Stefanie Stahl

Kann man People Pleasern vertrauen? –Psychologin Stefanie Stahl im Interview

In der 46. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“ ist Deutschlands bekannteste Psychologin zu Gast: Stefanie Stahl. Bereits in der 10. Folge sprach sie mit Host Tino Amaral über Bindungsangst. Diesmal geht es um das weitverbreitete Phänomen „People Pleasing“.

Wie wird man überhaupt zum People Pleaser? Welche kurz- und langfristigen Auswirkungen kann People Pleasing haben? Kann man People Pleasern überhaupt vertrauen? Und welche Strategien und Techniken sind zu empfehlen, wenn ein People Pleaser das eigene Verhalten ändern möchte? Diese und noch viele weitere Fragen beantwortet Steffi in dieser Folge.

Liebe Steffi, wie wird ein Mensch überhaupt zum People Pleaser?

„Für die Persönlichkeit eines Menschen spielen zwei Faktoren eine entscheidende Rolle: Zum einen bestimmen die Gene, ob man eher eine robuste Natur mit hoher Widerstandskraft hat oder ob man sensibler, ängstlicher und feinfühliger durchs Leben geht. Zum anderen haben die eigenen Eltern und die Umwelt einen großen Einfluss darauf, wie man seinen eigenen Wert wahrnimmt und was man glaubt, tun zu müssen, um geliebt zu werden.

Wenn Eltern wenig Einfühlungsvermögen zeigen, Schwierigkeiten haben, mit den Gefühlen ihres Kindes umzugehen, oder keine starke Bindung aufbauen können, übernimmt oft das Kind die Verantwortung für das Gelingen der Beziehung. Es lernt früh, sich an die Bedürfnisse und Erwartungen der Eltern anzupassen.

Dieses tief eingeprägte Kindheitsmuster wird später auf andere Menschen übertragen und bis ins Erwachsenenleben fortgeführt. Solche Menschen entwickeln sehr feine Antennen für die Bedürfnisse ihres Gegenübers und wissen genau: ,Wie bist du drauf? Und wie muss ich sein, damit du mich lieb hast?‘ People Pleaser übernehmen meist die hundertprozentige Verantwortung dafür, dass die Beziehung zum anderen okay ist, dass sie gelingt und dass sie nicht abgelehnt werden.“

Welche kurz- und langfristigen Auswirkungen kann People Pleasing denn auf die Psyche eines Menschen haben?

„People Pleaser haben schon früh gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse beiseitezustellen. Viele wissen daher gar nicht, was sie überhaupt wollen. Das führt oft dazu, dass sie keinen guten Kontakt zu Gefühlen wie Überforderung und Überlastung haben, was sie letztlich besonders anfällig für einen Burnout macht.

Natürlich gibt es viele äußere Faktoren, die zu einem Burnout beitragen, aber in den meisten Fällen liegt die Ursache in der mangelnden Fähigkeit, sich abzugrenzen. Wenn man sich selbst kaum wahrnimmt, fällt es natürlich schwer, ,Nein’ zu sagen.

„Bei People Pleasern kann schon ein kleines Körnchen Salz genügen, um alte Wunden im Selbstwertgefühl wieder aufzureißen.“

Stefanie Stahl

People Pleaser belasten auch oft ihre Beziehungen, weil man häufig nicht weiß, woran man mit ihnen ist. Wenn ich zum Beispiel einem People Pleaser mit einem frechen Spruch auf die Füße trete, werde ich wahrscheinlich nie erfahren, dass es ihn verletzt hat. Im schlimmsten Fall beendet er einfach die Freundschaft, indem er sich zurückzieht und plötzlich keine Zeit mehr hat, anstatt offen zu sagen: ,Du Steffi, was du da neulich gesagt hast, hat mich ein bisschen verletzt.’

Bei People Pleasern kann schon ein kleines Körnchen Salz genügen, um alte Wunden im Selbstwertgefühl wieder aufzureißen – und dann ziehen sie sich gekränkt zurück.

Mein Appell an People Pleaser, die sich hier wiedererkennen: Ihr seid keine schlechten Menschen. Aber macht euch bewusst: ,Ist es fair, was ich hier gerade mache? Ist das wirklich freundschaftlich? Wäre es nicht viel fairer, wenn ich jetzt sage, was in mir vorgeht? Dann hat man vielleicht auch eine Chance, das ganz schnell zu klären.’“

Kann man starken People Pleasern eigentlich vertrauen? Denn je nach Gesprächspartner*in, je nach Situation, sind sie ja stets der oder die Verbündete einer anderen Person, oder?

„Schwierig zu beantworten. Also meine erste spontane Reaktion wäre: Nein, kann man eigentlich nicht. Weil man eben nicht weiß, woran man mit ihnen ist. Weil sie sich im Zweifelsfall nicht für dich starkmachen werden, weil sie dafür zu viel Angst haben. Aber ich finde das jetzt sehr streng, weil ich kenne so viele nette People Pleaser.“

Wie bei so vielen Dingen, gibt es wahrscheinlich auch eine Art Spektrum, oder? Also nicht jeder People Pleaser handelt gleich und wir sprechen hier natürlich auch eher von den ausgeprägteren Formen.

