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Wäre ein Verbot sexistischer Werbung sinnvoll – oder bloß Symptombekämpfung?

Der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verkündet im Gespräch mit dem „Spiegel“, er wolle geschlechterdiskriminierende Werbung in Deutschland unterbinden. Man arbeite gerade an einem Entwurf – dafür erntet er viel Häme. Warum eigentlich?

 

Ein modernes Geschlechterbild etablieren?

Maas
setzt mit diesem Projekt einen Beschluss der SPD-Parteispitze durch,
ein „modernes Geschlechterbild“ etablieren und dadurch mehr „Respekt im Alltag“ generieren zu wollen. Im Januar
verabschiedete die SPD auf der Bundesvorstandsklausur einen Beschluss,
in dem auch die Forderung eines Verbots sexistischer Werbung enthalten
ist und läutet damit das „Jahr der Frauen“ ein. Eine
Diskussion über das „Geschlechterverhältnis in unserer
Gesellschaft“.

Feminismus ist wieder in

Sexismus
ist wieder Thema, weniger wegen Aktionen und Debatten wie #Aufschrei, in der sich die lautesten Stimmen dazu äußerten, man
solle sich nicht so anstellen, mehr jedoch nach sexuellen Übergriffen
an Silvester in Köln und in Schwimmbädern. Der Gesetzentwurf sei allerdings
schon vor den Geschehnissen an Silvester erarbeitet worden, heißt es
von den Sozialdemokraten. Die SPD sieht Diskussionsbedarf im Hinblick
auf Wahrnehmung und Umgang der Geschlechter miteinander. Sexuelle Gewalt gebe
es nicht nur von Flüchtlingen und Ausländern, sondern „in
allen Teilen unserer Gesellschaft und unter Deutschen“.

Doch
fast symbolisch radikal auf die Spitze gebracht wurde mit der
Silvesternacht in Köln eine neue Debatte um Sexismus entfacht.
Was für ein Frauenbild haben andere Kulturen, wenn sie Frauen als
verfügbares Freiwild wahrnehmen? Welches Frauenbild müssen wir nun
verteidigen? Funkhaus Europa veröffentlichte einige Zeit später ein
Bild. „TV-Tipp für Flüchtlinge: RTL klärt in der Sendung ,Der
Bachelor
täglich über das Frauenbild in Deutschland auf“, war da zu lesen.

Feminismus
ist in. „
Pink Painting
statt Green Washing“ 
lese
ich in einem Artikel. Nichtsdestotrotz auch notwendig. Dass es  teilweise Rechtfertigung erfordert, sich als Feminist oder Feministin zu sehen
– ergo als jemand, der für Gleichberechtigung ist – ist traurig.

Der
Vorlage von Maas nach soll es in Zukunft möglich sein, Werbung als
unzulässig zu bewerten, in denen Menschen auf ein Sexualobjekt reduziert werden, woraufhin im Streitfall ein Gericht
entscheiden soll. In Deutschland ist es der Wettbewerbszentrale nur bei
massiv menschenverachtender Werbung möglich, einzuschreiten. Der
Deutsche Werberat kann Anzeigen und Werbespots rügen.




– Die aktuelle Werbekampagne von Sat1 HD-TV

„An Spießigkeit kaum zu überbieten!“

„Maas will Sex-Werbung
verbieten!“, schreibt die „Bild“-Zeitung in großen Lettern. Was folgt, ist Empörung. Von Seiten der Union und aus der Gesellschaft. Der
Kritiker sei ein Spießer, überempfindlich, ein Überkorrekter, auf
der Suche nach Problemen, nicht den Humor und die Schönheit einer
Frau würdigend. Bald dürfe man ja nix mehr – Verbotskultur!

„Heiko Maas geht den nächsten
Schritt zum Nannystaat, der den Bürgern nichts zutraut und
Verbraucher für unmündig hält“, kritisiert Christian Lindner, Vorsitzender der FDP, scharf. „Seine Pläne zum Verbot von Nacktheit und sexualisierter
Werbung sind an Spießigkeit kaum zu überbieten. Die Verhüllung von
Frauen zur Bändigung von Männern zu fordern, das kannte man von
radikalen islamischen Religionsführern, aber nicht vom deutschen
Justizminister“, wettert er weiter.

