Mein lieber Körper, seit knapp 33 Jahren führen wir eine Amour Fou, eine Art Hassliebe. Lange stand der Hass dabei im Vordergrund, bis …
Bye-Bye schlaksiger Kindskörper, Hello Miss Curvy
Fangen wir am besten ganz von vorne an. Es war der Sommer 1996 und ich verwandelte mich ganz unvermittelt und ohne jedwede Ankündigung mit gerade einmal elf Jahren von einem schlaksigen Mädchen in eine Frau mit Brüsten, Hüften und allerlei Kurven. Und das Mitte der 90er Jahre. Für mich glich diese Entwicklung einem Super-Gau. Denn damals war vor allem eins angesagt: Kate Moss und der sogenannte „Heroin Chic“. Also androgyne Kindsfrauen, die mit Brüsten und Hüften nichts zu schaffen hatten – und sich in ihrer Körperlichkeit nicht groß von den männlichen Zeitgenossen unterschieden. Und da stand ich nun als fleischgewordene Miss Curvy und wusste nicht so recht, wie mir geschah.
Es folgten Jahre voller Ups und Downs, auch und gerade was mein Gewicht anging. Denn das Thema Ernährung war für mich lange Zeit nicht greifbar. So tappte ich in meinen Teenagerjahren von einer Jo-Jo-Falle in die Nächste. Und war größtenteils damit beschäftigt mich und meinen Körper zu verhüllen. Damals war das Verhältnis zwischen uns also alles andere als gut. Oder anders gesagt: Du warst schlichtweg mein Feind. Hinzu kam, dass ich in Sachen Jungs und Liebe in die Kategorie Spätzünder gehörte, während du allen eins signalisiert: Reife und Erwachsensein.
Mit diesem wandelnden Widerspruch kam ich lange Zeit nicht klar, auch als ich mit 19 Jahren plötzlich meinen Teenagerspeck verlor und zehn Kilo leichter durchs Lebens lief. In meiner Wahrnehmung blieb ich doch das kleine Moppel-Ich, was mit allen anderen Frauen nicht mithalten konnte. Zumal mein Gewichtsverlust ja nicht spurlos an mir vorbeigegangen war.
Gemeinsam erwachsen werden
Und so ging die Kritikerin in mir wieder rigoros mit mir ins Gericht: „Andere Frauen haben straffere Bäuche,straffere Brüste.“ Was war also mein Problem? Und warum konnte ich trotz Gewichtsverlust nicht einfach so glücklich sein wie alle anderen auch? Stimmte die Gleichung dünn = glücklich etwa nicht?
Es folgten weitere bewegte Jahre. Der erste Freund, die erste große Liebe, inklusive Herzschmerz und allem, was dazugehörte. „Liebt er mich? Liebt er mich nicht?”, diese Frage hing wie ein Damoklesschwert über unserer Beziehung bis ich die Reißleine zog und es beendete. Denn auch, wenn ich mich selbst nicht für Miss Perfect hielt, hatte ich doch den Anspruch geliebt zu werden. Rückblickend denke ich, dass dieser Moment eine echte Zäsur in meinem Leben war.
Bin ich nicht mehr als nur eine bloße Körperhülle?
Ich wollte schön sein, dünn sein und schlichtweg geliebt werden. Doch liebte ich mich eigentlich selbst? Wofür brannte ich eigentlich? Was waren meine Talente? Und steckte in mir nicht vielmehr als nur meine bloße Körperhülle? Plötzlich fing ich an, mir all diese Fragen zu stellen und nach entsprechenden Antworten zu suchen. Auf der Suche danach stolperte ich über viele Leidenschaften. Ich fing wieder an Theater zu spielen, ging ins Ausland, schrieb regelmäßig für ein Studentenmagazin – und ohne es richtig zu bemerken, verlor ich wie von selbst meine Fixierung auf dich, lieber Körper.
Stattdessen stand nun der Genuss im Vordergrund. Denn bei der Entdeckung meiner Leidenschaften stieß ich auch auf meine Liebe zum Essen. Und was soll ich sagen? Je regelmäßiger, vielfältiger und genussvoller ich aß, desto mehr pendelte sich auch mein Wohlfühlgewicht ein, das mit einer ganzheitlichen Art des sich-gut-Fühlens einherging. Ich hörte einfach auf die Signale, die mein Körper mir gab – und vielleicht schon lange vorher gegeben hatte – und richtete mein Essverhalten einfach danach.
Danke, lieber Körper!
Und heute? Heute wiege ich wieder so viel wie zu meinen besten Moppel-Ich-Zeiten und dafür gibt es den schönsten Grund der Welt: Ich, besser gesagt wir, mein lieber Körper, tragen ein kleines Wunder unter unserem Herzen. Und ich kann Dir nicht genug danken für diesen, deinen Einsatz. Du arbeitest seit Monaten auf Hochtouren für zwei und sorgst dafür, dass es meinem Kleinen an nichts fehlt. Kurzum, du bist ein Zuhause für den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Du bist also schlichtweg ein echtes Wunderwerk der Natur. Und ich verspreche dir hiermit hoch und heilig, dass ich mich von diesem
„zehn-Tage-nach-der-Schwangerschaft-zurück-zur-Bikinifigur-Wahn“ tunlichst fernhalten werde. Ich werde gut zu dir sein. Denn das hast du dir nach all den bewegten Jahren an meiner Seite mehr als nur verdient.
In Dankbarkeit und Liebe,
Maria
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