Foto: Wikimedia Commons I National Archives and Records Administration

Führen lange Babypausen zu weniger Lust auf Karriere?

Ja, sagen Soziologen der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre gerade veröffentlichte Studie belegt: Besonders während langer Baby-Auszeiten sinkt das Interesse von Frauen, ins Arbeitsleben zurückzukehren. Woran das liegt? Wir haben nachgefragt.

 

Mütter in Deutschland sehen für ihr Berufsleben schwarz

In der internationalen Forschung, so schreiben Markus Gangl und Andrea Ziefle von der Goethe-Universität Frankfurt, habe sich bereits angedeutet, dass relativ kurze Auszeiten von einem bis anderthalb Jahren zu einer besseren Integration von Müttern in den Arbeitsmarkt führen. Dauere die Auszeit länger, würden die Nachteile für die Mütter überwiegen. Als Grund dafür galten bisher vor allem die Arbeitgeber, die Mütter nach der Rückkehr aus einer langen Babypause oft aufs Abstellgleis schicken. Die neue Studie aus Frankfurt belegt jetzt: Es liegt nicht nur an den Arbeitgebern.

Dazu passt übrigens auch eine weitere Studie, die zeigt, dass Frauen in Deutschland nicht wirklich daran glauben, dass sie ihre Karriere mit Kindern vereinbaren können: Nur 21 Prozent gehen davon aus, dass das möglich ist, das ergab eine Umfrage der Thomson-Reuters-Stiftung und der Rockefeller-Stiftung in den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern. Nur in Japan sind die Frauen noch pessimistischer. Nach Ansicht der Weltbank-Expertin Henriette Kolb sind es vor allem die fehlenden Betreuungmöglichkeiten, die bei deutschen Frauen zu so viel Skepsis führen. In Schwellenländern wie Brasilien, wo viel mehr Frauen positiv auf die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere blicken, könnten Eltern viel stärker auf Unterstützung durch Verwandte bauen. Die „Welt“ zitiert in ihrer Berichterstattung über die Studie eine Karriere-Coachin aus Berlin folgendermaßen: „Sobald eine Frau länger als 18 Monate aus dem Job ist, ist ihre Karriere häufig vorbei. Dann kann sie in der Regel nicht mehr an ihren alten Arbeitsplatz zurück.

Eins scheint also klar: Wenn der Staat Eltern lange Auszeiten nach der Geburt eines Kindes ermöglicht, befeuert er damit das Fortleben traditioneller Rollenmuster. Oder? Wir haben mit Professor Markus Gangl gesprochen, der gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea Ziefle die Studie über den Zusammenhang zwischen langen Auszeiten und Karriereorientierung von Frauen im renommierten „American Journal of Sociology” veröffentlicht hat.

Bild: Uwe Dettmar

Der
Titel Ihres Aufsatzes ist „The Making of a Good Woman“ – wie
ist das gemeint?

„Wir
haben bewusst nach einem doppelbödigen Titel gesucht, über den sich
unsere Leser und Leserinnen Gedanken machen und der gleichzeitig
andeutet, dass unsere Ergebnisse durchaus doppelbödig und
zweischneidig sind. Wir finden ja nicht nur, dass längere Auszeiten
zu einer geringeren Karriereorientierung führen, also es für Frauen
unwichtiger wird, sich beruflich selbst zu verwirklichen; sondern wir
finden vielmehr, dass gerade die Familienpolitik, im konkreten Fall:
mit Einführung des dreijährigen Erziehungsurlaubs im Jahr 1992,
indirekt immer auch die subjektiven Erwerbsorientierungen, vor allem
von Müttern, mit beeinflusst.

Was
ist mit subjektiver Erwerbsorientierung gemeint?

„Damit
meinen wir, wie wichtig einer Frau es ist, selbst berufstätig zu
sein. Und unsere Studie zeigt: Dadurch, dass die Politik den maximal
möglichen Erziehungsurlaub auf drei Jahre verlängert hat, hat sie
dafür gesorgt, dass die Jobpausen von Frauen, die Kinder bekommen,
sich verlängern. Frauen kehren dadurch langsamer in die
(Vollzeit-)Erwerbstätigkeit zurück, weil es dann – obwohl der
gesetzliche Erziehungsurlaub ja eigentlich zu Ende ist – nach drei
Jahren, oder vielleicht sogar nach einer zweiten Geburt nach fünf
oder sechs Jahren, irgendwie gar nicht mehr so wichtig ist, selbst
wieder (voll) erwerbstätig zu sein.

