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Meine Vorgesetzte ist nicht meine Freundin

Simone und Susanne: Neuer Umgang mit der Chefin

 

Simone ist traurig. „Das habe ich nicht erwartet“, staunt die 34-Jährige im Coaching bei Michael Sudahl, dem Lebensberater. Die Stuttgarterin wollte wissen, wieso sie in Sitzungen sauer wird, wenn ihre Chefin bei ihren Vorhaben kritisch interveniert.

„Ich habe feingliedrige Budgetpläne erstellt, aus denen ersichtlich wird, wann wir Geld mit unserem neuen Produkt verdienen“, berichtet Simone. Doch die Chefin sieht das anders. Susanne, mit der Simone per Du ist, greift einen ungenauen Wert aus der Kalkulation und stuft daran die Planung als unzureichend ein.

Der Perspektivwechsel

Simone fühlt sich angegriffen und wird zickig. Im Raum mit sechs weiteren Kolleginnen herrscht eine gespannte Atmosphäre. Der Zwist eskaliert und schlussendlich kippt Chefin Susanne das Projekt komplett.

Als Simone die Situation mit ihrem Coach Michael Sudahl in einer Übung nochmal erlebt, staunt sie. Bei einem Perspektivwechsel nimmt sie die Sicht ihrer Chefin ein. Zuerst sitzt sie in ihrem Sessel, gegenüber steht ein freier Platz. Simone berichtet von der Konfliktszene mit ihrer Vorgesetzten von ihrem Lehnstuhl aus. Ihre Message an Susanne: „Wir kennen uns seit der Abi-Zeit, ich will mit dir wie mit einer Freundin sprechen können – und nicht wie eine Praktikantin abgekanzelt werden.“

Auf den Vorschlag von Lebensberater Sudahl hin, auf dem Stuhl ihrer Vorgesetzten Platz zu nehmen, wird ihr bewusst, dass sich in der letzten Dekade einiges getan hat. So lange arbeiten Simone und Susanne im gleichen Unternehmen. Als Schul- und später Studienfreundinnen in einer Firma begonnen, verlaufen ihre Wege ungleich. Zwar ist Susanne von Beginn an Chefin und Simone die Expertin fürs Marketing, doch ihre Beziehung hat sich nicht weiterentwickelt.

Job und Freundschaft

Nachdem Simone auf dem Sessel der Chefin (Susanne) hört, dass ihre Marketingexpertin (Simone) sich einen freundschaftlichen Ton wünscht, antwortet Susanne: „Ich habe gelernt, zwischen Job und Freundschaft zu unterscheiden. Wenn wir im Office arbeiten, dann ist Business-Time.“

Simone hört sich diese Worte sagen. Sie fühlt, auf Susanne Sessel sitzend, was diese täglich vorlebt. Als Simone auf ihren Platz zurückkehrt, weicht ihre
Verwirrtheit. Sie fühlt sich wie aufgeklärt. „Im Grunde mache ich es ähnlich
wie Susanne“, berichtet sie. Noch vor einem Jahr habe sie öfters ihr Team zum
Feiern in ihren Garten eingeladen. Weil aber immer weniger auf die Einladungen
folgten, es trotzdem viel Mühe kostete, ließ sie es sein.

„Vor einem halben Jahr war dann Schluss“, bilanziert Simone. Inzwischen trennt sie Arbeit und Freundschaft. Genau wie Susanne. Dieses Bewusstwerden macht die eloquente Frau und ehemalige Bühnentänzerin traurig. Aufgrund steigender Pflichten in Job und Familie haben sich die Frauen immer weniger Zeit für ihre Freundschaft genommen oder sie haben neue Beziehungen geknüpft.

Die Trauer spüren

Unbewusst tut Simone dieser Wandel weh. In der Prozessarbeit mit der imaginären Chefin hat sie diese Trauer erstmals wahrgenommen. Im Büro hat sie diese bislang verdrängt. 

„Sie hat sich ihrer Chance auf Transformation beraubt“, verdeutlicht Coach Sudahl.

Einen Monat später, wirkt Simone freier. Sie erzählt: „Letzte Woche schlenderte Susanne durch meine Abteilung, was bislang höchst selten passiert ist, und wir haben über Berufliches geredet.“ Kurz darauf habe die Chefin nach Simones neuem Tanzstudio gefragt. Und es hat sich ein Gespräch entwickelt, wie früher, wie unter Freundinnen. Auch erzählt Simone, dass sie in Präsentationen viel lockerer mit Einwänden umgehen kann und es sie nicht mehr triggert, wenn Susanne nachhakt.

Das Verhältnis ändert sich

Die Klarheit, die sich Simone über ihren Prozess und den Zugang zu ihrer verschütteten Trauer, erworben hat, strahlt sie im Office aus. Das nimmt auch ihre Chefin (unbewusst) wahr. Erkennbar hat sich das Verhältnis zu Susanne geklärt. Obwohl nur eine daran gearbeitet hat: Simone.

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