Narben verschwinden nicht. Sie erzählen Geschichten von Mut, Heilung und Neuanfang. Beim „Shine & Share“-Event des Buusenkollektivs werden Narben nach Brustkrebs-Operationen sichtbar gemacht, um Tabus zu brechen und echte Bilder, echte Erfahrungen und echte Stärke zu teilen.
Am Nachmittag des 24. April 2025 herrscht eine fast magische Atmosphäre im Survivors Home in Berlin Wilmersdorf. Das Survivors Home ist ein Ort, der Krebsbetroffenen und ihren Angehörigen Gesprächsmöglichkeiten in einem geschützten Raum bietet. Das wird auch an diesem Tag unmittelbar spürbar. Rechts vom Eingang steht ein langer Holztisch, an dem bereits einige Frauen sitzen und sich miteinander unterhalten. Wie bei jeder guten Party tummeln sich zu Beginn die meisten Gäste in der Küche, schenken sich ein erstes Getränk ein, stellen einander vor, kommen schnell ins Gespräch.
Viele kennen das Buusenkollektiv, das wichtige Kampagnen, ein wertvolles Netzwerk und die Gesprächsreihe Shine & Share ins Leben gerufen hat. Aber es sind auch einige Besucherinnen anwesend, die zum ersten Mal dabei sind. Eine junge Mutter erzählt mir, dass sie aus Hamburg angereist ist, um heute endlich einmal persönlich dabei zu sein, in den Austausch zu kommen und Fragen an die Expert*innen zu stellen. Und davon gibt es an diesem Abend eine ganze Reihe.
Das Buusenkollektiv
Das Buusenkollektiv ist ein gemeinnütziger Verein von Betroffenen für Betroffene, der sich für einen offenen, lebensbejahenden und solidarischen Umgang mit Brustkrebs einsetzt. Gegründet wurde das Kollektiv von Frauen, die selbst an Brustkrebs erkrankt sind oder waren. Ziel ist es, Mut zu machen, Gemeinschaft zu schaffen und Angebote zu entwickeln, die die Lebensqualität vieler Betroffener verbessern.
Das Buusenkollektiv hat an diesem warmen Aprilnachmittag zum „Shine & Share“-Event geladen. Es ist kein gewöhnliches Treffen. Hier geht es um Sichtbarkeit. Um Vernetzung. Und darum, Narben nicht nur als körperliche, sondern auch als seelische und zum Leben gehörende Spuren anzuerkennen: Let Your Scars Shine.
„Die Ärzte nähen zu, sagen, es wird heilen. Aber wer kümmert sich danach? Wenn der Körper wieder funktioniert, aber das Herz sich wund anfühlt?“
Rhea Seehaus und Steff Rödl, Vorständinnen des Buusenkollektivs, eröffneten den Abend. Sie sprachen über das Ziel des Vereins, neue und positive Formen der Selbsthilfe zu schaffen. Das Thema Krebs und die Narben, die die Krankheit hinterlässt, gehören raus aus der Tabu-Ecke, und das Projekt „Let Your Scars Shine“ ist ein Herzstück dieser Arbeit.
Großformatige Fotos von beeindruckenden Frauen, die ihre Narben selbstbewusst zeigen, sind in Staffeleien gespannt, sie stehen überall. Die hier abgebildeten Frauen sind zum Teil selbst anwesend und hören aufmerksam zu, während Rhea die Zeilen aus dem Tagebuch einer Betroffenen vorliest und das Thema das Abends damit auf sehr bewegende Weise zusammenfasst: unsere Narben.
„Diese Narben, die erwarteten und die zusätzlichen, sie sind mehr als Linien auf der Haut. Sie sind Spuren von etwas, das niemand sieht, wenn ich ein T-Shirt trage. Und doch sind sie da, jeden Tag. Sie fragen nicht, ob du bereit bist. Sie fragen nicht, ob du das tragen kannst. Sie bleiben einfach.
Die Ärzte nähen zu, sagen, es wird heilen. Aber wer kümmert sich danach? Wenn der Körper wieder funktioniert, aber das Herz sich wund anfühlt. Wenn ich morgens in den Spiegel sehe und nicht weiß, ob ich mich wiedererkenne. Und wer, wer kümmert sich dann um das Sichtbare?
