Foto: Unsplash | Sofia Sforza

Sexuelle Belästigung: Wie ich mich fühlte, als ich mich endlich wehrte

Ein Mädchen wurde in einem Flugzeug sexuell belästigt. Sie erhob ihre Stimme. Die Geschichte eines Opfers, das keines mehr sein wollte.

„Ey, war das gerade deine Absicht?”

Die Luft ist trocken, es ist eng und verdammt heiß. Draußen ist es dunkel, kein Wunder, schließlich ist es mitten in der Nacht. Meine Augen fühlen sich verklebt an, ich bin gerade aufgewacht und stelle mich in die Schlange vor die Toilette. Noch weitere sechs Stunden Flug habe ich vor mir. Ich recke mich und bücke mich, versuche meinen Körper aufzuwecken, mein Fuß ist eingeschlafen. Der Mann gegenüber mustert mich dabei und lässt seinen Blick nicht mehr von mir.

Er trägt seine Haare raspelkurz. Ein grauer Wollpullover spannt sich über seinen Oberkörper. Er ist groß und breit, wie ein Kasten. Seine Muskeln zeichnen sich unter seinem Oberteil ab. Als ich aus der winzigen Toilette trete, macht er einen Satz hinein. Es ist sehr eng. Er macht noch einen Schritt. Während ich mich umdrehe, fühle ich seine Hand auf meinem Hintern.

Kurz bin ich perplex, verstehe nicht, was da gerade passiert ist. Ich fange mich und frage: „Ey, war das gerade deine Absicht?“ Er sagt nichts und schließt die Tür. Ich gehe wie benommen zu meinem Sitzplatz und meiner Freundin zurück. Mir schießen viele Gedanken durch den Kopf, gleichzeitig fühle ich mich wie betäubt. War das gerade sexuelle Belästigung? Warum fühle ich mich so mies, so taub, so benutzt? Warum hat er nicht geantwortet? War es vielleicht doch nur ein Versehen? Spricht er vielleicht kein Deutsch?

War das gerade sexuelle Belästigung?

Meine Freundin reißt mich aus meinen Gedanken und schüttelt mich. Sie fragt mich, ob ich Flugangst hätte, oder warum ich sonst so blass sei. Ich will unseren bevorstehenden Urlaub nicht mit mieser Stimmung beginnen, fühle mich aber so beschissen, dass ich es ohnehin nicht verstecken kann. Ich erzähle ihr, was passiert ist. Dann drehe ich mich um und blicke zur Toilette. Der Mann im grauen Pullover steht noch immer dort und wartet. Unsere Blicke treffen sich. Ich lasse nicht los, ich will eine Reaktion, eine Antwort, er starrt. Ich bekomme Angst und drehe mich um.

Da sitze ich nun. Nur wenige Reihen von ihm entfernt. Ich möchte einfach so tun, als wäre nichts passiert. Den Vorfall vergessen, weit weg schieben und mir nicht die Urlaubslaune vermiesen lassen. Dann geht er direkt neben mir vorbei. Vielleicht bleibt er ja stehen und entschuldigt sich, denke ich kurz. Er geht weiter – zu seinen Freunden. Eine Gruppe von etwa zehn Männern, alle zwischen Mitte 20 und Mitte 30. Sie trinken Bier. Er setzt sich, ich höre Gelächter. Das Lachen reißt mich aus meiner Betäubung. Ich werde wütend: Wie kann es sein, dass ich hier sitze und mich wie ein Häufchen Elend fühle, während er drei Reihen weiter Spaß hat?

In den vergangenen Monaten habe ich so viel über #MeToo und #TimesUp gelesen und geschrieben; ich empfand es immer als wichtiges Zeichen, dass Frauen aufstehen und handeln. Sich wehren. Sich solidarisieren. Sich nicht mehr schämen.

„Und da sitze ich nun und fühle mich selbst wie ein hilfloses Opfer.“

Die Grenzüberschreitung ist passiert, ich habe ihm keine gescheuert oder zu schreien begonnen. Jetzt denke ich darüber nach, dass mich dieser Vorfall den ganzen Urlaub beschäftigen wird, dass ich mich fragen werde, wie ich besser hätte reagieren können. Warum sich Männer im öffentlichen Raum immer noch so viel mächtiger fühlen und ich mich jedes Mal wieder so ohnmächtig. Meine Gedanken kreisen wie ein Karussell.

In der Debatte um #MeToo wurde vor allem eines immer wieder gepredigt: Wenn das Gefühl sagt, dass eine Situation sich falsch anfühlt, wurde bereits eine Grenze überschritten. Meine Gedanken werden klarer. Und so strecke ich plötzlich meinen Fuß aus dem Karussell und bremse.

Nicht mit mir. Nicht diesmal

Ich gehe zur Flugbegleiterin, die gerade am Ende des Flugzeuges Kaffee in einen Becher gießt und mit ihrer Kollegin tratscht. Ich erkläre ihr, was passiert ist, dass ich mich unwohl fühle und nicht weiß, was ich tun kann. Sie hört mir genau zu und erzählt mir, dass auch sie sich bereits Gedanken über die Männergruppe machte, weil sie angetrunken sind und sich andauernd neues Bier holen. Dann ruft sie nach ihrem Kollegen, der die Verantwortung trägt. Auch ihm erzähle ich noch einmal alles.