Warum
ist das nicht mehr so wichtig?

„Vielleicht
funktioniert das Familienleben gerade ganz prima (im besten Fall
natürlich), oder man wartet mit dem Wiedereinstieg lieber noch etwas
ab, weil man erst einmal sehen will, wie sich die Kinder an
Kindergarten oder Schule gewöhnen – Kita war damals ja eher
ohnehin nicht vorhanden, zumindest in den alten Bundesländern –
und gleichzeitig rutscht eben die eigene Erwerbstätigkeit in der
Prioritätenliste eher nach hinten, mit allen mittel- und
langfristigen Konsequenzen für den eigenen Status innerhalb der
Paarbeziehung oder auch für die eigenständige Absicherung in der
Rente, die damit bekanntermaßen einhergehen.“

Und
was bedeutet das?

Nun,
man könnte vielleicht sogar sagen, soweit so gut, aber wo ist das
Problem, so ist eben das Leben – und wer sich für eine lange
Erziehungspause entschieden hat, sollte selbst am besten
wissen, was er tut, und wird schon seine privaten Gründe
dafür gehabt haben. Das stimmt schon, aber wir beobachten eben, dass
die Familienpolitik – gewollt oder ungewollt – in diese privaten
Überlegungen hineinspielt, weil sie lange Pausen unterstützt und
damit – ganz wichtig: bei familienorientierten und bei
erwerbsorientierten Frauen! – indirekt in Kauf nimmt, dass sich für
die oder den Einzelnen unerwartete Nebenwirkungen einstellen, im Fall
des langen Erziehungsurlaubs zum Beispiel die nach langer Pause auch
gesunkene subjektive Erwerbsorientierung – die eigene
Berufstätigkeit wird also als zunehmend unwichtiger empfunden.
Insofern hilft die alte Familienpolitik in der Bundesrepublik bis
2007, Mütter eindeutig angepasst-,braver

und stärker in ihrer traditionellen Rolle verhaftet zu halten, und
genau darauf bezieht sich das ,good’ in unserem Titel. Wir gehören
nicht zu den Sozialwissenschaftlern, die ihre wissenschaftliche
Tätigkeit durch das beständige Fällen moralischer Urteile über
andere definieren.“

In
Ihrer Pressemitteilung schreiben Sie: „Die Studie zeigt erstmalig:
Familienpolitik hat nicht nur Einfluss auf das ökonomische Verhalten
von Familien. Es sind auch die normativen Signale, die ausgesandt
werden und die individuellen Lebensentwürfen wohl unbewusst
beeinflussen“. Ist damit gemeint, dass, weil in Deutschland drei
Jahre Erziehungsurlaub möglich sind, sich unterbewusst der Gedanke
„einschleicht“, dass das sozusagen „normal“ ist, so lange
wegzubleiben?

„Genau
so ist es gemeint, ,einschleichen’ trifft es exakt. Wir sehen in
unseren Daten, dass das Interesse an einer eigenen Berufstätigkeit
mit zunehmender Zeit außerhalb des Jobs nachlässt, Schritt für
Schritt, und gar nicht in besonders dramatischen Sprüngen oder
Entwicklungen – aber mit einer dreijährigen Auszeit verschafft der
Gesetzgeber den Müttern in Deutschland eben auch sehr viel Zeit,
damit sich der Gedanke ,einschleichen’ kann, dass die eigene
Erwerbstätigkeit gar nicht so wichtig ist und dass man plötzlich
eben gedanklich wirklich recht weit aus der Arbeitswelt ,draußen’
ist. Und schon hat es die Familienpolitik geschafft, die Mütter von
der Arbeit zu ,entwöhnen’ . Und ,normal’ trifft es auch gut,
das ist nämlich, was in der zweiten Gruppe von Müttern passiert,
über die wir noch gar nicht gesprochen haben: diejenigen, die vor
der Geburt gar nicht erwerbstätig waren, also die klassischen
Hausfrauen – ein paar gibt es ja schon noch, und in den 1990ern war
das sogar die Mehrheit der neuen Mütter! Man könnte ja vielleicht
meinen, dass ihnen die Elternzeit erst einmal relativ egal sein
dürfte, schließlich haben sie gar keinen Job, in den sie
zurückgehen könnten.“

Aber
das ist wider Erwarten nicht so?

