog, habe ich nach neuen Möglichkeiten gesucht, mich einzubringen. Angefangen hat es an der Hochschule in der Studierendenvertretung und so kam dann eins nach dem anderen: Ich wurde Mitglied bei den Jungen Liberalen. Allerdings ging ich erst viel später einen Schritt weiter und trat in die Partei selbst ein, denn ich erkannte, dass politische Veränderungen nicht ohne die Parlamente von statten gehen können.
In meinen Augen sollte der Staat dafür sorgen, dass jeder Mensch sein Leben frei und mündig gestalten kann. Ich möchte, dass alle in Freiheit und Verantwortung leben können, wobei natürlich nicht die Freiheit über der Verantwortung stehen darf. Diese Grundsätze finde ich bei den Liberalen wieder. ,Wir lassen die Menschen in Ruhe, aber nicht im Stich.‘, formulierte es Christian Lindner einmal.”
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas zu entscheiden, das sofort umgesetzt wird: Was würden Sie gerne so schnell wie möglich in Berlin verändern?
„Was für eine schwierige Frage! Als Studentin denke ich da sofort an die Hochschulpolitik, als Mutter an die Bildung- und Betreuungseinrichtungen und die Gesundheitspolitik und als Bürgerin Berlins an die chaotischen Zustände der Behörden und besonders an den angespannten Wohnungsmarkt. Sollte ich die Möglichkeit haben, würde ich den Wohnungsmarkt verändern wollen – auch wenn das wohl ein frommer Wunsch ist, denn es ist ein hochkomplexes Thema: Baupolitik, Stadtentwicklung, Sozialpolitik und noch viel mehr spielen dabei eine Rolle. Sollten wir es schaffen, diese Konflikte zu lösen, haben wir viel erreicht!”
Was macht das Lebensgefühl in Berlin für Sie aus?
„Berlin gibt mir das Gefühl, dass alles jederzeit möglich ist und dass jede*r eine passende Nische findet. Jede*r findet mit seiner oder ihrer Lebensphilosophie einen Platz in der Stadt – von Pankow über Neukölln bis Wannsee: Das Leben in Berlin ist vielfältig und bietet ein Stück der Freiheit, die ich mir für alle wünsche.”
Was ist nötig, damit es in Berlin gut gelingt, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen ein eigenständiges Leben in Deutschland zu ermöglichen?
„Kurzfristig und für den Moment braucht es handfeste Dinge und Beschlüsse: Es gibt besonders schutzbedürftige Personengruppen, die getrennte Unterkünfte brauchen, wie Frauen, die allein flüchten mussten, oder homosexuelle und transgeschlechtliche Geflüchteten. Ein direkter Zugang zu formeller und informeller Bildung muss geöffnet werden. Für alle muss das Arbeiten vom ersten Tag möglich sein, dazu braucht es auch qualifizierte Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder. Insbesondere muss der derzeitige Umgang mit minderjährigen Geflüchteten mit politischen Willen überdacht und geändert werden.
Meiner persönlichen Meinung nach, bedarf es mittel- und langfristig dazu nicht nur ein modernes Einwanderungsgesetz. Menschen, von denen wir erwarten, dass sie sich integrieren, sollten auch eine Perspektive in Deutschland sehen. Ich kann mich in keiner Wohnung zuhause fühlen und mich einrichten, wenn ich weiß, dass ich bald wieder ausziehen muss.”
Wie überzeugen Sie andere, sich auch politisch zu engagieren?
„Wem fällt nicht etwas ein, dass sie oder er total nervig und ätzend findet? Seien es die Ladenöffnungszeiten, die langen Wartezeiten auf dem Bürgeramt, der Erhalt kleiner nachbarschaftlicher Projekte wie dem Himmelbeet im Wedding oder ‚einfach’ weil man sich als junger Mensch Zukunftsthemen nicht nur der älteren Generationen überlassen möchte. Daran zu erinnern und zu zeigen, wie man etwas verändern kann, bewegt hoffentlich Menschen sich zu engagieren.”
Hinweis: Im Rahmen der Interviews wurde auch ein Parteimitglied der AfD angefragt, allerdings bekamen wir hier keinerlei Rückmeldung.
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