Foto: Gabor Ekecs

Midlife-Crisis und Generation X – Was ist, wenn Hank Moody eine Frau wäre?

Die Midlife-Crisis ist kein männliches Phänomen. Doch wie sieht sie bei Frauen aus? Anne Philippi über die Lebensmittekrise der Generation X.

Hank Moody und ich

Ich schaute jede Nacht. Unter der Bettdecke. Ich bingte alle Folgen von „Californication“. Ich liebte Hank Moody aka David Duchovny. Er war attraktiv, schrieb Bücher, raste mit kaputtem Porsche durch LA. Der Mann steckte in einer Krise, die auf meinem Computer super aussah. Aber eines Morgens, nach einer Nacht mit Hank, war auch meine Krise real. Genau wie die von Hank. Job weg, Magazin zu, Berlin öde, meine Beziehung war seit Monaten vorbei, ich erwartete (und hatte) kein Kind. Ich musste nirgends bleiben, lebte schon länger mit einer seltsamen Ennui von Tag zu Tag statt mit einem Fünf-Jahres-Plan. Jetzt aber wurde es ernst.

Am letzten Tag saß ich im Büro meiner damaligen Chefin und setzte ihre Pilotensonnenbrille auf. Wir alberten herum. Sie fragte mich: „Was willst du machen?“ – „Abhauen, Schreiben, jemand anders sein.“ Ich dachte, ich könnte Hank werden. Porsche kaufen. Los Angeles erobern, mich nicht festlegen, Unvernünftiges tun. Ich machte einen Denkfehler. Ich konnte nicht Hank Moody sein, denn ich war kein Mann. Und das hat an dieser Stelle nichts mit einer antifeministischen Haltung zu tun. 

Ich hatte immer nur Männer gesehen, die in dieser Art der Krise steckten. Die männliche Midlife-Crisis war mir ab sieben Jahren vertraut. Mein Vater heiratete in seiner recht frühen Krise unsere 18-jährige Putzfrau, was mir auch so erklärt wurde: „Kind, das ist die Midlife-Crisis.“ Ab dann war ich besessen von dem Thema. In meiner Barbiepuppensammlung lag die junge Skipper neben dem älteren Ken im Bett. Meine Lieblingsserie hieß „Ein zauberhaftes Biest“. Eine Serie über einen geschiedenen Vater mit Teenage-Tochter, die ihm sein eigenes Lolita-Problem spiegelt.

Keine öffentliche Krise

Doch die Krise für Frauen, so um die Ende dreißig beginnend, sieht anders aus. Erstens sieht man sie fast gar nicht. Sie ist eine Privatangelegenheit und beginnt ungefähr dann, wenn 27-jährige Männer anfangen, der Frau Ende 30 zu sexten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Frau Kinder hat oder nicht.

Noch ein Zeichen: Die Frau, also ich, versucht anstehende, dringende Entscheidungen zu umgehen. Und haut ab. Ich floh nach Los Angeles und versuchte alles neu zu erfinden: meine Haare, mein Gehirn, meine Geschichte.

Ich war sicher. Hollywood und der Aufenthalt in Four-Seasons-Hotelzimmern, um dort Filmstars zu interviewen, würden mir Antworten geben. Anfangs fragte ich alles ab, was von mit verlangt wurde. Welche Lieblingsfarbe der Filmstar hatte, warum sein Hund Charles hieß usw. Eines Tages ertappte ich mich aber dabei, Filmstars Fragen zu stellen, die ich mir selbst nicht beantwortet hatte. Vor allem solchen, die meine Eltern hätten sein können. Ich fragte Michael Douglas, warum ich kein Kind hatte. Er wusste es nicht. Ich begann mit Meryl Streep über die mir völlig unbekannte Ehe zu lästern. Es führte zu nichts und endete, ja, genau: bei Hank Moody.

Eines Tages fuhr ich dann für ein Interview mit David Duchovny in einem roten Porsche durch Hollywood und Duchovny interessierte sich nur für Geschichten, die Hank Moody hätte erleben können. Wir lachten wie die Irren, aber die Seriennächte hatten mich eingeholt. Ich musste mir meine Voll-Krise eingestehen. Ich hatte nicht das, was scheinbar alle anderen hatten: Hund, Kind, Mann, Haus, Leben, Perspektive. Niemand hatte diese Dinge je von mir verlangt.

