Foto: Infographics Group

Was wir von den ersten Feministinnen lernen können

Seit 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen. Angetrieben durch die erste Welle von Feministinnen wurde das Gesetz am 12. November 1918 verabschiedet. Noch heute können wir von ihren Organisationsstrukturen lernen.

Den Fortschritt antreiben

Das Frauenwahlrecht feiert dieses Jahr seinen 100. Geburtstag. Die erste Welle der Feminist*innen war die treibende Kraft hinter dem Gesetz, das am 12. November 1918 verabschiedet wurde. Sabine Devins von der Infographic Group hat sich die Mühe gemacht, sich durch Archive, Protokolle und Briefe zu arbeiten, um zu verstehen, wie die Frauennetzwerke damals agiert haben. In einer Infografik hat die Managing Editorin zusammen mit Forscher*innen, Akademiker*innen und Grafiker*innen Zusammenhänge aufgelistet. Wir haben mit Sabine darüber gesprochen, was wir von den Feminist*innen lernen können, und das ist vor allem eins: Netzwerken. Ob beruflich, privat oder politisch – sich zu organisieren und gemeinsam ein Ziel anzustreben, treibt Fortschritte an. Wie das geht, erklären wir euch anhand der historischen Personen.

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Sabine Devins hat Dokumente und Akten in diversen Archiven gewälzt, um Zusammenhänge aufzuzeigen. Quelle: Infographics Group

1. Spreche über deine Ziele  – so wie Anita Augspurg

Anita Augspurg war die erste deutsche Juristin. Den Titel musste sie sich über Umwege erarbeiten. Denn in Deutschland war es Frauen zu ihrer Zeit nicht gestattet, an Universitäten Jura zu studieren. Anita Augspurg engagierte sich schon in jungen Jahren für die Rechte der Frauen und wollte das auch beruflich fortführen. Weil sie jedoch nicht in Deutschland studieren durfte, zog sie in die Schweiz, wo sich auch Frauen für Jura einschreiben konnten. Auch in Zürich blieb Anita Augspurg politisch aktiv und gründete mit Rosa Luxemburg den Internationalen Studentinnenverein. Mit der Doktorarbeit in der Tasche kehrte die Feministin 1897 zurück nach Deutschland.

Dort wurde Anita Augspurgs Abschluss nicht ohne Weiteres anerkannt. Um offiziell als promovierte Juristin zu gelten, musste sie kämpfen. Bemerkenswert war dabei, dass sie ihre Ziele immer offen kommuniziert hat. Zusammen mit Minna Cauer brachte sie Zeitungen in den Druck, in denen sie ihre Forderungen nach freier Bildung für alle zugänglich machte. Bewusst und bestimmt publizierte sie immer mit ihrem Doktortitel, den ihr viele nicht zugestehen wollten. Anita Augspurg ließ die Welt wissen, wo sie hin möchte und für was sie kämpft.

Und genau das können wir uns von ihr abschauen: Letztendlich hat sie es geschafft, dass ihr Doktortitel in Deutschland anerkannt wurde, weil sie ihre Forderungen mit anderen geteilt und auf sich aufmerksam gemacht hat. Mitstreiter*innen können einem nur helfen, wenn sie wissen, wobei sie einen unterstützen sollen. Egal ob beruflich, persönlich oder politisch – es empfiehlt sich, über die eigenen Ziele zu sprechen. Denn wie sollen potenzielle Verbündete ansonsten wissen, in welches Boot wir sie holen wollen?

2. Solidarisiere dich – so wie August Bebel

„Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.“ – August Bebel

„August, ick liebe Dir“, dieser Spruch soll von Rosa Luxemburg stammen. August Bebel war ein bedeutender Mann für die Frauenrechtsbewegung vor über 100 Jahren. Der Begründer der SPD nutzte seine privilegierte Position, um anderen Frauen zu helfen. 1879 – eine Zeit, in denen Frauen weder ihrem Wunsch nach Bildung noch Arbeit nachgehen dürfen – erscheint sein Buch „Die Frau und der Sozialismus“. Darin formuliert er, wie ein gleichberechtigter Alltag aussehen sollt: „Sie [die Frau] treibt Studien, leistet Arbeiten, genießt Vergnügungen und Unterhaltungen mit ihresgleichen oder mit Männern, wie es ihr beliebt…”

Obwohl August Bebel für derartige Aussagen auf Parteitagen ausgelacht wurde, erhob er trotzdem weiterhin seine Stimme für diejenigen, deren Forderungen kein Gehör fanden. Er war ein Mann, der sich seiner Privilegien bewusst war. Denn er hatte zahlreiche Rechte, die Frauen nicht hatten. August Bebel verstand seine Sonderposition und erkannte seine Verantwortung darin.

Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden. Auch wenn Frauen inzwischen seit 100 Jahren wählen dürfen, gibt es noch immer viele Ungerechtigkeiten, die oft genau denjenigen nicht auffallen, die davon profitieren. Das Problem muss gar nicht einmal sein, dass die Profitierenden schlechte Absichten hegen, es ist vielmehr so, dass sie ihre Privilegien als selbstverständlich wahrnehmen. So wie es vor über 100 Jahren für Männer selbstverständlich war, dass sie das Straßenbild prägten, die einzigen waren, die ein Bier im Salon bestellten und alles in der Politik bestimmen durften.

