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„Mitte-Studie“: Weniger Menschen lehnen Antisemitismus klar ab

Rechtsextreme Einstellungen sind laut der neuen „Mitte-Studie“ weniger verbreitet als vor zwei Jahren. Gleichzeitig lasse die klare Distanzierung von Antisemitismus und demokratiefeindlichen Einstellungen nach.

Unter dem Namen „Die geforderte Mitte“ untersuchen Forschungsteams verschiedener Universitäten seit 2006 alle zwei Jahre im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung vorhandene rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in der Gesellschaft. Der Fokus bei der Erhebung liegt auf der breiten Bevölkerung, jenseits rechtsextremistischer Strukturen. Auf diese Weise soll offengelegt werden, welche Tendenzen und Überzeugungen in der Mitte der Gesellschaft, im Mainstream, vorherrschen.

Die Ergebnisse der Studie von 2020/21 sind mit einem besonderen Blick zu bewerten, da sie während der immer noch andauernden Corona-Pandemie erhoben wurden.

Rechtsextreme Einstellungen gehen zurück, Zustimmung zum Sozialdarwinismus nimmt zu

Grundsätzlich konnte festgestellt werden, dass die Mehrheit (ca. 73 Prozent) der insgesamt 1.750 Befragten sich selbst als überzeugte Demokrat*innen versteht. Für 88 Prozent steht die Würde und Gleichheit aller Menschen als Grundsatz einer Demokratie an erster Stelle. Als größte wahrgenommene gegenwärtige und zukünftige Bedrohung für Deutschland wird von fast 70 Prozent der Befragten der Rechtsextremismus genannt. Dicht darauf folgen die Angst vor dem Klimawandel (69,6 Prozent) sowie vor der sozialen Spaltung innerhalb der Gesellschaft (61,5 Prozent).

Auch wenn die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen seit einigen Jahren kontinuierlich sinkt, nehmen gleichzeitig die Positionen, die rechtsextremen Auffassungen teils/teils zustimmen, stetig zu. Dies deutet auf einen immer größer werdenden Graubereich im Hinblick rechtsextremer Tendenzen innerhalb der Bevölkerung hin. Zudem wirkt sich bei Erhebungen dieser Art auch immer die sogenannte „Soziale Erwünschtheit“ auf die Endergebnisse aus. Da die Befragten wissen, dass es gesellschaftlich nicht hoch angesehen ist oder sogar als verpönt gilt, rechtsextremistisches Gedankengut zu vertreten, passen sie ihre Antworten den sozialen Konventionen an, um nicht negativ aufzufallen. Dies kann zu einer starken Diskrepanz zwischen Realität und Studienergebnis führen.

Lange auf niedrigem Niveau (aktuell 2,9 Prozent), jedoch seit 2014 stetig zunehmend, ist die Zustimmung zu Auffassungen des sogenannten Sozialdarwinismus. Dieser meint die Annahme, dass Menschen aufgrund ihrer biologischen Voraussetzungen ungleichwertig seien. Zu dieser Kategorie gehören demnach Aussagen wie „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“ oder „Deutsche sind von Natur aus mehr wert als andere Bevölkerungsgruppen“.

Der sogenannte Sozialdarwinismus wurde nicht von Charles Darwin selbst aufgestellt. Die Prinzipien der von ihm aufgestellten Evolutionstheorie werden hierbei falsch interpretiert und so auf die menschliche Gesellschaft übertragen, dass laut diesem Weltbild unter den Menschen „das Recht des Stärkeren“ gelte. Es wird davon ausgegangen, dass Menschen aufgrund ihrer biologischen Voraussetzungen ungleichwertig seien. So werden beispielsweise auch soziale Ungleichheiten erklärt.