Flucht nach vorn

Eine damalige Freundin zwang mich bald zu daten, in dem sie mir eine Wette aufschwatzte. „Wenn du nächstes Jahr um diese Zeit nicht verheiratet bist, musst du …“ Ich weiß zwar nicht mehr, was wir verabredeten, aber es wirkte.

Ich traf also Männer, darunter einen geschiedenen Vater, der achtzehn Jahre Ehe hinter sich hatte und jetzt „Fun“ suchte. Er machte mich zu einem „Rebound Girl“. Den Begriff brachten mir amerikanischen Freundinnen bei. Das „Rebound Girl“ ist die Freundin, die gleich nach der Scheidung drankommt, um dann später durch eine zu dem Mann passende Frau ersetzt zu werden. „Rebound Girls“ betreuen trotzdem die Stiefkinder. 

Es dauerte nicht lange, bis die Tochter meines Freundes ihrem Vater ausrichten lies, sie bräuchte keine zweite Mutter im Haus und niemanden, der ihr die falschen Converse-Turnschuhe besorgte. Der Sohn konnte mir wenigstens ins Gesicht sagen, was ihn an mir störte: „You suck at Minecraft.“ Es war sein Lieblingsvideospiel, welches ich ohne Brille gar nicht spielen konnte, es aber versuchte, um meine Jugend zu demonstrieren. In dieser Zeit verfiel ich in einen Yoga-Extremismus, der mir bei der Bewältigung neuer Familienaufgaben helfen sollte. Doch ich fand meinen Kopf von zu viel Kundalini-Yoga bald in den Wolken und hielt Russel Brand, der jeden Morgen beim Yoga neben mir saß, für eine Guru. Um es kurz zu machen, ich schaffte es nicht. Weder als Stiefmutter, noch als Yoga-Ass. Ich fühlte mich erleichtert, als ich das zugeben konnte.

Wie viel Zeit bleibt noch?

Aber die Krise wollte einfach nicht weggehen, ich fühlte mich, als ob ich in einem mir unbekannten Schlamm wühlen würde, immer noch ohne zu wissen, was ich in diesem Schlamm suchte. Laut Jonathan Rauch war ich in der „U-Curve“ gelandet, wie er meinen Zustand im  „Atlantic Magazin“ beschreibt. Die „U-Curve“ steht für eine Art Tiefpunkt im  Leben von Menschen zwischen 40 und 50, eine Zeit, in der sie ihr allgemeines Glücksgefühl verlieren. Selbst Affen erleben die „U-Curve“ in diesem Alter.

Die Anzeichen: Langweile, das Gefühl nichts Wert zu sein, nichts Bedeutsames zu leisten, während die Zeit parallel dazu zu rasen beginnt. Plötzlich sah ich mich akuten Anfällen von „Death Math“ ausgeliefert. Ich rechnete ohne es zu merken auf langen Freeway-Fahrten in Los Angeles,  wie viel Zeit ich für wen und für was noch hätte in meinem Leben. Ich war nicht todkrank, aber ich rechnete. Unaufhörlich.

Den schön bösen, also britischen Begriff „Death Math“ lernte ich neulich bei Miranda Sawyer. Eine Kollegin, die ihr Leben lang glamouröse Menschen interviewte. In ihrem Buch Out of Time schreibt sie über ihre Krise: „Es ist der Moment, wenn man realisiert, man hat weniger Zeit, die vor einem liegt, als die  die hinter einem liegt. Und was meine Generation angeht, befinden wir uns in einer Situation, in der wir eben nicht alle diese wahnsinnigen Produkte und großen Häuser haben, die wir mal dachten zu besitzen.”

Das Problem der Generation X

Mit dieser Generation, die auch meine ist, meint Sawyer übrigens die Generation X. Deren Verhältnis zur Midlife-Crisis wird derzeit sehr genau untersucht und der Erfolg der Serie „Stranger Things“, eine einzige Reminiszenz an die analoge Jugend der Generation X („Schau, ein Telefon mit Kabel!“), hat glaube ich damit zu tun: mit einer Sehnsucht nach nicht-digitalen Fragestellungen, mit der Sehnsucht, nochmal irre Zukunftspläne zu haben, Madonna sein zu können und bis ans Lebensende auf Kosten von teuren Fashion-Marken durch die Welt zu fahren.