Ich. Ich ganz allein. Neue Informationen. Dank meiner Buusenfreundin. Ich habe gelernt, meine Narben selbst zu halten. Zu versorgen, was man nicht sieht. Ich bin nicht freiwillig hierher gekommen. Aber ich bin hier. Und obwohl die Narben bleiben, bleibe auch ich. Ich bleibe bei mir.“

Roundtable: Dialog auf Augenhöhe
Narben erzählen von Überleben, von Mut, von Schmerz und Neuanfang. Manche Frauen tragen ihre Narben mit Stolz, andere brauchen viel Zeit, um sie als Teil ihrer Geschichte anzunehmen. Der Abend beginnt mit einem Roundtable. Hier sitzen nicht nur Betroffene, sondern auch Expert*innen: Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer, Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Brustzentrum der Charité, Dr. med. Raphael Reinemer, Facharzt Rekonstruktive Brustchirurgie (Charité), Esther Wiedemann, Funktionsleitung, Breast Care Nurse (Charité), Dr. rer. medic. Martina Preisler, Dipl.-Psychologin, Psychoonkologie (Charité), Dr. Negin Karimian, Fachärztin für Dermatologie, Venerologie & Allergologie (Charité).
Außerdem: die Osteopathin Eva Papouschek mit Spezialisierung auf Narben, die Content Creatorin Svenja Fuchs und Dr. Friederike Schmidt von Gilead. Und auch wir von EDITION F waren Teil des Runden Tisches, um über die Berichterstattung rund um Brustkrebs und Narbenversorgung zu sprechen. Es entwickelte sich ein offener, ehrlicher Austausch rund um Aufklärung im Vorfeld von Operationen, um Narbenpflege, die oft „keine Kassenleistung“ ist, wie Dr. Negin Karimian erklärt. Aber vor allem sprechen wir über das, was oft zu kurz kommt: die emotionale Begleitung, große Unsicherheiten und die Sehnsucht nach Sichtbarkeit.
Es fehlen konkrete Bilder und Erfahrungsberichte
Einige Frauen erzählen an diesem Abend, wie wenig sie im Vorfeld auf das Aussehen und die Auswirkungen der Narben vorbereitet wurden. Es fehlten konkrete Bilder, Erfahrungsberichte, ehrliche Worte – stattdessen blieben häufig Unsicherheit und Angst. Die medizinische Nachsorge sei oft eine Art Flickenteppich. Die Patientinnen müssen sich selbst kümmern, experimentieren, aushalten. Taubheit, Spannungsgefühle, Bewegungseinschränkungen – das alles bleibe häufig Privatsache. Nur bei Komplikationen wie hypertrophen Narben oder Keloiden übernehme die Kasse bestimmte Behandlungen. Die emotionale Begleitung? Sie sei noch seltener Teil des Systems, meist bleibe sie Aufgabe der Betroffenen selbst. Es geht also um weit mehr als medizinische Versorgung. Es geht um das, was nach der Operation kommt. Um das emotionale Auf und Ab. Und um das Gefühl, sich im eigenen Körper fremd zu fühlen.
Die Osteopathin Eva Papouschek vom Narbenzentrum Berlin erinnert daran, dass Narben nicht nur äußerlich betrachtet werden dürfen. Sie können tief ins Fasziensystem wirken, Schmerzen und Einschränkungen im ganzen Körper verursachen. Auch hier brauche es mehr Bewusstsein, mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit und vor allem den ganzheitlichen Blick. Immer wieder schwang die Frage mit: Wer kümmert sich eigentlich um das, was bleibt, wenn die Wunde längst verheilt ist?
Let Your Scars Shine
Das Buusenkollektiv will genau hier ansetzen: Mit Projekten wie „Let Your Scars Shine“ werden Narben sichtbar gemacht. Frauen zeigen ihre Narben, erzählen ihre Geschichten, stellen sich gegen das Tabu und setzen sich für ein neues Schönheitsideal ein, das Vielfalt und gelebte Erfahrung feiert. Das Booklet, das aus dieser Kampagne entstanden ist, bietet nicht nur ehrliche Einblicke für Frauen vor einer Operation, sondern auch Mut und Gemeinschaft für alle, die sich mit ihren Narben neu kennenlernen müssen.
„Brustkrebs verändert das Leben. Wir vom Buusenkollektiv wissen das aus eigener Erfahrung. Deshalb setzen wir uns mit ganzem Herzen dafür ein, dass betroffene Frauen diese Veränderungen mit Kraft und Zuversicht meistern können.“
Das Buusenkollektiv
Es ist noch sehr viel zu tun. In der medizinischen Nachsorge, in der Aufklärung, in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Aber es bleibt auch Hoffnung: Denn dort, wo Menschen sich ehrlich austauschen, entstehen neue Perspektiven. Dort, wo Narben nicht versteckt, sondern gezeigt werden, wächst Selbstbewusstsein. Und dort, wo Gemeinschaft entsteht, wird aus Schmerz manchmal sogar Stolz. Vielleicht ist das die größte Stärke dieses Abends: Dass wir ein Stück näher zusammengerückt sind – und dass niemand mit seinen Narben allein bleiben muss.
