Nach einem Burnout zurück ins Leben zu finden ist gar nicht so leicht. Unser Community-Autor berichtet von seinen Erfahrungen.
Irgendwann zog mein Körper die Reißleine
Seit etwa einem Jahr sehe ich mich mit der Diagnose „Psychovegetative Erschöpfung” konfrontiert. Die Symptome habe ich schon wesentlich länger, doch wie es meistens so ist, habe ich diverse Anzeichen über Monate und Jahre geflissentlich ignoriert, bis der Körper schließlich die Reißleine zog.
Eines Morgens fand ich mich in unserem Badezimmer wieder. Ich vermutete eine Unverträglichkeit hinsichtlich der Pizza vom Vorabend. Nach mehreren Stunden auf der Toilette verließen mich dann aber langsam aber sicher die Kräfte.
Ich hatte eine Ahnung, dass mein Körper jeden Moment den Geist aufgeben würde und bat meine Frau deshalb um Hilfe. Kaum war sie da, durchfuhr meine Gliedmaßen ein immer stärker werdendes Kribbeln. Ich weiß noch, dass ich versuchte das Gefühl irgendwie einzuordnen und dachte, so fühlt es sich also an, wenn dir jemand Überbrückungskabel an Füße bzw. Hände klemmt und langsam die Voltzahl hochdreht. Was sich heute beinahe leicht erzählen lässt, war damals alles andere als amüsant.
Das Rauschen in Armen und Beinen wurde stärker, bis schließlich eine Taubheit von mir Besitz ergriff, die mir jede Kontrolle über meinen Körper nahm. Ich schaute auf meine in Pfötchenhaltung verkrampften Hände und konnte sie einfach nicht mehr bewegen. Panisch stellte ich fest, dass sich das seltsame Kribbeln auch in meinem Kopf breitmachte. „Das soll´s also gewesen sein”, dachte ich. „So fühlen sich Schlaganfall oder Herzinfarkt an. Gleich fällst du um und das mit Mitte 30.” Ich hyperventilierte. Meine Frau, die mittlerweile den Notarzt verständigt hatte, weinte und versuchte mich zu beruhigen. Erst als mich die Sanitäter die Treppe runtertrugen und ins Krankenhaus brachten, fuhr mein Körper langsam wieder zurück in einen annehmbaren Modus.
Diagnose: Magen-Darm-Infekt
Ich litt bereits seit Jahren unter sporadisch auftretenden Magen-Darm-Krämpfen und reimte mir irgendwann eine Laktoseintoleranz zusammen. Der Verzicht auf Laktose-Produkte schien die Problematik zu beheben oder zumindest deutlich zu reduzieren und somit konnte ich mich vor weiteren Untersuchungen vorerst drücken. Hiervon überzeugte ich auch die Ärzte im Krankenhaus. Ich erzählte ihnen von der Vorabendpizza, dass ich hiermit schon seit längerem zu kämpfen hätte, versprach zu Testzwecken auf einen Laktose-Cocktail vorbeizukommen, dann ließen sie mich wieder gehen.
Einen Tag später ging ich wie gewohnt zur Arbeit. Am Wochenende darauf allerdings war ich erneut im Krankenhaus. Mit dem Gefühl entweder total neben mir zu stehen oder jeden Moment umkippen zu müssen, wurde ich an meine Hausärztin verwiesen, die mich prompt aufgrund eines Magen-Darm-Infektes krankschrieb.
Ich ruhte mich aus, ließ die Woche vorüberziehen und stellte mich erneut dem Alltag. Doch irgendwie wollte nichts mehr so richtig funktionieren. Treppensteigen, nur um das Stockwerk zu wechseln, wurde zu einem Gewaltakt, nach dem ich mir erstmal eine halbe Stunde Schlaf gönnen konnte. Bei fortgeschritteneren körperlichen Anstrengungen wurde mir schwindelig und schwarz vor Augen. Meine Stimmung sank mit jeder Anforderung, mit jedem „Muss” immer tiefer in den Keller. Nicht zu wissen, was da überhaupt mit mir passierte, nahm mir jede Orientierung und ließ mich zunehmend verzweifeln. Also schrieb ich meine Therapeutin an, die ich vor einigen Jahren in einer anderen Sache konsultiert hatte und bat um einen Termin. Und dann kam langsam Licht ins Dunkel.
