Auch nebenberuflich kann man Großes erreichen! Genau das hat Natalya gelernt, die sich für mehr Chancengleichheit in Deutschland einsetzt und eine Plattform gegründet hat, um gesellschaftlich etwas bewegen – ohne ihren Job aufzugeben. Hier erzählt sie, wie sie das geschafft hat und verrät wichtige Tipps!
Wie steht es mit der Chancengleichheit in Deutschland?
„Wenn Sie aufs Gymnasium gehören würden, wären Sie schon auf einem.”
Dieser Satz fiel 2006, damals war ich 16 Jahre alt und ziemlich naiv. Fünf Jahre zuvor bin ich mit meinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland eingewandert, kam zuerst auf die Haupt- und später auf die Realschule in Augsburg. Da ich gute Noten hatte, wollte ich nach der 9. Klasse aufs Gymnasium wechseln. Doch der damalige Rektor war der Meinung, da gehöre ich nicht hin.
Ich wurde trotzdem die erste Akademikerin in der Familie
So können Träume an einem einzigen Satz eines Beamten zerschellen. Zuerst war ich entmutigt, besuchte weiter die Realschule und machte 2007 meinen Realschulabschluss. Später folgten Ausbildungen an einer Berufsfachschule und einer Fachakademie sowie anschließend 2012 ein Master in Großbritannien.
Nun war ich tatsächlich die erste Akademikerin in meiner Familie. Doch es war schwierig und langwierig, der Weg hat mir einiges abverlangt. Wie viel einfacher wäre es gewesen, würde man die Kinder in Deutschland nicht auf mehrere Schultypen verteilen?
Zumal zahlreiche Studien belegen, dass oft nicht die Leistung und Kompetenzen darüber entscheiden, was für eine Grundschulempfehlung ausgesprochen wird. So hat etwa die TIMSS-Studie von 2015 herausgefunden, dass das Kind eines Professors bei gleicher Begabung und gleicher Leistung eine zweieinhalb Mal höhere Chance besitzt, eine Gymnasialempfehlung zu erhalten, als das Kind eines Facharbeiters. Das zeigt, wie stark der soziale Background mit dem Zugang zu Bildung verknüpft ist – und das gibt auch eine Idee davon, wie viel Potenzial hier wahrscheinlich verloren geht.
Ein Ehrenamt kann extrem viel Impact haben
In meiner bisherigen Berufslaufbahn war ich in unterschiedlichen Organisationen, meist in der internationalen Zusammenarbeit, tätig. Parallel war ich stets in verschiedenen Vereinen ehrenamtlich engagiert, organisierte Kaminabende, Networking-Events, Reisen und Symposien. Ehrenamt hat für mich nie bedeutet, dass man schlampiger oder mit weniger Elan arbeitet als in einem Hauptamt. In der Regel wendet man nur weniger Zeit auf und kann diese freier einteilen. Die Ergebnisse sollten jedoch auch hier stimmen, gerade, weil man für etwas Gutes kämpft.
Als ich mich 2016 entschloss, die Plattform „Netzwerk Chancen“ zu gründen, war mir sofort klar, dass ich das Projekt nebenberuflich und ehrenamtlich vorantreiben möchte. Zum einen wollte ich, dass für mich das Ziel, für Chancengleichheit von Kindern in Deutschland zu kämpfen, im Vordergrund steht, und nicht das Erwirtschaften meines Lebensunterhalts. Zum anderen wusste ich aus meiner Erfahrung, dass man auch ehrenamtlich Impact haben kann.
Nach der guten Idee kam der Gegenwind
Gleich zu Beginn gab es jedoch Gegenwind. Ich stellte das Konzept einigen Experten aus dem Bildungsbereich vor und nicht alle waren davon überzeugt, dass eine Dialog-Plattform für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft eine zu besetzende Lücke sein könnte. Doch wie bereits 2006 wollte ich mich nicht entmutigen lassen, legte das notwendige Kapital für die Gründung zur Seite und suchte einen guten Notar. Seit Juni 2016 gibt es die Plattform nun offiziell als gemeinnützige UG.
Im Anschluss fanden sich schnell zehn ehrenamtliche Team-Mitglieder, die seither zusammen mit mir nebenberuflich für unser Ziel kämpfen. In den ersten Monaten wurden Kosten für Steuerberater, Versicherungen oder Druckmaterial von mir gedeckt. Mittlerweile erhalten wir Spenden von Unternehmen und Privatpersonen.
Der Alltag als nebenberufliche Gründerin
Ein Projekt ehrenamtlich voranzubringen erfordert einiges an Disziplin, sowohl von mir als Führungskraft als auch von allen anderen Team-Mitgliedern. Manchmal müssen wir aufgrund von begrenzten Ressourcen Abstriche machen, enorm priorisieren und Teilprojekte sogar absagen. Da wir unsere Arbeit durch Deadlines und klare Verantwortlichkeiten bis ins Detail strukturieren, kommen wir mit großen Schritten voran und konnten bereits viele Events und Veröffentlichungen realisieren.
Ich selbst bin vollzeit berufstätig und widme mich an freien Abenden und am Wochenende dem Projekt. Dann schreibe ich Konzepte für Events oder ganze Veranstaltungsreihen, feile an unserer Strategie für die nächsten Monate, führe Gespräche mit Kandidaten fürs Team oder treffe mich mit Partnern. Einen richtigen Alltag gibt es zwar nicht, es ist viel komprimierter als ein klassischer Job. Gleichzeitig ist es enorm bereichernd, gemeinsam mit dem Team Ergebnisse zu erzielen und für eine Sache zu kämpfen, die mich persönlich betrifft.
Tipps für das nebenberufliche Gründen
Solltet ihr selbst nebenberuflich gründen wollen, möchte ich euch Folgendes mitgeben:
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Habt immer euer Ziel vor Augen und lasst euch von kleinen Rückschlägen nicht entmutigen – es kann nie alles klappen.
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Geht sorgsam mit eurer Zeit und eurer Energie um: Die inneren Ressourcen sind begrenzt, ihr solltet euch immer fragen, ob das, was ihr gerade macht, euch dem Ziel näher bringt.
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Gebt in Diskussionen nicht nach: Gerade Frauen neigen manchmal dazu, sich durch schlechte, aber lautstark vorgetragene Argumente entmutigen zu lassen. Dabei gibt es dafür keinen Grund.
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Seid hungrig nach konstruktivem Feedback: Lasst euer Konzept challengen, konstruktives, genaues Feedback bringt euch immer weiter.
Ich bin davon überzeugt, dass jede von uns nebenberuflich Großes schaffen kann. Man braucht nur viel Lust, einen Plan, etwas Energie und einiges an Durchhaltevermögen. Allen, die es vorhaben, drücke ich ganz fest die Daumen!
Natalya Nepomnyashcha hat es gewagt und nebenberuflich gegründet. Bild: Holger Boening | Netzwerk Chancen
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