Die Autorin Anna Dushime steht im Gegenlicht, trägt einen schwarzen Kapuzenpullover und blickt in die Kamera.
Foto: Pako Quijada

Warum ich meine Angst vor Abschieden ablegen möchte

Im Brief an ihren Vater reflektiert unsere Kolumnistin Situationen, in denen sie sich verabschieden musste. Hat sie das Abschiednehmen verlernt?

Lieber Papa,

diese Kolumne ist die leichteste und schwerste gewesen. Leicht, weil ich sofort wusste, wem ich sie widmen würde und schwer, weil es um Abschied geht. Abschied ist ein Wort, bei dem ich sofort einen Kloß im Hals habe. Und egal, wie wir heute zu Xavier Naidoo stehen, die Melodie seines Liedes ist augenblicklich in meinem Kopf.

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Kolumne von Anna Dushime vorlesen lassen? Los geht’s!

Ich glaube, ich kann behaupten, dass es wenig Menschen gibt, die Abschiede mögen oder sogar lieben. Warum auch? Abschied – zumindest von geliebten Menschen – ist immer ein trauriger und schwerer Anlass. Trotzdem haben wir verinnerlicht, dass Abschiede wichtig sind. Sie helfen uns dabei, abzuschließen, neudeutsch „Closure zu haben“. Unter gewöhnlichen Umständen habe ich überhaupt kein Problem mit Abschieden. Weil sie zum Leben dazugehören und nicht zwingend endgültig sein müssen.

Abschied und Abschluss

Als wir nach Deutschland zogen, fiel mir der Abschied von allen Tanten, meinen geliebten Cousinen und Nachbarn nicht leicht. Ich habe am Flughafen viel geweint, trotzdem wusste ich, dass es ein Wiedersehen geben würde.

„Ich habe Angst, mich mit dem Thema Abschied auseinanderzusetzen, weil ich befürchte, dass diese Quelle nicht versiegender Trauer mein Leben bestimmen würden.“

Beim Tod sieht es anders aus. Ich konnte mich nicht von dir verabschieden. Und auch nicht von Tante Stephanie, Tante Muderi, von meinen Großeltern, und und und. Ich hab mich damit abgefunden, aber natürlich sitzt der Schmerz sehr tief. Ich habe meinem Therapeuten mal gesagt, dass ich Angst habe, mich damit auseinanderzusetzen, weil ich befürchte, dass dieses Fass und diese Quelle nicht versiegender Trauer mein Leben bestimmen würden. Aber was habe ich davon, wenn die Angst vor der Auseinandersetzung mit Abschieden mein Leben bestimmt?

Abschied hat einen Nutzen. Er ermöglicht einen würdigen und kontrollierten Abschluss. Das sagt mir als absoluter Kontrollfan natürlich sehr zu. Habe ich vielleicht doch ein Problem mit Abschieden? Mit großen Abschieden auf jeden Fall, aber wie ist es mit den kleinen, immer wiederkehrenden? Kann ich mich leicht von Menschen, Kapiteln meines Lebens und Dingen, die mir mal wichtig waren, trennen? Bisher hätte ich diese Frage mit Ja beantwortet. Beispiel: Als ich nach dem Abitur für ein Praktikum wieder zurück in mein Geburtsland Ruanda zog, fiel mir der Abschied von Deutschland und von meinen Freund*innen überhaupt nicht schwer. Als ich mich nach sieben Monaten wieder auf den Weg nach Deutschland machte, fiel mir der Abschied von Ruanda auch nicht schwer. Das war 2008.

Habe ich verlernt, Abschied zu nehmen?

Seit einigen Jahren sind die Abschiede in meinem Leben allerdings deutlich weniger geworden. Woran könnte das liegen? Hier ist meine Vermutung: Ich lebe seit zehn Jahren ununterbrochen in Berlin, habe seit zweieinhalb Jahren den gleichen Job und den Großteil meiner Freund*innen kenne ich seit fünf Jahren oder länger. So viele Abschiede gibt es nicht mehr in meinem Leben. Keine Freund*innen, die für einen neuen Job irgendwo hinziehen oder ein Erasmusjahr beginnen.

„Ich habe meinen Abschiedsmuskel schon lange nicht mehr bewegt und schon gar nicht trainiert. Ich glaube, es gab in letzter Zeit so wenige Abschiede, dass ich verlernt habe, Abschied zu nehmen.“

Ich habe meinen Abschiedsmuskel schon lange nicht mehr bewegt und schon gar nicht trainiert. Ich glaube, es gab in letzter Zeit so wenige Abschiede, dass ich verlernt habe, Abschied zu nehmen. Oder gehe ich bewusst keine tiefen Bindungen ein, damit ich im Fall der Fälle auch nicht mehr verabschieden muss? Das wäre fatal und kann auch nicht stimmen, wenn ich mir einige neue, sehr intensive Freundschaften der letzten Jahren anschaue.

Distanz ist auch keine Lösung

Während ich diese Zeilen schreibe, fliegt ein Mensch, der mir sehr viel bedeutet, in ein paar Stunden für einige Wochen weg. Eigentlich überhaupt nicht schlimm, aber weil ich Abschieden, wann immer ich kann, aus dem Weg gehe, weiß ich gerade überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Mit zum Flughafen fahren kommt nicht in Frage, ich hasse die Dramatik an Flughäfen. Einfach Tschüss sagen und nach Hause fahren geht aber auch nicht. Also zögern wir den Abschied hinaus. Frühstücken lange im Bett und lachen über alte Serien-Insider (alles aus Kir Royal). Vorgestern fiel mir auf, dass ich mich sogar von dieser Person distanzierte. Damit der Abschied nicht so schwer fällt. Das ist unglaublich menschlich und unglaublich bescheuert. Also habe ich das angesprochen und wer hätte es gedacht, das allein nahm mir schon etwas von meiner Angst.

„Ich habe Angst, zu vermissen, weil ich Angst vor meinen Gefühlen habe und davor, dass sie mich überfordern.“

Statt mir die Wochen vollzuhauen, um ja nicht an die Person zu denken und sie zu vermissen, werde ich das zulassen. Ich habe Angst, zu vermissen, weil ich Angst vor meinen Gefühlen habe und davor, dass sie mich überfordern. Aber Vermissen gehört zum Abschiednehmen dazu. Egal ob der Abschied groß oder klein, temporär oder final ist. Ich habe beschlossen, in kleinen Schritten meine Angst davor abzubauen. Denn viel schlimmer als der Abschied ist die ständige Angst davor.

Bye – Wie wir Abschied nehmen und was wir dafür brauchen.

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