Burnout anstatt Kreislaufkollaps
„Herr Suhre, Sie sind erschöpft! Drei kleine Kinder, die Sanierung eines Altbaus und eine 32-Stunden-Woche? Das geht an niemandem spurlos vorüber! Vor allem dann nicht, wenn man, wie Sie, in all diesen Dingen zu wenig auf sich achtet. Was Sie da hatten war eine handfeste Panikattacke. Durch Unachtsamkeit haben Sie die Tür zur Panik geöffnet und nun heißt es, diese Tür wieder zu schließen. Und ihre langjährigen Magen-Darm-Beschwerden sind sicherlich ebenfalls psychosomatisch begründet.“
„Aha! Was kann ich tun?“
„Sie brauchen eine Pause. Wenn ich Sie mit der Diagnose Erschöpfung zum Hausarzt schicke, schreibt Sie dieser für mindestens 14 Tage krank.“
Die Hausärztin schlug mindestens drei Wochen vor, doch ich handelte sie auf 14 Tage runter. „Eine so lange Auszeit, um wieder in die Spur zu kommen braucht kein Mensch.“ Aus den 14 Tagen wurden drei Monate, mit anschließender zweimonatiger Wiedereingliederung, in der ich langsam die Stundenanzahl erhöhte, bis ich mich auf dem Volumen einer halben Stelle befand, die ich bis heute halte.
Psychovegetative Erschöpfung als Neuanfang
Ich erinnere mich, dass ich meiner Therapeutin vor einigen Wochen folgende Frage stellte: „Auch wenn es mir inzwischen deutlich besser geht, überkommen mich nach wie vor ab und an Phasen körperlicher und mentaler Erschöpfung. Wann kann ich endlich wieder in den Zustand vor diesem ganzen Schlamassel zurück? Wieso kann ich nicht längst schon wieder die Energie aufbringen, die mir vor alledem zur Verfügung stand?“
Das tolle an der Herangehensweise meiner Therapeutin ist, dass sie mir hilft Fragen wie diese selbst zu beantworten. Das Ungleichgewicht meiner bisherigen Lebensweise hat mich erst in diesen Schlamassel geführt. Es ist wichtig nicht zurück, sondern nach vorne zu schauen und sich ein neues Gleichgewicht zu erarbeiten. Das ist ein anstrengender und langwieriger Prozess, der von Höhen und Tiefen geprägt ist und der Ausdauer und Geduld erfordert.
Eine Veränderung der Lebensumstände ist oft nicht leicht und geschieht nicht von Heute auf Morgen. Lasse ich aber das vergangene Jahr Revue passieren, dann sehe ich die vielen positiven Ergebnisse der Veränderungen, die ich oder wir als Paar und Eltern durchgeführt haben. Tage, an denen ich so richtig in den Seilen hänge, gibt es nach wie vor, aber sie werden immer seltener. Außerdem kann ich sie einordnen und weiß mit ihnen umzugehen. Der Prozess der Umstrukturierung kann auch Spaß machen und ich bin gespannt auf die Veränderungen, die uns noch bevor stehen.
Nachwort
Unterhalte ich mich über dieses Thema mit anderen Leuten, dann erfahre ich oft, dass entweder mein Gesprächspartner selbst oder eine Person aus seinem unmittelbaren Umfeld ebenfalls mit der Thematik vertraut ist. Von Hörensagen weiß ich, dass die Anzahl der an Burnout erkrankten Mitarbeiter in großen deutschen Konzernen jährlich Kosten in Millionenhöhe verursachen und stellt man weitere Recherchen an, dann wird man Deutschland als eines der Länder mit den meisten Burnout-Erkrankungen in Rankings zu dieser Thematik finden.
Zum Thema „Psychovegetative Erschöpfung” ist längst nicht alles gesagt und ich habe mir fest vorgenommen, weitere Artikel mit meinen Erfahrungen zu verfassen. Natürlich freue ich mich aber auch über einen Meinungsaustausch mit euch. Wie sehen eure Erfahrungen aus?
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