Während ich erneut erzähle, werde ich das Gefühl nicht los, dass ich stärker sein müsste. Meine Stimme klingt gebrochen, ja fast weinerlich, wie die eines Kleinkindes. Immer wieder werden meine Augen feucht. Ich frage mich, was die sich denken, ob sie mir glauben. Ich hinterfrage, ob es die richtige Entscheidung war, den Vorfall zu melden. Ich fühle mich wie die Petze in einer Schulklasse.

Der Flugbegleiter erklärt mir, dass die Fluglinie keinerlei Akzeptanz für sexuelle Belästigung habe – und dass es wichtig ist, dass ich mich melde. Zu solchen Vorfällen käme es in den engen Räumen immer wieder. Nicht nur unter Gästen, auch das Personal sei oft betroffen. Viel zu selten aber meldeten es die Menschen. Und wenn, dann meist erst im Nachhinein auf der Internetseite.

Nach kurzer Absprache mit dem Kapitän gehen der Flugbegleiter und die Flugbegleiterin zu dem Mann im grauen Pullover. Ich warte auf einem ausklappbaren Sitz neben den metallenen Schubladen, in denen das Essen aufbewahrt wird. Es riecht nach Kaffee. Meine Knie zittern. Mir ist übel. Ich fühle mich noch beschissener als zuvor. Ich kann hier nirgends raus, kann nicht flüchten. Ich frage mich, was wohl passiert, wenn der Mann ausflippt. Dann kommt der Flugbegleiter zurück.

Er habe mit dem Mann gesprochen, der sei sich dem Vorfall nicht bewusst. Hätte meine Frage nicht gehört und seine Hand nicht auf meinem Hintern gehabt. Falls doch, tue es ihm schrecklich leid.

Bei dem Gedanken vor den Augen der Männergruppe wieder auf meinen Platz gehen zu müssen, wird mir erneut übel. Ich gebe mir selbst eine imaginäre Ohrfeige und erinnere mich daran, dass ich nichts falsch gemacht habe und verdammt noch mal endlich aufhören muss, mich für die Tat des Mannes zu schämen. Ich erkenne mich selbst kaum wieder, aber ich fordere plötzlich eine persönliche Entschuldigung.

Daraufhin holt der Flugbegleiter den Mann im grauen Pullover zu mir nach hinten. Nun stehen wir erneut neben der Toilette, wo vorhin seine Hand meinen Po berührte. Er wirkt nicht mehr groß, nicht mehr mächtig. Stattdessen zittert er und erklärt mir, dass er sich nicht an einen solchen Vorfall erinnern könne. Wenn es passiert sei, tue es ihm wahnsinnig leid. Er erklärt weiter, dass er getrunken habe und dass es schließlich so eng an Board sei. Er würd mich niemals belästigen, er habe doch Frau und Kind zu Hause.

Für mich tut das nichts zur Sache. Ich erkläre ihm, dass eine Klarstellung im Moment, dass es ein Versehen war, schon ausgereicht hätte. Er nickt, sein Blick geht an mir vorbei und ist fast die gesamte Zeit auf den Boden gerichtet. Ich erkläre ihm, wie sich das alles für mich angefühlt hat. Er bittet mich erneut um Entschuldigung und sieht mir dabei in die Augen. Ich nehme sie an. Wir schütteln uns die Hand.

Pograpscher gab es schon zu Schulzeiten

Wie jede andere Frau auch kenne ich derartige Situationen nur zu gut. Bereits in der Unterstufe gab es einen Jungen in der Parallelklasse, der am Gang den Mädchen an den Po griff. Der Pograpscher wurde er genannt. Es dauerte Jahre, bis die Schule ihn endlich rausschmiss. Meine Mutter riet mir damals, ich solle mich wehren. Das fiel mir schon damals schwer.

„Es brauchte über zehn Jahre, zum ersten Mal nicht die Schuld bei mir selbst zu suchen.“

Vielleicht war es dieses Mal ja wirklich nur ein Versehen. Vielleicht hat der Mann im grauen Pulli mich in dem Moment wirklich nicht verstanden oder gehört. All das ist im Grunde genommen aber egal: Seine Hand war auf meinem Hintern und mein Bauchgefühl sagte mir, dass das in diesem Moment so gar nicht in Ordnung war. In Wahrheit geht es nämlich nicht nur um die Berührung, sondern dass er in dieser Situation seine Macht ausnutzte.

Wenn mich #MeToo etwas gelehrt hat, dann: Derartige Übergriffe sind nicht okay. Ich muss sie nicht akzeptieren. Ich darf mir Hilfe holen.

Als ich mich wieder auf meinen Platz setze, sind einige Augenpaare auf mich gerichtet, besonders die seiner Freunde. Doch ich fühle mich besser: Das Gefühl der Taubheit und der Ohnmacht ist weg. Seine Freunde tuscheln, jeder will wissen, was passiert ist. Mir ist egal, ob sie mich Emanze, Spaßverderberin, hysterische Tusse oder was auch immer nennen.

Auch wenn meine Knie immer noch zittern, fühle ich mich gut. Denn ich bin kein Opfer mehr.

Der Originaltext von Eva Reisinger ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.


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