Foto: Pexels

Alle wollen kreative Mitarbeiter – aber dann muss unser Schulsystem diese Fähigkeit auch fördern!

Im deutschen Schulsystem bleibt kaum Raum für Kreativität und den Ausbau individueller Talente. Dabei kommt es darauf im späteren Berufsleben häufig an – und genau deshalb, muss sich hier etwas ändern. Ein Erfahrungsbericht darüber, wie die Lust am Lernen zurückkam.

 

Lernen unsere Kinder in Schulen wirklich das, was sie später einmal brauchen?

Die deutsche Wirtschaft schreit nach kreativem Potenzial. Denn Startups wollen wahrgenommen und Konzerne nicht vergessen werden – doch dafür braucht es gute Ideen. Und auch der Mittelstand investiert verstärkt in Innovation und Kommunikation. Blöd nur, dass das deutsche Bildungssystem in den meisten Fällen so gar nicht auf die derzeit so stark gefragten kreativen Fertigkeiten ausgerichtet ist.

Aber von vorne: Ich war nie eine begeisterte Schülerin. Während der Kindergarten mein persönliches Paradies darstellte, tat ich mich mit den starren Strukturen des Schulsystems von Anfang an schwer. Vorbei war die Zeit des Individuums. Alle hatten gleichermaßen zu funktionieren. Individuelle Stärken und Schwächen galt es im besten Falle zu beseitigen – so dass der gemeinschaftliche Lernrythmus optimiert werden konnte. Ich fügte mich also diesem System, doch Jahr für Jahr fiel mir der Gang in den Betonklotz schwerer. Wissen in mein Gehirn pressen, wiedergeben und mit dem darauf folgenden Partyexzess alles wieder vergessen machen, was war der Sinn dahinter? Wann kommt die Praxis der erlernten Inhalte? Wie sollte man dieses Wissen behalten, wenn man es im Zweifel erst Jahre später anwenden können würde. Wenn überhaupt…

Über ein Lernen, bei dem die eigenen Talente berücksichtigt werden

Mit sechzehn flüchtete ich für ein Jahr in die USA. Im Nachhinein kann ich es tatsächlich als Flucht bezeichnen, zum damaligen Zeitpunkt hätte ich diese Bezeichnung allerdings lautstark bestritten. Es war ein Jahr voller Herausforderungen – mit sechzehn Jahren musste ich auf einmal eigene Entscheidungen treffen, war durch mein Umfeld zum ersten Mal in meinem Leben mehrfach mit dem Thema Alkoholismus konfrontiert, fühlte mich auf Grund von Gesetzen und Regeln so gar nicht frei im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Und lernte so mein Leben und die Freiheit in der eigenen Heimat langsam aber sicher zu schätzen. Allerdings gab es einen gewaltigen Unterschied zu meinem Leben in Deutschland: Ich ging auf einmal gerne zur Schule! Und das bedeutete nicht Unterricht von 7.50 Uhr bis maximal 13.00 Uhr. Mein Schultag ging bis 16.00 Uhr – von Montag bis Freitag.

Das klingt in den Ohren eines Schülers wahrscheinlich erst einmal nach einer Verschlechterung, schließlich muss man mehr Zeit in der Schule verbringen. Was also war verantwortlich für meinen Einstellungsumschwung? Ich wurde zum ersten Mal in meiner Schullaufbahn vor die Wahl gestellt. Durfte – neben gewissen Pflichtfächern – Kurse belegen, die meinen tatsächlichen Interessen entsprachen. So bestand mein Stundenplan neben Fächern wie Advanced Math, American History und English nun auch aus Fächern wir Advanced Art, Speech und Drama. Und endlich wachte ich morgens auf und freute mich tatsächlich auf den folgenden Unterricht. Es ist definitiv nicht meine Intention zu behaupten, das amerikanische Schulsystem sei besser als das deutsche. Aber vielleicht können wir uns ein paar Dinge abschauen.

Thinking outside the Box – aber wie, wenn niemand zeigt wie das geht?