Preußisches Vereinsgesetz §8: Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, dürfen keine Frauenpersonen, Schüler oder Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen.

Weiß, hetero, gebildet – das sind alles Privilegien, die wir, wie damals August Bebel, nutzen können, um ein starkes Netzwerk aufzubauen. Help the next woman up!

3. Denke in großen Netzwerken – so wie Clara Zetkin

Auch wenn die Welt vor über 100 Jahren alles andere als vernetzt war, dachten die Feminist*innen der ersten Stunde fortschrittlich und global: Die Frauenrechtlerin Clara Zetkin arbeitete als Hauslehrerin, bevor sie 1882 nach Paris zog. Wie Anita Augspurg nutzte sie die Macht der Öffentlichkeit für ihre Forderungen. Sie veröffentlichte die Broschüre „Die Arbeiterinnen – und Frauenfrage der Gegenwart“. Ihre Erfahrungen aus dem Ausland und den Wissensschatz nahm sie mit zurück nach Deutschland. In ihrer neuen Heimat Stuttgart spannte sie ein groß gedachtes Netzwerk auf, das international Anknüpfungspunkte fand. Sie organisierte Frauenkonferenzen mit einem breiten Publikum, schrieb in Zeitungen auch über Revolutionen außerhalb von Deutschland und lud unterschiedliche Funktionäre sowie Politiker zu sich nach Hause ein – selbst Lenin war ihr Gast.

Clara Zetkin weitete ihren Schaffensbereich aus und konzentrierte dadurch ihre Wirkung nicht nur auf einen Punkt. Und das ist genau das, was wir von ihr lernen können: Den Fokus stets offen halten. Hin und wieder rauszuzoomen aus dem spezifisch kleinen Kreis, in dem man gerade arbeitet, eröffnet neue Perspektiven. Breit gespannte Netzwerke sind eine Ressource mit weitreichender Kraft – damals wie heute.

4. Wende dich an deine Community – so wie der IAW

Neuseeland und Australien waren die ersten Länder, die ein universelles aktives Wahlrecht für Frauen einführten. Als sich 1902 die International Alliance of Women (IAW) gründete, wollte der Verband von dem fortschrittlichen Denken aus Down Under profitieren, um das Frauenwahlrecht international in das Gesetzbuch zu bringen. Anita Augspurg und Marie Stritt, die sich von Anfang an beim IAW engagierten, standen deshalb im engen Austausch mit Feminist*innen aus Australien und Neuseeland. Doch Ideen und Erfahrungen ließen sich nicht so einfach über E-Mail und Telefonate austauschen, wie wir es heute gewohnt sind.

Deshalb wollte der IAW unbedingt eine Vertreterin des Frauenwahlrechts in Australien zur ersten Konferenz in Washington einladen. Um 1900 war die Reise auf einen Kontinent allerdings nicht so einfach wie heute. Die einzige Option war eine wochenlange Fahrt auf dem Dampfer über den Ozean. Der Preis für eine Schifffahrtskarte lag dabei verhältnismäßig weit über dem, was wir heute für Billigflieger bezahlen. Um das Ticket für eine australische Gastrednerin bezahlen zu können, vertraute der IAW auf sein Netzwerk.

Noch vor Zeiten, in denen auf Facebook Links zu Crowdfunding-Kampagnen geteilt wurden, riefen sie in Zeitungen und Flugblättern zu Spenden auf. Zahlreiche Unterstützer*innen überwiesen Geld auf ein Konto, von dem eine Schifffahrtskarte für die Überfahrt gekauft werden konnte. Der Verband hat früh verstanden, dass großes Potenzial bei denen liegt, die in weiteren Kreisen für die gleichen Ziele einstehen. Sich an die zu wenden, die hinter einem stehen, ist etwas, das wir uns von den Feminist*innen der ersten Stunde abschauen können.

5. Kämpfe für Gemeinsamkeiten – so wie Marie Stritt

Marie Stritt engagierte sich nur für den internationalen Austausch, sondern setzte sich auch aktiv für Mutterschutz ein. Dabei trafen ihre Vorstellungen einer Sexualreform nicht bei allen Feminist*innen der ersten Welle auf Zustimmung. Marie Stritt verurteilte beispielsweise  §218, der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte. Vor allem Frauen, die sich selbst zur bürgerlichen Frauenrechtsbewegung zählten, teilten diese Forderung nicht. Marie Stritt selbst positionierte sich im radikalen Flügel der Frauenbewegung.

Auch wenn Marie Stritt nicht alle Anschauungen teilte und durchaus streitlustig war, ging sie in den Dialog. Das brachte die Feminist*innen voran, anstatt sie zu spalten. Diese Taktik kann uns auch heute noch beim Netzwerken helfen: Die Gemeinsamkeiten mit anderen ausfindig machen und als Basis für Fortschritt nutzen. Denn wenn sich die ersten der Feminist*innen in ihren einzelnen Bewegungen separiert und abgekapselt hätten, dann hätten sie sich vielleicht so sehr aus den Augen verloren, dass die Kämpfe für das Frauenwahlrecht ihre geballte Kraft verloren hätten.

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