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Sexismus in der Werbebranche: „Die nachkommende Generation hat keinen Bock mehr, in einer Industrie zu arbeiten, die so woke ist wie ein CSU-Ortsverein“

Eine Umfrage des Adgirlsclub, ein Kollektiv von Frauen aus der Werbebranche, zeigt, wie sexistisch die Strukturen ihrer Branche sind. In einem offenen Brief haben sie jetzt den Branchenverband mit ihren Ergebnissen und Forderungen konfrontiert.

Ein halbnacktes Model auf der Motorhaube. Werbesprüche wie: „Genussvolle 17 cm.“ Wohl bemerkt: Hier werden Autos und Hotdogs beworben und keine Menstruationsunterwäsche oder Sexspielzeug für Frauen. Werbung ist nach wie vor sexistisch und Frauenkörper werden als Deko benutzt. Das kennen wir. Aber wie sexistisch sind die Strukturen hinter den Kulissen – in den Agenturen, die für die Inhalte verantwortlich sind? Wie sich vermuten lässt: genauso sexistisch.

Was ist der Adgirlsclub?

Das ganze Ausmaß der Misere zeigt nun eine Umfrage von Aktivist*innen, die selbst in der deutschen Werbebranche arbeiten. „Wir sind ein Kollektiv aus jungen Werbe-Frauen“, stellt sich die Initiative auf Instagram vor. Sie nennen sich: Adgirlsclub – und wollen anonym bleiben, da sie noch immer in der Werbung arbeiten und dort auch bleiben wollen. Aber die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in der Branche, die ungleiche Bezahlung, nicht gerecht verteilte Karrierechancen, sexistische Herabwürdigungen und Übergriffe, die sollen endlich mehr Vielfalt und Gleichberechtigung weichen. 

55 Prozent der Befragten gaben an, keine*n Ansprechpartner*in in der Agentur zu haben, dem*der sie im Falle von sexueller Belästigung oder allgemeiner Diskriminierung vertrauen können.

aus dem Bericht des Adgirlsclubs

Die jungen Frauen haben dafür 630 Frauen zum Thema Sexismus in der Werbebranche befragt. Und die Ergebnisse sind – wie bereits angedeutet – erschreckend: 96 Prozent der Befragten bejahten die Frage: „Findest du, dass die Werbebranche ein Sexismus-Problem hat?“ Aus den Ergebnissen ihrer Umfrage haben die Aktivist*innen eine Konsequenz gezogen: Sie haben einen Brief an den Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA) geschrieben und neben den Ergebnissen ihrer Umfrage auch klare Forderungen gestellt: 

  • Eine Frauenquote von 50 Prozent in den Managementpositionen 
  • Die Offenlegung aller Gehälter
  • Job-Beschreibungen, um bei Einstellungen und Beförderungen eine höhere Transparenz und Fairness zu schaffen 
  • Eine Gleichstellungsbeauftragte im Unternehmen 
  • Einen erleichterten Einstieg für Frauen nach der Schwangerschaft und die Möglichkeit von Eltern- oder Teilzeit für Männer 
https://www.instagram.com/p/CGPY_Man3gj/

Der Sexismus ist omnipräsent

Seine Forderungen stützt der Adgirlsclub auf die erwähnten Ergebnisse ihrer Online-Umfrage, die sie gemeinsam mit einer Arbeitspsychologin entwickelt haben. Sie wollten prüfen, wie sich der Sexismus im Alltag auch in deutschen Agenturen äußert. Die Ergebnisse zeigen: Er ist omnipräsent. 73 Prozent der befragten Frauen fühlen sich in Meetings weniger ernst genommen als ihre männlichen Kollegen und 86 Prozent haben Angst, dass eine Schwangerschaft ihre Karriere negativ beeinflussen könnte. 

Und die Aktivistinnen sammelten mehr als die Prozentzahlen, sie fragten nach konkreten Erfahrungen wie Belästigung, Diskriminierung oder Übergriffe: „In meiner ersten Agentur hat der Chef auf der Weihnachtsfeier Kolleginnen unter den Rock fotografiert.“ „Als ich meine HR-Ansprechpartnerin über meine Schwangerschaft informierte, fragte sie, ob ich nicht wisse wie Verhütung funktioniere“, teilten Befragte ihre Erfahrungen. Die Liste der „unangenehmen Wahrheiten“, wie die Aktivist*innen die geschilderten Erfahrungen in ihrer Ergebnispräsentation nennen, ist lang. Was sich wie eine Aneinanderreihungen von sexistischen Gruselgeschichten liest, zeigt deutlich: Die Werbebranche hat ein Problem. Ein Problem mit Sexismus. 