„Absolut.“

Welche Strategien und Techniken empfiehlst du denn Menschen, die ihr People Pleasing-Verhalten ändern möchten?

„Das Wichtigste ist, den Wert der Fairness bei sich zu installieren und innezuhalten, bevor man wieder reflexartig seine Muster abspult. Viktor Frankl, dieser berühmte österreichische Neurologe und Psychiater, hat immer gesagt: ,Frage dich weniger, was dich glücklich macht, sondern vielmehr was sinnvoll ist.‘ Ich füge dem hinzu: Frage dich, was anständig und fair ist und nicht, wie du dich selbst am besten beschützen kannst.

People Pleaser denken oft, sie wären unglaublich altruistisch und zu gut für diese Welt. Aber wenn man sich mal knallhart reflektiert, geht es ja eigentlich nur darum, sich selbst zu beschützen. Und das ist nicht immer fair und auch nicht immer sinnvoll.

Neben der Installation dieser höheren Werte sollten People Pleaser vor allem am eigenen Selbstwert arbeiten. Wer mein Buch ,Das Kind in dir muss Heimat finden’ kennt, kennt auch das Schattenkind. Im Schattenkind sind negative Glaubenssätze verankert, die belastende Gefühle auslösen. Diese Gefühle will man natürlich nicht haben. Also entwickelt man eine Schutzstrategie, damit der Glaubenssatz möglichst selten getriggert wird.

People Pleasing, Perfektionsstreben, Konfliktscheue und so weiter – das sind ganz typische defensive Schutzstrategien, die einfach nur darauf ausgerichtet sind, im zwischenmenschlichen Kontakt nicht verletzt zu werden. Deswegen ist es so wichtig, auf das eigene Selbstwertgefühl zu reflektieren und sich mal zu fragen: Woher habe ich das eigentlich? Was hat das mit früher zu tun? Was hat das mit Eltern, Geschwistern, Lehrer*innen zu tun? In 99 Prozent der Fälle sind das unglückliche Botschaften aus der Vergangenheit.

Man muss sich auch auf einer ganz tiefen Ebene bewusst werden, dass die eigenen Prägungen und Lebensumstände reinste Willkür waren und absolut gar nichts über den eigenen tatsächlichen Wert aussagen. Erst dann kann man aufhören, sich damit zu identifizieren.“

Warum fällt es manchen Leuten so schwer, alte Muster loszulassen?

„Wenn ich plötzlich sage: ,Ich genüge, wie ich bin, und ich darf auch mal Nein sagen’, müsste ich ja darauf vertrauen, dass die anderen mich trotzdem noch mögen. Und das macht vielen Leuten Angst und sie halten lieber an den negativen Glaubenssätzen fest.

Aber die frohe Botschaft ist: Ich habe so viele Leute psychotherapeutisch mit diesem Muster begleitet, die dann mutiger und dadurch auch klarer wurden. Sie haben ausnahmslos die Erfahrung gemacht, dass ihr Umfeld das feiert, weil sie klarer sind und damit auch leichter im Umgang. Es ist so viel einfacher, mit Menschen umzugehen, von denen ich weiß, woran ich mit ihnen bin.“

Viele People Pleaser sind sich nicht im Klaren darüber, was die eigenen Qualitäten, Wünsche und Bedürfnisse sind. Wie findet man das denn am besten heraus?

„Das gelingt am besten durch die Schulung der Aufmerksamkeit, was man heute auch als Achtsamkeit bezeichnet. People Pleaser neigen dazu, ihre Gefühle reflexartig zu verdrängen. Wenn zum Beispiel ein bisschen Trauer oder Angst hochkommt, wird das sofort unterdrückt und beiseite geschoben. Stattdessen sollte man diesen Gefühlen Raum geben und sagen: ,Okay, was ist das jetzt für ein Gefühl?‘ – und es einfach mal fühlen.

Ich empfehle, mehrmals am Tag innezuhalten, egal in welcher Lebenssituation man gerade ist – ob im Teammeeting, mit Freund*innen, allein oder beim Spaziergang im Wald – und sich zu fragen: ,Wie fühle ich mich eigentlich gerade?“ Das sollte man regelmäßig trainieren.

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Noch mehr Impulse gibt uns Stefanie Stahl in der 46. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“. Zusammen mit Host Tino Amaral beantwortet sie unter anderem die Frage, wie man herausfinden kann, ob man es mit einem People Pleaser zu tun hat und ob es Geschlechterunterschiede im People Pleasing gibt. Die Folge findet ihr über diesem Absatz, mit einem Klick in den Header und überall dort, wo es Podcasts gibt.

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Bei „Echt & Unzensiert“ beleuchtet Host Tino Amaral gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen vermeintliche Tabuthemen, macht auf Missstände aufmerksam und gibt wichtige Denkanstöße, die deinen Blick auf die Welt für immer verändern werden. Auch einige Promis haben bei ihm schon private Einblicke gegeben und wichtige Erkenntnisse geteilt. Welches Thema würdest du gerne mal hören? Lass es uns bei Instagram wissen!

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