Wir wäre es zum Beispiel mit etwas mehr Freiraum den Unterricht proaktiv mitzugestalten, statt starrem Frontalunterricht? Vor allem das Fach Speech ( also zu deutsch Rhetorik) hat mir in mehrfacher Weise geholfen. Es lehrte mich, mir Gedanken über das was ich ausdrücken möchte zu machen und ebendiese Inhalte in geeignete Struktur zu bringen. Zudem, und das ist wahrscheinlich eine der wichtigsten Praktiken die in deutschen Schulen fehlt, lehrte es mich aufzustehen und vor teilweise fremden Menschen frei zu sprechen sowie mit ihren Fragen konfrontiert zu werden. Eine Fähigkeit, die ich sowohl während meines Studiums sowie auch jetzt in meiner beruflichen Laufbahn immer wieder brauche und die in Deutschland leider nicht stark genug gefördert wird.

Thinking outside the Box: In gefühlt jeder dritten Stellenausschreibung wird diese Fähigkeit gefordert. Allerdings sind es meist kreative Fächer, welche an deutschen Schulen als erstes gestrichen werden, wenn nicht genug finanzielle Mittel oder Lehrkräfte verfügbar sind. So war es mir beispielsweise nicht möglich Kunst als Leistungsfach zu belegen. Ein Fach welches in Deutschland häufig belächelt wird, da es nach Meinung der Mehrheit gegenüber stärker wissenschaftlich orientierten Fächern als nicht gleichwertig angesehen wird. Allerdings waren es in den USA gerade Fächer wir Advanced Art und Drama, welche meine Kreativität förderten und mir Freiräume zur (Persönlichkeits-)Entwicklung gaben. Welche mich dazu brachten, innere Grenzen zu überwinden, Scham abzulegen, über mich selbst zu lachen und mutig zu experimentieren.

Motivation statt Druck

Ein wenig mehr Freude im Land der Pessimisten. Während ich meine Schul- und Universitätslaufbahn in Deutschland größtenteils mit Leistungsdruck verbinde, mit der Zurschaustellung schlechter Leistungen (nein, das hier ist keine Abrechnung – ich gehörte zu den Schülern mit kontinuierlich guten Noten. Aber ich hatte schon damals kein Verständnis dafür, wenn Schüler mit schlechten Noten vor der Klasse zur Schau gestellt wurden) und dem Auswendiglernen teilweise kompletter Bücher, merkte ich in den USA, dass Inhalte auch auf motivierende Art und Weise vermittelt werden können. So lernte ich im Mathematik-Unterricht die gleichen Inhalte wie meine Mitschüler in Deutschland, aber der Druck war auf einmal verschwunden. Es machte Spaß, sich zu beteiligen. Ein bisschen mehr Interaktion und Lob statt Tadel, das macht manchmal schon einen großen Unterschied.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass das keine Schönmalerei des amerikanischen Schulsystems darstellen soll. Mir ist beispielsweise immer noch unklar, warum American History ein Pflicht-, World History hingegen nur ein Wahlfach darstellt. Warum im Chemieunterricht Gummibärchen mit dem Bunsenbrenner aneinander geklebt werden. Warum Leistungssportler trotz schlechter Leistungen häufig durchgewunken werden. Um nur einige oberflächliche Dinge zu nennen…

Aber vielleicht können wir uns ja ein paar positive Dinge abschauen, wenn wir schon im Land der ständigen Optimierung leben. Nur, weil die Schule uns für das spätere Leben ausbilden soll, muss der Weg nicht konsequent anstrengend und von Druck geprägt sein. Ganz im Gegenteil, er sollte Lust auf die Zukunft machen, motivieren und die individuellen Talente aufdecken. Er sollte Mut fördern und Schüchternheit überwinden. Erst neulich habe ich von einer Schule in Hamburg gelesen, welche ihren Schülern jede Woche ein gewisses zeitliches Pensum zur Verfügung stellt, um eigene Fragen zu erforschen. Ein toller Ansatz, wie ich finde. Mehr Freiraum führt schließlich zu kreativem Denken. Und somit zu Innovation. Und dass diese wichtig und gewollt ist, wenigstens darin sind wir uns wahrscheinlich alle einig.

Mehr bei EDITION F

Frust statt Lernlust: Warum ich an dieser Berliner Schule keine Lehrerin mehr sein wollte. Weiterlesen

Schule als Tech-Startup – im Silicon Valley wird die Bildung der Zukunft getestet. Weiterlesen

Warum die Schule der richtige Ort ist, um Programmieren zu lernen – besonders für Mädchen. Weiterlesen

Anzeige