Hoppala, denke ich da. Entweder Lindner
hat nicht richtig gelesen oder aber nur die „Bild“-Schlagzeile. Denn
Maas hat gar nicht gefordert, dass irgendeine Frau sich „verhüllen“ möge. Aber Lindner ist mit seiner Verwirrung nicht
allein. Bei „Welt Online“ sieht man Maas’ Pläne schon als „weitere Geste der kulturellen Unterwerfung“, „so als hätten
die nackten Ärsche aus der Astra-Bierwerbung bisher das Abendland
zusammengehalten.“, schreibt Margarete Stokowski in ihrer Kolumne für „Spiegel Online“.

Sexy ist keine Diskriminierung

Die Auseinandersetzung wird übersprungen,
weil etwas Wichtiges überlesen wird. Nicht
sexy Werbung,
nicht Werbung mit dem
Motiv von Sex,
nicht
Nacktheit per se soll verboten werden, sondern solche, die sexistisch ist.

Ist man bereits dann spießig, wenn man
gegen Diskriminierung ist? Sexistisch ist jedoch nicht auch bloß ,irgendwas mit Sex’, sondern geht weiter, hat nicht zwangsläufig mit
Erotik zu tun, sondern ist die auf das Geschlecht bezogene
Diskriminierung. Die Reduzierung eines Geschlechts. So ist eine
Werbung bereits dann in einen sexistischen Bereich einzuordnen, wenn
gesagt wird, die Frau gehöre bloß in die Küche und nicht erst,
wenn sie dort nur mit Netzstrümpfen bekleidet einen Löffel ableckt, um
Werbung für eine neue Edelstahl-Besteck-Kollektion zu machen.  
Wenn der Einsatz gegen Rollenbilder und
die Degradierung eines Geschlechts eine Spießigkeit ausdrückt, dann
möchte ich in einem Land leben, in dem sich jeder stolz als Spießer
bezeichnet.  


Umgekehrte Geschlechterrollen, und man merkt: Oh, irgendwie peinlich…                Quelle: Youtube

Nackte Frauenkörper sieht man
inzwischen überall. Als erotische Wesen, die ein Auto putzen, als
Hintergrund eines neuen Produktes, das nicht zu viel von den nackten
Brüsten, aber gerade noch genug erkennen lässt, um in Kombination
mit einem willigen Blick zu sagen: Wir wollen dich. Eigentlich als
Kunden und Käufer. Aber eigentlich will auch das Model dich.

„Mit der Figur brauch’ ich kein
Abitur!“, steht als Aufschrift über einem blonden Mädchen ohne
Hose und wirbt damit für ein Fitnessstudio. „Oh man, wie dumm“,
ist mein erster Gedanke, und mir ist die Welt ein bisschen peinlich.
Ich kann durchaus auch manchmal darüber lachen. Mehr darüber, wie
dämlich man sein muss, dass einen sowas anspricht. Oder darüber, wie flach ein Witz ist.

Wieso sexistische Werbung ein Problem ist

Was mir aber zu denken gibt, ist die
Tatsache, wie selbstverständlich wir die Allgegenwart von
sexualisierten Körpern annehmen. Nackte Frauen als Dekoration.
Losgelöst vom Kontext, unabhängig von dem beworbenen Produkt.
Lüsterne Blicke als Aufforderung zu kaufen. Überall.  

Die Darstellung der wollüstig
untergebenen nackten Frau als ein williges, verfügbares und rein
sexuelles Wesen. Menschen in der Werbung haben immer in ihrer Rolle eine Funktion. Eine Schauspielerin, die
eine Mutter, und ein Schauspieler, der einen Vater darstellt, ebenso.
Auch eine leicht bekleidete Frau kann das sein, so
ist Sexualität und Nacktheit als solches nicht zu kritisieren. Doch
was mir zu denken gibt ist die Tatsache, wie selbstverständlich wir
die Omnipräsenz von sexualisierter Werbung annehmen.
Nackte Frauen als Dekoration, losgelöst vom Kontext und unabhängig
von dem beworbenen Produkt. Die Objektivierung der Frau, die nicht
länger Subjekt bleibt. Eine Werbung kann eine Frau
selbstverständlich als Hausfrau und auch als Sex auslebende Frau
zeigen, das darf und sollte sie auch – jedoch nicht als
Äußerung eines Wertekonzepts oder als entmenschlichte
Objektivierung.

Der Zentralverband der deutschen
Werbewirtschaft teilt mit, dass Werbung nichts mit ausgelebter
Frauenfeindlichkeit wie jener in der Silvesternacht zu tun habe. Zudem
wirke der Deutsche Werberat geschlechterdiskriminierender Werbung
bereits erfolgreich entgegen.