Der Roundtable machte deutlich, dass beim Thema Narben und Narbenversorgung nach Brustkrebs noch viel Verbesserungsbedarf besteht – sowohl in der medizinischen Nachsorge als auch in der emotionalen Begleitung. Der Austausch verschiedener Perspektiven wurde als besonders wertvoll empfunden, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln und das Thema weiter zu enttabuisieren. Die Diskussion endete mit dem kollektiven Wunsch nach mehr Sichtbarkeit, Aufklärung und Unterstützung für Betroffene.
Warum wir unsere Narben zeigen? Weil sie bleiben. Weil sie uns verbinden. Weil sie Mut machen – und weil sie Teil von uns sind.
Bei der Veranstaltung „Shine & Share“ wird aber nicht nur über Narben gesprochen. Sie werden auch gezeigt, gewürdigt, gefeiert. Denn diese Narben sind mehr als bloße Erinnerungen an Krankheit und Operation. Sie sind sichtbare Zeugnisse von Entscheidungen, Zweifeln, Hoffnung und dem Weiterleben.
Für den zweiten Teil der Veranstaltung ziehen wir in einen anderen Raum um, der voller Sessel und Sofas steht. Warmes Licht trifft die freigelegten Backsteinwände, und es ist ganz ruhig im Raum, als die erste Frau das T-Shirt über den Kopf zieht. Keine Kameras, keine Filter – nur offene Fragen, ehrliche Blicke, vorsichtige Berührungen, ein geschützter Raum. Sechs Frauen zeigen, was sonst verborgen bleibt: die Spuren ihrer Brust-OPs, jede Narbe einzigartig, jede Geschichte ein Zeichen von Überleben und Selbstbestimmung.


Was in diesem Raum passiert, während die Frauen ihre Geschichte erzählen und ihre Narben zeigen, ist mit Worten schwer zu beschreiben. Auf den Tischen liegt das Booklet mit dem Titel „Let Your Scars Shine“, in dem Frauen, ihre Körper und ihre Geschichten fotografiert und porträtiert wurden. Es rückt die Narben ins Licht und feiert sie als Symbole der Individualität und Schönheit. In Anlehnung an die japanische Kunst des Kintsugi, bei der Bruchstellen mit Gold veredelt werden, wurden die Narben der Frauen mit Glitzer und Gold nachgezeichnet. „Jede Fotografie“, so lesen wir im Booklet, „ist eine Hommage an die Einzigartigkeit jeder Frau und erzählt von ihrer persönlichen Reise.“
Wir erleben es an diesem Tag beinahe körperlich: Narben sind nicht etwas, das versteckt werden muss. Sie sind Teil des Lebens, Teil der Identität. Und sie verdienen es, gesehen und gehört zu werden.
Als ich die Räume des Survivors Home nach etwa fünf Stunden verlasse, habe ich Tränen in den Augen. Nicht aus Traurigkeit. Sondern weil an diesem Tag ganz verschiedene Menschen, die sich zum Teil vorher nicht kannten, dem Leben und seiner Bedeutung gemeinsam näher gekommen sind.
Das Buusenkollektiv auf der YES!CON am 9. und 10. Mai.
Am 9. und 10. Mai 2025 verwandelt sich das Gasometer (EUREF-Campus 17, 10829 Berlin) in Berlin-Schöneberg in Deutschlands größte Krebs-Convention. Die YES!CON 6.0 bringt dich mit anderen Betroffenen, Angehörigen, Expert*innen, Organisationen und Vereinen zusammen und sorgt für Austausch und neue Inspirationen. Mit dabei ist auch das Buusenkollektiv und viele Menschen aus ihrem Netzwerk. Komm in den Austausch! Denn: Brustkrebs geht uns alle an. Und wir sind nicht allein. JETZT ANMELDEN (online oder offline).
Tittie-Talk am 12. Mai 2025
Am 12.05.2025 ist es wieder soweit. Du bist nicht allein! Erlebe die nächste Küchenparty bei den Tittie-Talks voller Austausch, Unterstützung und Lebensfreude. Du bist herzlich willkommen, egal ob du gerade frisch die Diagnose Brustkrebs erhalten hast, die Erkrankung fortgeschritten ist oder die Therapie schon Jahre zurück liegt. Auch als Gen-Trägerin darfst du sehr gerne teilnehmen. Das Schöne an alledem: Das alles geht bequem vom Sofa aus.Wenn du dabei sein willst, melde dich jetzt HIER an.