Erstmals wurde Rassismus gegen Schwarze detailliert ausgewertet

Nur wenige Befragte stimmten rassistischen Aussagen über Schwarze Menschen zu, die große Mehrheit der Befragten lehnt offenen Rassismus ab. Auch an dieser Stelle muss jedoch der Faktor der Sozialen Erwünschtheit berücksichtigt werden. Auffällig ist, dass 18 Prozent der Auffassung sind, Schwarze Menschen seien zu empfindlich, wenn es um Rassismus in Deutschland geht. Außerdem sticht heraus, dass viele Proband*innen, die rassistischen Aussagen über Schwarze zustimmten, sich selbst gar nicht als rassistisch bezeichnen würden. Menschen handeln und denken demnach rassistisch, ohne dass es ihnen bewusst ist.

Antisemitische Einstellungen haben nicht in allen Teilen, jedoch besonders im Hinblick auf klassisch antisemitische Verschwörungsmythen zugenommen. Ganz klar belegt die aktuelle Studie jedoch, dass die deutliche und klare Ablehnung antisemitischer Narrative zurückgeht. „Die deutliche Ächtung des Antisemitismus weicht auf“, so Prof. Dr. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein, Co-Autorin der Mitte-Studie.

Unter dem Begriff Antisemitismus ist jede Form von pauschalem Jüd*innenhass oder pauschaler Jüd*innenfeindlichkeit zu verstehen. Jüd*innen werden vermeintlich unveränderbare Eigenschaften wie beispielsweise Geiz oder Hinterhältigkeit zugeschrieben. Mit Antisemitismus verknüpft sind oftmals jüd*innenfeindliche Verschwörungsmythen.

Je höher der Anteil an AfD-Wähler*innen, desto höher die Zustimmung zu rechtsextremistischen Einstellungen

Besonders verbreitet sind laut der Mitte-Studie rechtsextreme Einstellungen dort, wo die AfD 2017 hohe Wahlerfolge bei der Bundestagswahl verzeichnen konnte und der Anteil an sogenannten Ausländer*innen im Vergleich zum Rest Deutschlands gering ist. Bei diesem Punkt muss jedoch berücksichtigt werden, dass Statistiken lediglich den Anteil an Menschen feststellen können, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, Menschen mit rechtsextremen Tendenzen jedoch auch Ressentiments gegenüber Personen entwickeln, die von ihnen lediglich als nicht-deutsch gelesen werden. Eine erfolgreiche politische Mobilisierung ist für manifestierte rechtsextreme Überzeugungen jedoch entscheidender als ein geringer Ausländer*innenanteil.

Was nun?

Grundsätzlich kann als positiver Trend ausgewiesen werden, dass sich große Teile der Gesellschaft als demokratisch verstehen, Rechtsextremismus als Gefahr erkennen und sich deutlich gegen Hass und Hetze aussprechen. Gleichzeitig darf jedoch nicht verkannt werden, dass unsere Gesellschaft mit einem neuen antidemokratischen Populismus konfrontiert ist, der Einfallstore zum Rechtsextremismus und damit zum Antisemitismus und dem Glauben an Verschwörungsmythen öffnet.

Als effektivstes Mittel gegen rechtextremistische und demokratiegefährdende Auffassungen macht die „Mitte-Studie“ politische Bildung- und Aufklärungsarbeit aus. Als wiederholtes deutliches Ergebnis der Erhebung kann festgehalten werden: je weniger Zeit Menschen in Bildungseinrichtungen verbracht haben, desto höher ist die Tendenz der Leute, abwertenden und antidemokratischen Aussagen zuzustimmen. Bildung ist der Schlüssel gegen menschenfeindliche und demokratiegefährdende Einstellungen, so ein Fazit der „Mitte-Studie“.

„Politische Bildung sollte nicht als Extremismusprävention für die Ränder, sondern für die breite Mitte, zur Stärkung und zum Schutz von Zivilgesellschaft gegen Rechts fungieren“, sagt die Forscherin Sabine Achour, die für die FU Berlin an der „Mitte-Studie“ beteiligt war.

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