„Nein,
weit gefehlt: Mit dem dreijährigen Elternurlaub sind auch diese
ohnehin schon eher familienorientierten Frauen (noch)
familienorientierter geworden, was wir so interpretieren, dass sie
sich in ihrem Lebensentwurf bestätigt und bestärkt gefühlt haben,
wenn ,alle’, also auch die erwerbstätigen Frauen, nun eine lange
Familienphase einlegen.

Ihre
Kollegin Andrea Ziefle, mit der Sie gemeinsam die Studie
veröffentlicht haben schreibt: „Aus einer anderen Studie, die wir
im vergangenen Jahr veröffentlicht haben, wissen wir, dass Mütter
durch das neue Elterngeld schneller wieder in ihren Beruf
zurückgekehrt sind“. Warum hatte das neue Elterngeld diesen
Effekt?

„Sehr
einfach: weil Sie das neue Elterngeld nur noch maximal zwölf Monate
bekommen, statt zuvor 24 Monate Erziehungsgeld beziehungsweise sogar
36 Monate mit zusätzlichem Landeserziehungsgeld, das es in einigen
Bundesländern gab. Die finanziellen Anreize für kürzere Pausen
sind damit sehr eindeutig, und ein Teil der Mütter, nicht alle
natürlich, hat darauf reagiert, vermutlich vor allem besser
Qualifizierte und diejenigen, bei denen die örtliche Kinderbetreuung
bereits besser ausgebaut war. Das sind nur Vermutungen, das haben wir
in der Veröffentlichung aus dem letzten Jahr so nicht explizit
untersucht. Und mit unseren neuen Ergebnissen könnten wir
hinzufügen: Und vermutlich spielt es eine Rolle, dass die
Familienpolitik durch das Elterngeld und den Kita-Ausbau klar
signalisiert hat, dass sie kürzere Babypausen fördern möchte und
das auch bei den Frauen angekommen ist.“

Gibt
es Daten dazu, woran es liegt, dass bei Frauen, die lange pausieren,
die Karriereorientierung sinkt? Wurde mit einbezogen, dass es
womöglich besonders Frauen sind, die lange aussteigen, die
ohnehin nicht sehr karriereorientiert sind und deswegen die lange
Pause machen? Sprich, die karriereorientierten Frauen steigen erst
gar nicht so lange aus?

Sie
haben völlig Recht, dass es entscheidend ist, zu fragen, ob nicht
einfach die vergleichsweise familienorientierten Frauen lange Pausen
machen, so dass es dann auch wenig überraschend wäre, wenn
diejenigen Frauen, die lang pausiert haben, vergleichsweise
familienorientiert sind. Oder anders ausgedrückt: dass es nicht zu
einer tatsächlichen Veränderung durch die Babypause kommt, sondern
dass nur bestimmte Frauen Elternzeit nehmen beziehungsweise Mutter
werden. Sie können sicher sein, dass wir diesen Punkt berücksichtigt
haben und Sie dürfen auch sicher sein, dass wir unsere Studie nicht
in der ältesten und gleichzeitig einer der beiden weltweit
wichtigsten Zeitschriften unseres Fachs hätten publizieren können,
wenn wir unsere Gutachter und Gutachterinnen nicht genau von diesem
Punkt hätten überzeugen können. Also ganz explizit: Nein, wir sind
sicher, dass der Erziehungsurlaub im Durchschnitt, also natürlich
nicht notwendigerweise in jedem einzelnen Fall, zu einer Veränderung
der persönlichen Prioritäten führt, und dass diese Veränderung
durch den dreijährigen Erziehungsurlaub in Richtung auf stärkere
Familienorientierung der Frauen verstärkt wurde.“

Mit
welcher Frage oder welchen Fragen wurde eigentlich konkret nach
Familien-/ und Karriereorientierung geforscht?

„Die
Befragten werden direkt nach ihren persönlichen Lebenszielen
gefragt. Also ganz konkret so etwas wie: ,Wie wichtig ist es für Sie
persönlich …a) sich etwas leisten zu können, b) eine glückliche
Ehe/Partnerschaft zu führen, c) Kinder zu haben, d) sich selbst zu
verwirklichen, e) Erfolg im Beruf haben, f) für andere da sein und
so weiter, mit Antworten von ,sehr wichtig’ bis ,ganz unwichtig’.
Aus allen diesen Angaben haben wir mittels eines etwas komplexeren
statistischen Verfahrens eine Skala der Stärke der persönlichen
Erwerbs- beziehungsweise. Familienorientierung erzeugt, deren
Veränderung über die Zeit wir dann in den wiederholten Befragungen
beobachten konnten.“

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