Die Soziologin und Alterforscherin Linda Waite behauptet genau die Generation X sei von Anfang an „benachteiligt“ gewesen. Vier von zehn Generation-X-Kindern seien Scheidungskinder, auch wirtschaftlich stünde die Generation schlecht da. Alles, was im Leben wichtig ist, sei teurer geworden, die Löhne in den Hochzeiten der Generation X parallel dazu aber nicht. Man sei mit der Möglichkeit eines nuklearen Krieges großgeworden und habe Todesangst vor Klischees. Oder davor, nicht mehr mobil rüberzukommen. Als Folge davon übertreibe ich es gern mit Yoga und sehe eine Menge Männer meines Alters auf Carbon-Fibre-Bikes vollständig ausgerüstet im Tour-de-France-State-of-Mind die Gegend unsicher machen.

Seit der Serie „Mad Men“ kursiert noch eine andere Angst. Waren unsere Eltern in den 60ern oder 70ern vielleicht doch cooler, ohne vegane Richtlinien von morgens bis abends? Sie nahmen uns mit, wenn sie auf Partys gingen. Wir schliefen im Auto oder im kleinen Schlafzimmer neben dem Partyraum. Ich erinnere den Lärm, der mich beim Einschlafen beruhigte. Sie wären nicht auf die Idee gekommen, nach kindgerechten Partyorten zu forschen und das ganze Wochenende auf Spielplätzen mit uns zu verbringen: Sie wollten sich selbst amüsieren.  Und da war noch etwas: Motorräder kaufen, Jobs aufgeben, um Künstler zu werden, die Geliebte in einer extra Wohnung parken – all das war mit finanzieller Stabilität erst möglich.

Fehlende Vorbilder

Die meisten Frauen der Generation X haben diese nicht, denn sie hatten in dieser Hinsicht kein Vorbild, außer Madonna, aber genau so konnte man nicht sein. Sie hatten kein „Girlboss“-Vorbild wie Sofia Amuroso, die ich interessant finde, und ja, verehre, weil sie trotz mieser Voraussetzungen (Klauen, aus Jobs rausfliegen, keine reichen Eltern haben) ein Badass geworden ist. Kurz: Wir hatten kein Business-Modell, mit dem alles möglich ist.

Ich erinnere mich in meinem Berufsleben an wenige Frauen, an denen ich mich orientieren wollte. Und klar, oft konnten Frauen nichts für ihre Situation in der Corporate-Welt. Sie taten oftmals einfach alles, um dort nicht verrückt oder frustriert zu enden und verwandelten sich in gigantische Zicken.

Jetzt

Derzeit aber gibt es kaum eine Sprache, eine Ästhetik, eine wirkliche Einschätzung der Generation X-Frauen. Ab und zu treffe ich auf Begriffe wie „Perennials“ als Begriff für eine neue, alterslose Generation, die Hinweise geben, doch die Definition der neuen Frau in diesem Alter fehlt. Was nicht heißt, dass eine Menge ekelhafter Klischees kursieren. Wie das eine Yoga-Lehrers in Indien, der seine „Eat, Pray, Love“ liebende Frauen- und Kundinnengemeinde eigentlich hasst. Er nennt sie die „FFFs“, female, fat and forty. Die „FFFs“ hätten entweder zu lange mit Kindern gewartet oder wüssten nicht, was zu tun ist, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Sie wüssten überhaupt nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten und suchten nach Wahrheiten. 

Was diese karmisch zu bestrafende Ausgeburt von Yoga-Lehrer nicht weiß: Die Frau sucht, die ganze Zeit. Und ihre Irratiationalität lässt nicht nach. Sorry. Wir sorgen auf drastische Weise dafür, nicht fett zu werden, wir rauchen heimlich, wir flirten mit alten Boyfriends online, wir fahren zu schnell, drehen wegen des neuen Iphones durch und haben Schwierigkeiten, ein paar Stunden ohne Instagram auszukommen. Wir reden über Affären und Fremdgehen wie Männer.

Jetzt ist eine Zeit, in der die Grenzen für Frauen offen sind. Und es ist eine großartige Zeit, die Zeit im Leben, in der der Bullshit-Detector so gut wie nie funktioniert, eine Zeit, in der man sich selbst und seine Arbeit neu gründen kann. Neulich schaute ich übrigens mal bei Hank Moody rein, doch dann langweilte ich mich schnell. Und der Mann tat mir irgendwie leid. Attraktiv fand ich ihn nicht mehr. 


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