42 Prozent der Befragten wurden schon einmal in einer Werbeagentur sexuell belästigt.

aus dem Bericht des Adgirlsclubs

Der „Scholz & Friends“-Fall als erster Anstoß

Auf dieses Problem hatte bereits eine Debatte um die Werbeagentur „Scholz & Friends“ im Sommer dieses Jahres aufmerksam gemacht. Damals hatten aktuelle und ehemalige Mitarbeiterinnen der Agentur für einen Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ offen über das sexistische Klima in der Agentur gesprochen. Diese Erfahrungen gleichen denen der „unangenehmen Wahrheiten“, die keine unglücklichen Einzelfälle sind, sondern strukturell bedingt. Und an diesen Strukturen will die Agentur „Scholz & Friends“ nach den Vorwürfen im Sommer arbeiten: Sie verpflichten sich zu einer Frauenquote von 50 Prozent in Managementpositionen bis 2022. Außerdem will die Agentur sich aktiv für mehr Diversität einsetzen und hat mit Catherine Gaudry, die als Head of Talent tätig ist, eine Verantwortliche für den Bereich „Diversity, Equity & Inclusion“ benannt. 

Der Branchenverband GWA zog ähnliche Konsequenzen aus dem „Scholz & Friends“-Fall und  erhob das Thema Diversität in den Vorstand und schaffte ein Ressort für „Gleichstellung, Diversität & Inklusion“, dem Larissa Pohl, Chefin der Werbeagentur „Wunderman“, vorsteht. Der GWA reagiere damit aber nicht explizit auf den „Scholz&Friends“-Fall, sagte Pohl dem Fachmagazin „Werben & Verkaufen“. Der Verband beschäftige sich schon seit geraumer Zeit mit dem Thema. 

Diversität als Kreativitätsgarant

Kein Wunder: Diversität ist ein Kreativitätsgarant und Erfolgsfaktor für Unternehmen, wie eine Studie zeigt. Die gleiche Studie gibt aber auch Einblicke darüber, wie schlecht es aktuell noch um die Diversität in deutschen Unternehmen steht. Denn an der Spitze stehen immer noch in der Mehrzahl ältere Männer.  

Damit soll jetzt endlich Schluss sein. Das Kollektiv Adgirlsclub fordert: „Junge Talente haben verstanden, dass Diversität Kreativität bedeutet. Die Generation, die jetzt nachkommt, hat keinen Bock mehr, in einer Industrie zu arbeiten, die so woke ist wie ein CSU-Ortsverein.“ Doch wie reagiert der Verband auf diese erneuten harten Vorwürfe und Fakten? 

Der Verband zeigt sich gesprächsbereit

Die gerade ernannte Vorständin für Diversität des Verbands, Larissa Pohl, macht in einem Kommentar unter einem Instagram-Post dem Adgirlsclub ein öffentliches Gesprächsangebot: „Liebe Ad Girls, hier ist der GWA bzw Larissa (…). Lasst uns doch mal persönlich sprechen. Ich würde mich darüber freuen. Benjamin auch.“ Ein Gespräch wird bereits in den nächsten Tagen stattfinden, wie uns der Adgirlsclub mitgeteilt hat: „Das Angebot haben wir gerne angenommen und sind gespannt.“ Am Gespräch wird auch Benjamin Minack als Präsident des Verbands teilnehmen.

Benjamin Minack zeigte sich bereits gegenüber der Fachzeitschrift „Werben & Verkaufen“ zu den Vorwürfen und Forderungen des Adgirlsclubs gesprächsbereit: „Alles, was sie sagen, ist wichtig für eine moderne Unternehmensführung.” Und er wolle das Thema Diversität noch breiter denken: Auch die Interessen von behinderten Menschen, People of Colour oder etwa LGBTIQ* wolle er einfließen lassen. All das sehe das Programm des neuen Ressorts von Larissa Pohl vor. Eine Grundlagenstudie über anonymisierte Daten der Agenturmitarbeiter*innen sei geplant, die langfristig zu einem Aktionsplan in Sachen Gleichberechtigung führen soll: Agenturen, die die festgeschrieben Ziele erreichen, bekommen ein Zertifikat. 

Ob das dem Adgirlsclub reicht? Die Ansage in ihrem allerersten Instagram-Posting klingt nach mehr: „Wir freuen uns darauf, mit euch zu wachsen und all unsere Finger gemeinsam in die Wunden zu legen. Und dann drücken. Ganz ganz feste.“  Das langfristige Ziel sei es, dass der GWA als Branchenverband mehr Verantwortung übernimmt für die vielen Mitarbeiter*innen in der Agenturlandschaft. Schon heute gibt es Kriterien, die eine Agentur erfüllen muss, um in den Verband aufgenommen zu werden. Der Adgirlsclub will, dass ein diskriminierungsfreies und gerechtes Arbeitsumfeld in Zukunft auch dazugehören.

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