Es ärgert. Auch weil es suggeriert, das Produkt bekomme nur dann Aufmerksamkeit. Braucht
der potenzielle und meist männliche Kunde das? Das Zeitalter der
Frau, die bloß in der Küche, zur Kindererziehung oder zum Sex zu
gebrauchen ist, ist genauso vorbei wie das, in dem der Mann bloß
dann ein Mann ist, wenn er mit einem Bier vor dem Fernseher sitzt und keinem weiblichen Dekolleté 
widerstehen kann.

Es ärgert. Weil Kinder nicht mit
natürlicher Nacktheit und Sexualität, sondern mit pornöser
Freizügigkeit und Erdbeeren lutschenden Frauen aufwachsen, die dadurch
anregen wollen, gesund zu essen und mit eindeutig gewollten Blowjob-Assoziationen Burger in den Mund schieben.

Es ärgert auch, weil es die
Werbeindustrie als eine unkreative kennzeichnet, obwohl sie das nicht
unbedingt ist. Es gibt schneller Aufmerksamkeit, mehr Klicks. „Sex
sells“, das weiß auch der „Stern“ und haut einfach zu jedem Thema
ein bisschen Nacktheit drauf.



Die Sache mit dem Verbot

In Schweden ist vieles, was jetzt bei uns gefordert wird, bereits realisiert. „Werbung reflektiert Normen,
Werte und die Kultur eines Landes, und da gibt es deutliche
Differenzen zwischen Deutschland und Schweden“, sagt die
deutsch-schwedische Journalistin Suzanne Forsström im Hinblick auf
national unterschiedliche Darstellung von Werbespots zu dem gleichen
beworbenen Produkt. 
Das liegt unter anderem an den
strengeren Maßnahmen des schwedischen Werberates, aber auch
daran, dass das Bewusstsein für sexistische Werbung und
Geschlechterdiskriminierung in Schweden ein anderes sei und entsprechende Kampagnen publikumswirksamer gerügt würden.

Wir müssen darüber reden, dass Frauen
nicht nur Objekte sind – darin war sich die Nation zu Beginn des Jahres
schlagartig einig. Es ist jedoch ein strukturelles Problem, das gesamtgesellschaftlich verinnerlicht ist und sich zum Beispiel in der Werbung
äußert, nicht bloß mit einer fremden Hand am weiblichen Hintern. Die sich stetig im Alltag wiederholenden Bilder der
Erniedrigung der Frau durch sexuelle Unterwerfung oder anderweitig
geschlechtsdiskriminierenden Bilder machen mich sauer. Unkreativ und
dumm zum einen, geschmacklos und moralisch falsch zum anderen, finde
ich. Ist der Vorstoß des Justizministers überfällig?

Es kommen pragmatische Fragen auf: Wie
wird erkannt, was tatsächlich sexistisch ist? Wo wird die Grenze
gezogen? Dann aber geht es um einen nicht unwichtigen Aspekt, für den die Grünen bereits nach ihrem Vorstoß zum Veggie-Day verlacht wurden: Das Verbot.

„Das ist als Vorhaben schon mal
merkwürdig, weil man von einem Justizminister eigentlich erwartet,
dass ihm die Freiheit der Bürger wichtiger ist als deren
Bevormundung“, liest man. Sexistische Werbung als Sinnbild der
Freiheit. Genau das ist das Problem.

Das Verbot. Auch das ärgert. Weil Maas aus
guten Gründen etwas schützen und ändern will, aber damit die Reife und Urteilsfähigkeit Erwachsener unterläuft, weil er uns paternalistisch zum Guten bringen will, statt uns
erkennen zu lassen. Das eigentliche Problem geht tiefer: Uns ist
nicht mehr klar, welche Signale wir senden, wie wir auf Signale
bereits eingehen, weil wir es schon längst als normal empfinden, was
wir in anderen Kontexten und anderen Kulturen streng kritisieren.

Verbote machen es einfach. Verbote
bremsen das Schlechte aus, um das Gute zu generieren. Sexismusfreie
Werbung finde auch ich gut und bin damit auf Maas’ Seite. Ich wünsche
mir aber, dass wir diesen Vorstoß von Heiko Maas gar nicht brauchen würden. Dass
es Werbung gibt, über die man einmal lachen und sie dann doof finden
kann, aber dass einige Werbekampagnen versagen und zurückgerufen
werden, weil klar wird, dass sie gesellschaftlich verpönt sind.
Weil das ein Auslaufmodell der Werbung ist und nicht, weil der Staat es
unterbindet. Symptombekämpfung ist das.

Dieser Text erschien zuerst auf Janets Blog. Wir freuen uns, dass sie ihn auch mit unserer Community teilt.

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